Seewölfe - Piraten der Weltmeere 482. Roy Palmer
weiter nach links“, sagte Morena.
Als Carlo die Richtung änderte, gab es plötzlich ein laut knirschendes Geräusch in den Felsen. Ein Schmatzen war zu hören, dann ein lautes Knacken. Es ging ihnen durch und durch, und sie blieben verstört stehen, um in das dämmerige Zwielicht zu lauschen.
„Was war das?“ fragte Carlo.
„In den Felsen war das“, murmelte sein Kumpan. „Da tun sich noch mehr Risse auf. Oder die verdammten Marineknechte haben wieder das Feuer auf uns eröffnet.“
„Hörte sich aber nicht nach einem Schuß an. Da hört man es sonst immer donnern.“
Jetzt bewegten sie sich etwas langsamer weiter. Irgendwo war leises Gurgeln zu hören, Knistern in den Wänden, dann wieder ein saugendes oder schmatzendes Geräusch.
Sie erreichten die andere Höhle, wo das Wasser etwa brusthoch stand.
Das war der Augenblick, da sie auch ihre Kumpane aus den Augen verloren. Nur die Geräusche, die sich nicht erklären ließen, waren noch da, verstärkten sich mal oder wurden leiser.
Unheimliches Licht herrschte hier. Der Holzspan flackerte, das Feuer wurde kleiner und drohte zu verlöschen.
Morena nahm den zweiten Span und entzündete ihn in aller Eile, damit es wieder heller wurde. In der Finsternis war es einfach entsetzlich und nicht auszuhalten. Da geisterten Schatten über die Wände, da glitzerte das Wasser pechschwarz, da zeigten sich kleine Strudel in der tintigen Brühe.
Sie wateten weiter, bis das Wasser nur noch hüfthoch war.
„Na, was habe ich gesagt“, meinte Morena. „Es scheint hier ganz leicht bergan zu gehen. Das merkt man doch, weil das Wasser nicht mehr so hoch ist.“
„Deswegen ist noch lange kein Ausgang in Sicht“, maulte Carlo.
Sein Span brannte jetzt etwas heller. An den Wänden glitzerte es, Reflexe zuckten über das unheimliche Wasser. Dann stieß er mit dem Knie an etwas Weiches.
Er zuckte zurück und stieß einen brüllenden Schrei aus. Gleichzeitig verlor er den Span, der im Wasser erlosch.
Morenas Hände zitterten ebenfalls, aber er konnte das Flämmchen noch vor dem Erlöschen retten.
Vor ihnen im Wasser trieb die Leiche des Zweiten Offiziers. Seine ausgestreckten Hände schienen nach Carlos Beinen zu grapschen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Carlo sich wieder gefangen hatte.
„Dieser Mistkerl, verdammter“, hauchte er verstört. „Der folgt uns überall hin. Vielleicht sucht er seinen Mörder.“
Schaudernd sahen sie auf den langsam weitertreibenden Körper, der jetzt in eine Nische glitt und darin hängenblieb.
„Meinst du wirklich?“ fragte Morena.
„Klar, das gibt’s, daß Ermordete ihren Mörder so erschrecken, bis er auch stirbt.“
„Aber er kennt ihn doch.“
„Trotzdem sucht er ihn“, behauptete Carlo.
Er fummelte einen neuen Span hervor und entzündete ihn an dem anderen, bis endlich eine kleine Flamme aufzuckte.
Diesmal verfolgte sie der Leichnam nicht weiter. Er hing immer noch wie festgeklemmt in der Nische.
Nach einer Weile ging ihnen das Wasser nur noch bis an die Knie, und beide schöpften wieder Hoffnung.
Dann standen sie vor einer sternförmigen Verzweigung. Das Wasser war hier zwar nicht hoch, aber die Abzweige waren kleiner, schmaler und niedriger. Zwei führten noch weiter nach links, zwei liefen geradeaus, und zwei weitere beschrieben eine Rechtskrümmung. Alle Gänge führten in absolute Finsternis.
„Was jetzt?“ fragte Carlo ratlos. „Am besten, wir nehmen einen von den Wegen, die geradeaus führen. Die sind auch etwas höher, und wir müssen nicht so gebückt laufen.“
Morena schüttelte nachdenklich den Kopf. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen weiter nach links, hielt dann den Span hoch und versuchte, die beiden Gänge auszuleuchten.
„Nein“, sagte er, „das ist wie auf dem Weg ins Jenseits. Der schlechte Weg führt in den Himmel und der ganz bequeme und breite in die Hölle.“
„Ich will aber weder in den Himmel noch in die Hölle“, knurrte Carlo mißmutig. „Ich will aus diesem Scheißfelsen raus.“
„Den breiten Weg sind die anderen bestimmt auch aus lauter Faulheit gegangen“, sagte Morena. „Ich bin dafür, daß wir nach links gehen, ganz nach links, wo es immer enger wird und man nach einer Weile kriechen muß.“
Ein Weilchen stritten sie herum. Schließlich beugte sich Carlo den Argumenten seines Kumpans. Der hatte auch ein bißchen mehr Grips im Schädel, was er widerstrebend anerkannte.
Also nahmen sie den schlechtesten Weg und schon nach ganz kurzer Zeit würde die tunnelartige Röhre immer enger und niedriger.
Nach ein paar weiteren Minuten mußten sie auf den Knien kriechen.
Diesmal führte Morena, gefolgt von Carlo, dessen Angstzustände in der Röhre immer größer wurden. Er sah sich schon irgendwo festgeklemmt hilflos ersticken.
Wasser gab es auch noch, aber es war nicht mehr als ein kleines Rinnsal.
Die Luft wurde enger und stickiger. Carlo geriet fast in Panik, als die Wände von beiden Seiten näher rückten und die Decke ihn mit schroffem Gestein streifte.
„Halt, halt!“ rief er nach einer Weile. „Da geht es nicht mehr weiter, Morena. Wir ersticken in dem Ding. Laß uns schnell zurückkriechen, ich krieg’ keine Luft mehr!“
Die Stimme seines Kumpans klang dumpf, murmelnd, wie halb erstickt und aus weiter Ferne, obwohl er dicht vor ihm war.
„Ich geh jedenfalls weiter. Ich glaube, der Gang wird wieder etwas größer und macht da vorn einen Knick. Hau doch ab, wenn du willst, ich versuche es.“
Da blieb Carlo nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, denn allein zurück wollte er auch nicht. Vielleicht steckte der Leichnam des Zweiten mittlerweile auch schon in der Röhre und verkeilte sie. Bei diesem Gedanken wurde ihm hundeelend.
Die Luft wurde noch schlechter. Carlo hustete wie ein Gorilla, der allmählich erwürgt wird. Er kriegte kaum noch Luft und ärgerte sich über Morena, der zielstrebig weiterkroch. Daß der Kerl keine Angst hatte, jämmerlich zu ersticken, kapierte er nicht.
Dann hörte er vor sich einen dumpfen Schrei, und wieder erfaßte ihn heillose Panik. Er wollte zurückkriechen, stieß an die Felsen und begann selbst zu brüllen.
„Eine Höhle!“ brüllte Morena. „Wir sind gleich da!“
Unvermittelt wurde der Gang höher und breiter. Unendlich erleichtert stellte Carlo das fest. Offenbar hatten sie es geschafft.
Dann standen sie in einer kleinen Höhle und sahen sich neugierig im Schein der provisorischen Fackel um.
Zwei Fässer standen in der Höhle. Man konnte aufrecht darin stehen, der hintere Teil der Höhle war so hoch, daß man die Decke nur erreichen konnte, wenn man mindestens vier Yards groß war.
Von der Höhle zweigte nochmals ein kleiner Gang ab, der offenbar weiter in den Berg führte.
„Juan und Roberto waren sicher schon hier, weil da die kleinen Fässer stehen“, sagte Morena, „aber die hatten die Hosen voll und sind wieder abgehauen. Hier sind wir sicherer als vorn. Sieh dir mal das Wasser an. Es geht nur bis an die Knöchel.“
„Sehr gut“, sagte Carlo erleichtert. „Dann bleiben wir und warten. Wenn die Marineknechte die große Höhle stürmen sollten, finden sie uns garantiert nicht.“
„Klar, hier bleiben wir.“
Carlo hatte einen Degen mitgeschleppt, Morena zwei Pistolen und einen Säbel sowie ein Entermesser. Er deponierte das alles auf einem Faß und griff