Seewölfe - Piraten der Weltmeere 319. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 319 - Roy Palmer


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dem Hauptdeck stand Carberry und rief: „Wascht euch gefälligst auch die Haare, ihr Prielwürmer, damit alle Läuse abmustern! Was soll die Lady sonst von euch denken?“

      „Du hast gut reden“, brummte Smoky und blickte bedeutungsvoll auf die Glatze, die der Profos sich hatte rasieren lassen müssen, als er die Wette gegen Luke Morgan verloren hatte. „Aber ich an deiner Stelle würde mir schleunigst wieder eine Pelzmütze besorgen und überstülpen. Sonst kriegt die arme Lady nämlich die Panik, wenn sie dich so sieht.“

      „Heute nacht hat sie mich auch gesehen.“

      „Aber da war es dunkel“, erklärte Smoky.

      Carberrys Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Aber nicht in der Burg dieses Affenarsches Graf Hugo. Da hat sie mich in meiner vollen Pracht und Größe gesehen, die Lady.“

      „Ach du meine Güte“, sagte Smoky. „Jetzt erzähl bloß noch, du hättest beeindruckend auf sie gewirkt. Dann kippe ich wirklich aus den Stiefeln.“

      „Du fliegst gleich aus den Stiefeln, aber aus einem anderen Grund“, drohte der Profos und schob sein Rammkinn vor. Im stillen nahm er sich aber doch vor, sich für die Pelzmütze, die er im Sturm verloren hatte, einen brauchbaren Ersatz zu beschaffen.

      „Übrigens“, sagte der Kutscher, der sich gerade zu ihnen gesellt hatte. „Ich empfehle allen, sich nunmehr eines gepflegteren Wortschatzes zu bedienen, denn nichts kann eine echte Lady und Adlige mehr verletzen als das ewige Gefluche auf diesem Schiff.“

      „So?“ Carberry wandte sich halb zu ihm um. „Aber sie versteht doch gar kein Englisch, was? Und sie liegt doch auch noch in Bens Koje, wie? Oder irre ich mich?“

      „Du irrst dich nicht, Mister Carberry“, entgegnete der Kutscher mit beinah würdevoller Miene. „Aber die Freiin von Lankwitz ist eine hochintelligente Dame. Sie begreift auch Dinge, die sie dem reinen Wortsinn nach nicht versteht.“

      „Aus dir wird ja doch keiner schlau!“ fuhr der Profos ihn an. „Hör mit deinem geschraubten Gequatsche auf, das geht mir auf den Geist. Zum Teufel, hast du nichts in deiner ver …, äh, in deiner Kombüse zu tun?“

      „Ich könnte Mac Pellew beim Hemdenwaschen oder den Zwillingen bei der Zubereitung des Frühstücks helfen“, erwiderte der Kutscher. Dann suchte er wirklich rasch sein Reich auf, denn Carberrys Miene nahm etwas eindeutig Unheilverkündendes an.

      Alle Männer brannten darauf, Gisela Freiin von Lankwitz auf dem Achterdeck der „Isabella“ erscheinen zu sehen, ja, sie fieberten ihrem Auftauchen fast engegen. Doch noch ließ sie auf sich warten. Die Arwenacks mußten sich in Geduld üben.

      Durch die turbulenten Ereignisse der letzten Nacht war die Freiin völlig erschöpft in die Koje gesunken, so daß Hasard kaum mit ihr hatte sprechen können. Er wußte nur, daß die künftige Frau seines Vetters Arne von Manteuffel von dem Grafen Hugo von Saxingen offenbar geraubt worden war. Wie dies hatte geschehen können und was dahintersteckte, wußte er nicht.

      Jedenfalls war sie aus den Händen des Grafen Hugo befreit – und das vor allen Dingen wegen der Mithilfe seiner beiden Söhne Philip junior und Hasard junior, die bei dem Mahl auf dem Gut von Saxingens die Tischherren der Freiin gewesen waren.

      Hasard hatte die beiden nunmehr der Freiin gewissermaßen als „Edelknaben“ zugeteilt. Sie hatten den Auftrag, sich um den weiblichen Ehrengast der „Isabella“ zu kümmern, auf daß es der jungen Lady an nichts fehlte.

      Was Hasard nicht angeordnet hatte, waren die große Kleiderschau und die Waschorgien seiner Männer. Soweit befand sich die Crew nämlich in einem recht ordentlichen Zustand, und an den Achterdecksgästen hatte er ohnehin nichts auszusetzen. Doch eigentlich, so fand er, konnte das Ganze nichts schaden. Deshalb gab er keine anderslautenden Befehle.

      Alle grinsten, alle waren blendender Laune, nur Old Donegal Daniel O’Flynn schnitt eine säuerliche Grimasse und orakelte wieder einmal herum.

      „Das kann gar nicht gutgehen“, sagte er düster. „Eine Frau an Bord eines Segelschiffes – das hat noch keinem Seemann Glück gebracht. Wir kratzen noch alle ab, bevor wir den Sund erreicht haben.“

      „Weißt du was?“ sagte Big Old Shane mit freundlichem Gesicht. „Ich hätte größte Lust, dir dein Maul mit einem der Zobelpelze zu stopfen, die wir an Bord haben.“

      „Der wäre doch viel zu schade dafür“, sagte Dan O’Flynn.

      Sein Vater fuhr zu ihm herum. „Wie war das eben?“

      „Ich meinte nur, ein Räucherhering und eine Doppelration Aquavit würde da viel bessere Dienste leisten“, erwiderte Dan. „Wegen der besseren Wirkung.“

      „Reißt ihr nur eure Witze“, sagte der Alte verdrossen. „Macht euch von mir aus auch über mich lustig. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Es gibt ein großes Unheil. Man verstößt nicht ungestraft gegen die alten Gesetze der Seefahrt.“

      „Hol’s der Henker“, sagte Roger Brighton, der sich eben mit seinem Bruder Ben von der Heckreling genähert hatte. „Das nehme ich dir einfach nicht ab, Donegal. Sonst hast du ja oftmals recht mit deinen Vorhersagen, aber nicht dieses Mal. Dieses Freifräulein kann uns nur Glück bringen.“

      Ben sagte: „Da bin ich mit dir einer Meinung. Aber laßt uns mit dem Fluchen aufhören. Das eine oder andere Wort könnte die Lady nämlich wirklich verstehen, weil manche Ausdrücke im Deutschen ähnlich klingen wie im Englischen. Nils hat es mir vorhin gesagt. Es ist also Vorsicht geboten.“

      „Achtung“, sagte Dan O’Flynn. „Die Zwillinge sind mit dem Frühstückstablett erschienen.“

      Alle Blicke richteten sich auf die Söhne des Seewolfs, die mit ihrem Tablett bewaffnet über das Hauptdeck bis zum Achterdecksschott marschierten und dann verschwanden. Schweigen trat ein, es war nur noch das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden, das Knarren der Blöcke und Rahen und das verhaltene Summen des Windes in den Wanten und Pardunen zu vernehmen. Eine Weile verstrich – dann erschienen die Zwillinge wieder an Deck, und zwar mit dem leeren Tablett und – mit der Freiin.

      Sie betrat in Begleitung ihrer beiden „Pagen“ das Achterdeck, und bei ihrem Anblick hellte sich sogar das Gesicht von Old O’Flynn auf. Er vergaß alle Orakelsprüche und Unkerei, er war – wie alle anderen Männer auch – von dieser jungen Lady schlichtweg fasziniert und hingerissen.

      Eine strahlende Erscheinung war diese Gisela von Lankwitz, jung, blühend, von großer Schönheit und Anmut. Die blonden Haare trug sie jetzt zum Pferdeschanz zusammengebunden. Bei der Befreiungsaktion der vergangenen Nacht hatte Hasard ihr sofort eine Decke übergeworfen – sie war hüllenlos gewesen und hatte ohne ihre Kleidung fliehen müssen.

      Darum hatte sie nun eine Hose und eine derbe Jacke angezogen, die der Seewolf ihr zur Verfügung gestellt hatte. Dennoch blieb ihre wohlproportionierte, frauliche Figur nicht verborgen, und ihr ganzes Wesen und ihre Ausstrahlung wurden von dem Lächeln in ihrem Gesicht und dem erleichterten Ausdruck ihrer tiefblauen Augen beherrscht.

      Ja, da mußte auch Old O’Flynn ein paar Male schlucken. Was ist das doch für ein Weib, dachte er. Hier wurde selbst er wieder jung, und sein altes Herz schlug ein paar Takte höher.

      Hasard winkte Nils Larsen als Dolmetscher heran. Als einziger Mann an Bord der „Isabella“ beherrscht er die deutsche Sprache. Er gab sich die größte Mühe, jedes Wort, das sie sagte, so genau wie möglich zu übersetzen, und auch umgekehrt strengte er sich an, präzise vom Englischen ins Deutsche zu übertragen, was die Männer Gisela von Lankwitz zu erklären versuchten.

      Hasard zeigte sich als geborener Kavalier, verbeugte sich vor ihr und sagte: „Mylady, ich heiße Sie in aller Form und auf das herzlichste an Bord der „Isabella“ willkommen. Bei uns sind Sie in Sicherheit, Sie haben nichts mehr zu befürchten. Vielleicht haben meine Söhne Ihnen das schon auseinandergesetzt: Ich bin Arne von Manteuffels Vetter.“

      Sie lauschte Nils Larsens Übersetzung und nickte. „Ich freue mich, bei Ihnen sein zu können, Kapitän Killigrew“, entgegnete sie.


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