Seewölfe - Piraten der Weltmeere 271. Davis J.Harbord
zu, ganze fünf Mann der früheren 24köpfigen Crew, die ein erbarmungsloses Schicksal auseinandergerissen hatte. Ob sie je wieder zusammenfanden, das stand in den Sternen. Aber diese fünf Mann hier, die dachten nicht daran, sich kleinkriegen zu lassen, auch wenn der Sturm sie zwang, einen Kurs zu nehmen, den sie alle verfluchten.
„Ah“, sagte Big Old Shane und wischte sich über den Mund. „Das ist was …“ Und dann fluchte er wild und starrte auf Hasards rechte Schulter. „Du blutest ja wieder! Dan, übernimm die Pinne, ich muß den Alten verarzten.“
„Bleib ja mit deinen Fäusten von meinem Kopf weg“, drohte Hasard.
„Ich will ja nicht an dir herumschnippeln“, sagte Big Old Shane, „sondern nur das Bluten stoppen. Du brauchst einen neuen Verband, und von jetzt ab läßt du die Pfoten weg, wenn wir ein Alle-Mann-Manöver durchführen. Warum mußtest du denn auch dazwischenfummeln, als wir die Segel bargen, verflucht und geteert!“
Big Old Shane redete sich mal wieder in Wut, was bewies, wie sehr er um Philip Hasard Killigrew besorgt war, den er von klein auf damals auf der Feste Arwenack über Falmouth in Cornwall unter seine Fittiche genommen hatte – wissend, daß dieser jüngste Killigrew ein „Bastard“ war, allerdings einer, der seinen drei Stiefbrüdern, diesen verdammten Ferkeln, körperlich, geistig und charakterlich haushoch überlegen war.
Hasard lächelte nur und ließ sich von Big Old Shane zum Vordeck schieben. Er schaute kurz zu den Zwillingen hinein. Die pennten wie die Murmeltiere. Nur Arwenack, der Schimpanse, wachte und schnitt ein Gesicht zum Gotterbarmen. Von Stürmen hatte er noch nie was gehalten.
Hasard strich ihm beruhigend über den Rundschädel.
„Schon gut, Alter“, sagte er, „du brauchst keine Angst mehr zu haben. Wir schaffen das schon.“
Arwenack ergriff Hasards Hand und hoppelte mit. Er ließ die Hand auch nicht los, als Big Old Shane die Schnittwunde neu verband.
2.
In dieser wüsten Sturmnacht, in der die Seewölfe vor Topp und Takel lenzten und nach Süden getrieben wurden, durch die Straße von Gibraltar hindurch, wo sich Atlantikströmung und Sturm noch steigerten, weil sie wie durch einen Schlauch gepreßt wurden, in dieser Nacht also befand sich noch jemand auf der jetzt nackigen, kurzen See des Mittelmeers.
Allerdings führte er kein Schiff denn das hatten ihm die englischen Christenhunde an dem Nachmittag, bevor diese Nacht begann, buchstäblich unter den Füßen versenkt.
Nein, der Mann hatte kein Schiff mehr, obwohl er für gewöhnlich nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte, um zwanzig, dreißig, vierzig oder noch mehr Schiffe um sich zu versammeln.
Dieser Mann hatte nur eine lumpige Gräting, auf die er sich hatte retten können – allerdings auf die ruppige Art, weil sie bereits besetzt gewesen war.
Da er aber die Gräting für sich allein beanspruchte, hatte er die Kerle darauf – seine eigenen Kumpane – kurzerhand „abgeräumt“. Drei Männer hätten auf dem Ding, wenn auch etwas beengt, bestimmt Platz gehabt, aber hätte er, der Erhabene, die Rettungsinsel mit zwei stinkenden Schakalen teilen sollen?
Niemals! Ihm stand die Gräting zu, nur ihm und sonst niemandem.
Das Leben eines Uluch Ali war ja auch ungleich wertvoller als das eines räudigen, nichtsnutzigen Hurensohnes aus irgendeinem verlausten Hafen Nordafrikas. Sie hätten ja besser und tapferer kämpfen können, diese hündischen Mißgeburten!
Unter seinesgleichen oder bei gefangenen Giaurs bestimmte der erhabene Uluch Ali, Statthalter der Türken im nordafrikanischen Küstenraum und Gebieter über eine kaum schätzbare Zahl von Piraten und Schlagetots, ob man leben durfte oder zu Tode befördert werden sollte. Bei letzterem bestimmte er natürlich auch über die Art des Zutodebringens, was nach vorheriger Folter für die Ärmsten meist eine Gnade bedeutete, endlich davon erlöst zu werden und dieses Jammertal verlassen zu können.
Beim Kampf um die Gräting hatte Uluch Ali sein wahres Gesicht gezeigt, falls es seinen Kerlen noch unbekannt gewesen sein sollte. Aber das nutzte ihnen jetzt auch nichts mehr. Und bestimmt nicht hatte dieses letzte Erkennen vor ihrem Abgang aus dieser ihrer Welt des Mords und Totschlags dazu beigetragen, den Erhabenen in einem verklärten Licht zu sehen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie ihn in des Scheitans finsterste Hölle verdammt und ihm alle Tode gewünscht, die er über andere verfügt hatte.
Sollte das so gewesen sein, dann ging ein Teil davon in Erfüllung.
Denn über den Mann, der über Tod oder Leben anderer verfügt und bestimmt hatte, entschied jetzt, in dieser höllischen Nacht, etwas anderes, nämlich eine Macht, die stärker und mächtiger als der Erhabene war.
Der Erhabene?
Von diesem Thron hatten ihn die Elemente, sprich Luft und Wasser, bereits hinweggefegt wie ein welkes Herbstblatt. Die Windsbräute und die Wassergeister interessierte dieses kümmerliche Menschlein einen Dreck. Von Erhabensein und Bestimmen, wer leben durfte und wer nicht, war keine Rede mehr.
Uluch Ali, der Oberschnapphahn aller Schnapphähne der nordafrikanischen Küsten, der Mann, dessen Hinterlist, Rücksichtslosigkeit, Menschenverachtung und Brutalität kaum zu überbieten waren, mußte erkennen, daß ihn eine andere, stärkere Macht in den Klauen hatte und mit ihm spielte.
Ja, sie spielte mit ihm.
Sie griff mit leichten Fingern unter seine Gräting, wischte sie hoch und kippte sie um. Da hing er festgekrallt mit Füßen und Händen an dem Holzgitter unter Wasser, über sich die Gräting, um sich tobendes Wasser, aber keine Luft mehr. Nach der schnappte er in seiner Panik – aber er schluckte nichts weiter als salziges Wasser.
In ihm explodierte etwas, und als er sich unter Wasser erbrach, griffen die spielenden Finger wieder zu, warfen die Gräting herum, und er hatte das Glück, nicht mehr Fisch sein zu müssen.
Keuchend, röchelnd, pfeifend saugte er köstliche Luft ein. Gespreizt lag er auf der Gräting, fast wie ein Gekreuzigter. Seine Finger krallten sich um die Holzgitter, seine Füße verklemmten sich in den Würfeln, die das Gitterrost bildete.
Um ihn herum flog das Wasser. Die Gräting war nichts weiter als ein Spielball, der einen Irrsinnstanz aufführte.
Eine Minute brauchte er, um, wenn auch röchelnd, wieder atmen zu können. In der nächsten Minute verfluchte er Allah, Mohammed und alle Propheten, und in der dritten Minute wurde die Gräting wieder umgewischt. Was oben gewesen war, befand sich erneut unter Wasser – er auch, ein Mann unter einem Holzgitter, ein zum Tode Verurteilter, dessen Lebensspanne nur noch von Atemzug zu Atemzug reichte und rapide zusammenschrumpfte, je länger ihm der rettende Atemzug verwehrt blieb. Die Menschen waren nicht dafür eingerichtet, unter Wasser atmen zu können.
Der Mann Uluch Ali wußte nicht, daß ihm die Augen aus dem Kopf quollen. Er wußte auch nicht, daß sich die empfindlichen Organismen in seinem Körper dagegen wehrten, von der lebensspendenden Luft abgeschnitten zu werden. Sie zwangen ihn, nach Luft zu schnappen – und er gehorchte.
Jetzt war seine Lebensspanne nur noch knapp bemessen, eigentlich bestand sie schon gar nicht mehr, denn er saugte Wasser in seine Lungen. Wäre er noch bei Sinnen gewesen, hätte er gewußt, was die Folge sein würde – nämlich Tod durch Erstikken.
Aber er war nicht bei Sinnen, was ihn absurderweise noch einmal vor der letzten Schwelle bewahrte, die, einmal betreten, unwiderruflich war.
Sein Körper unter der Gräting bäumte sich zuckend auf, als das Wasser in seine Lungen trat, seine Hände und Füße lösten sich aus den Würfeln der Gräting, er schwamm, und eine Woge schwemmte sein Floß über ihm weg.
Er schoß an die Oberfläche, spuckte wieder Wasser und röchelte gleichzeitig nach Luft.
Die Elemente kicherten und jaulten und dröhnten um ihn herum. Er würgte und keuchte und lechzte nach Luft. Ja, sie war da und doch wieder weg, sie gönnte ihm ein kurzes Schnappen, aber