Seewölfe - Piraten der Weltmeere 527. Roy Palmer
nach, sonst nichts weiter.“
Kim Il Loo preßte die Lippen zusammen. Er äußerte sich nicht weiter zu dieser Bemerkung. Er wollte seine Leute nicht kopfscheu machen. Doch er selbst hatte mit den Soldaten des Großen Chan unangenehme Erfahrungen gesammelt. Einmal hatte er in Shanghai in einem Lokal gegessen und getrunken, in dem Soldaten eine „Säuberungsaktion“ vorgenommen hatten.
Sie hatten ihn brutal niedergeknüppelt. Im Kerker war er wieder aufgewacht. Drei Tage hatte er hinter Gittern hocken müssen, obwohl er nichts verbrochen hatte. Erst dann hatte man ihn wieder freigelassen. Kim hatte nicht vergessen, wie es war, mit Räubern, Dieben, Opiumschmugglern und Frauenhändlern in einem Raum zu sitzen.
Ein anderes Mal war Kim über Land zu seinem Bruder gewandert, der in einem Ort westlich von Zhelin – etwa dreißig Li entfernt – eine Schmiede besaß. Unterwegs war Kim von einer Truppe berittener Soldaten niedergepeitscht worden.
Sie hatten ihn als Herumtreiber bezeichnet und beschimpft. Seine Beteuerungen, er sei ein redlicher Mann, hatten ihm nichts genutzt. Sie hatten sogar ein Porträt von ihm gezeichnet. Dann hatten sie ihn doch wieder laufen lassen. Aber sie hatten ihm noch wüste Drohungen nachgeschrien.
Seitdem traute sich Kim nur noch selten von Zhelin fort. China war kein gutes Land mehr, seit Kaiser Wanli regierte. Wanli war ein verschwenderischer und mißtrauischer Mann. Er liebte das Volk nicht, er haßte es. Er sah in jedem Untertanen einen Dieb oder Mörder. Seine Truppen mißhandelten die Menschen, wo sie nur konnten. Natürlich nutzten sie die Handlungsfreiheit und die Vollmachten, über die sie verfügten, zu ihren Gunsten aus.
Die große Dschunke schob sich an den Fischerkahn heran, die Distanz schrumpfte immer mehr zusammen. Bald konnte man sich gegenseitig durch Rufe verständigen. Kim Il Loo, Pan Pai und die anderen Fischer tauschten lange Blicke, als die Stimme des Dschunkenkapitäns zu ihnen herüberschallte.
„Achtung! Keiner rührt sich von der Stelle! Wir setzen zu euch über!“
Jeglicher Widerstand war sinnlos. Auf der Kriegsdschunke, so war nunmehr mit bloßem Auge zu erkennen, hatten die Soldaten Brandsätze auf Gestellen plaziert und zielten damit auf den Fischerkahn. Außerdem standen Armbrustschützen am Schanzkleid.
Kim schätzte die Zahl der Soldaten auf etwa hundert. Gegen eine so große Übermacht hatten er und seine Männer nicht die geringste Chance. Sie waren nur zu neunt.
Die Kriegsdschunke glitt noch näher auf den Fischerkahn zu. Als nur noch die Distanz von etwa einem Steinwurf zwischen beiden Schiffen lag, drehte die Dschunke bei. Ein Sampan wurde abgefiert. Zehn Soldaten enterten ab. Der Kapitän folgte ihnen und ließ sich zu dem Segler der Fischer hinüberpullen.
Kim und seine Begleiter waren machtlos gegen das, was sich nun abspielte. Das Sampan schob sich längsseits, der Kapitän und seine Soldaten enterten auf. Nur ein Mann blieb im Boot zurück. Die Soldaten zückten ihre Schwerter und bauten sich drohend vor den Fischern auf.
„Raus mit der Sprache!“ fuhr der Kapitän Kim Il Loo an. „Was seid ihr? Schmuggler oder Piraten?“
„Keines von beiden“, erwiderte Kim so ruhig wie möglich. „Wir sind Fischer.“
Der Kapitän, ein grob gebauter Mann mit einem Schnurrbart, dessen Enden sichelförmig über die Mundwinkel hingen, rümpfte die Nase und stieß einen angewiderten Laut aus. „Ja, daß ihr Fisch an Bord habt, rieche ich. Bist du der Kapitän?“ Sein Blick richtete sich kalt auf Kim.
„Ja.“
„Ja, Herr, heißt das.“
„Ja, Herr“, sagte Kim gepreßt. „Welchen Grund gibt es, uns anzuhalten?“
„Wir haben unsere Anweisungen“, entgegnete der Kapitän barsch. „Ich werde dieses Schiff selbst inspizieren und feststellen, ob ihr unter dem Fisch Opium oder anderes Schmuggelgut versteckt habt.“
„Das haben wir nicht“, sagte Kim.
„Das werden wir ja sehen“, sagte der Kapitän. Er gab einigen der Soldaten durch Gebärden zu verstehen, sie sollten sich mit dem Fisch befassen.
Kim, Pan und die anderen Fischer sahen voll ohnmächtiger Wut zu, wie die Soldaten die Luke des Laderaumes öffneten und in dem Fang herumstocherten und wühlten. Kim hätte den Kapitän der Kriegsdschunke am liebsten angesprungen, das war ihm anzusehen. Aber er mußte sich bezwingen. Wenn er gegen die Staatsmacht aufbegehrte, war er des Todes.
„Wir werden sonst nie überprüft“, sagte. Pan Pai. „Wir haben noch nie Schwierigkeiten mit den Soldaten des Kaisers gehabt.“
Der Kapitän grinste höhnisch. „Das hier ist eine ruhige Gegend, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Kim.
„Und aus welchem elenden Nest seid ihr?“
„Von dort.“ Pan wies zur Küste. „Aus Zhelin.“
„Nie gehört. Aber ihr führt dort ein feines Leben, nicht wahr?“ fuhr der Kapitän spöttisch fort. „Ihr werdet von keinem belästigt, oder? Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt.“
„Wir sind ehrliche Männer“, sagte Kim. „Wir haben noch nie gegen die Gesetze verstoßen.“
„Das kann jeder sagen.“
„Herr!“ rief einer der Soldaten dem Kapitän zu. „Es ist wirklich nur Fisch an Bord!“
„Kein Opium?“
„Nichts“, erwiderte der Soldat. Er hielt einen großen Barsch in den Händen.
Der Kapitän deutete auf den Fisch. „Aufschlitzen. Vielleicht ist das Opium da drin.“
Kim Il Loo wollte protestieren, doch Pan Pai hielt ihn zurück. Was war schon ein Fisch? Wenn man den Kapitän dadurch friedlich stimmte, sollte man ruhig zulassen, daß er den Barsch öffnen ließ.
Die Soldaten weideten den Fisch aus, wurden aber, was das Rauschgift betraf, wieder nicht fündig. Der Kapitän ließ wieder einen Fisch aufschlitzen, dann noch einen. So ging es über eine halbe Stunde lang weiter.
Schließlich sagte der Kapitän: „Also gut, ich glaube euch. Ihr seid friedliche, ehrliche Fischer. Aber die Hälfte von eurem Fang werde ich requirieren.“
„Wie bitte?“ fragte Pan Pai entsetzt.
„Beschlagnahmen“, sagte der Kapitän mit hämischem Grinsen. „Wir führen hier einen Sonderauftrag aus. Wir sind nicht allein. Viele Soldaten haben sich in und um Shanghai eingefunden, und sie müssen alle ernährt werden.“
„Warum sind so viele Soldaten hier?“ fragte Kim betroffen.
„Das ist geheim“, erwiderte der Kapitän schroff. Wieder gab er seinen Männern Befehle. Sie fingen an, Fisch in ihr Sampan umzuladen.
Kim Il Loo, Pan Pai und die sieben anderen Fischer hätten den Kapitän am liebsten erdolcht, so hundeelend war ihnen zumute. Aber sie wußten ja, was ihnen blühte, wenn sie das taten. So verharrten sie wie gelähmt an Deck – und Tränen der Wut standen in ihren Augen.
Frisch wehte der Wind aus Südosten. Die Dreimastgaleone „Santa Barbara“ segelte mit Steuerbordhalsen über Backbordbug liegend auf Kurs Norden. Sie hatte die Hangtschou-Bucht hinter sich gelassen und lief nun Shanghai an. Ein neuer Tag war heraufgezogen. Hasard und seine Mannen waren vollzählig an Oberdeck versammelt.
Der Seewolf ließ Jack Finnegan und Paddy Rogers zu sich holen. Den beiden Männern ging es bedeutend besser. Der Ausschlag, an dem sie gelitten hatten, ging sehr rasch zurück – dank der Tiao-Pflanze, zu der das Mädchen Ching Yih ihnen verholfen hatte. Jack und Paddy waren bereits wieder voll einsatzfähig. Sie hatten sich denn auch freiwillig zum Dienst gemeldet.
Philip junior stand am Backbordschanzkleid der Back. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet. Hin und wieder stieß er einen tiefen Seufzer aus. Er hatte fürchterlichen Kummer. Er hatte sich in das Chinesenmädchen verliebt, und jetzt hatte er sich von ihr trennen müssen.