Seewölfe - Piraten der Weltmeere 271. Davis J.Harbord

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 271 - Davis J.Harbord


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unendliche Tiefen, in Schlünde, die nicht aufzuhören schienen. Aber sie spien ihn auch wieder nach oben, wo die Luft sein mußte, der Himmel, die Sterne, nicht dieses mörderische, erstickende Wasser.

      Seine Augen entdeckten keine Sterne und keinen Himmel. Da war nur Schwärze mit wechselnden Weißfetzen, die eigentümlich fluoreszierten und merkwürdige Gestalten zu bilden schienen. Daß dies die kochende See war, begriff er nicht.

      Weiße Ungeheuer waren das, Gespenster, die einen Todesreigen um ihn tanzten, aus der Tiefe tauchten sie auf, von der Seite, von vorn, von hinten. Er schlug nach ihnen, weil er meinte, daß sie ihn verschlingen wollten. Aber sie wichen aus, und es waren auch zu viele Ungeheuer, die ihn umwirbelten.

      Zu diesem Zeitpunkt war Uluch Ali, der Erhabene, der Herrscher über Leben und Tod in seinem Machtbereich, nahezu dabei, den Verstand zu verlieren.

      Zuviel war in der letzten Zeit geschehen, eine Niederlage hatte sich an die andere gereiht – bis zur endgültigen Niederlage, deren letzter Fixpunkt die Gräting war, eine lächerliche, banale Holzkonstruktion, die sich nicht einmal beherrschen, steuern oder bewegen ließ.

      Nein, etwas anderes steuerte und bewegte sie – die Elemente. Vielleicht auch das Kismet.

      Das Kismet stieß die entschwundene Gräting zu dem halbirren Menschen, der in dem kochenden Hexenkessel herumgewirbelt wurde, zurück. Sie rammte seine rechte Schulter, und der Schmerz brachte ihn halbwegs zur Besinnung – zumindest zum Erkennen, was ihm da unerklärlicherweise dargeboten wurde.

      Er griff zu und hielt sich fest.

      So waren sie wieder vereint, die Gräting und der Erhabene.

      Er schluchzte, weil er zu schwach war, sich hinaufzuziehen. Vielleicht schluchzte er auch, weil er das Gefühl hatte, alles hätte sich gegen ihn verschworen. Noch dazu war er halbblind, denn das Salz im Wasser zerbiß ihm die Augen. Darum wohl auch hatte er die weißen Schaumfetzen für Ungeheuer gehalten.

      Aber das alles dachte er nicht. Das waren eher Schreckvisionen, Alpträume oder wirre Phantasien bis hin zu jenem Punkt, an dem seine Sinne abzustumpfen begannen, weil das Maß dessen, was sie noch bereit waren, aufzunehmen, überschritten war.

      Nur seine Hände tasteten sich weiter zur Mitte der Gräting, und seine Finger verkrallten sich dort. So konnte er wenigstens den Kopf sinken lassen, daß er auf der Gräting lag und nicht ins Wasser hing, wo das Ungeheuer des Erstickens auf der Lauer lag.

      Ja, in dieser Nacht starb Uluch Ali viele Tode und durchlebte noch mehr Höllen. Er erlitt alles das, was er anderen angetan hatte, und das war eine endlose Kolonne von Schandtaten, endlos deswegen, weil er sich bereits in jenem Alter befand, von dem oft behauptet wird, daß es jenseits von Gut und Böse läge. Bei ihm traf das nicht zu, denn das Diesseits des Bösen hatte er noch nie verlassen. Und gut war für ihn immer nur das gewesen, was ihm frommte.

      In diesem Sinne war seine letzte Schandtat die brutale Inbesitznahme der Gräting gewesen. Die Opfer kümmerten ihn nicht. Opfer hatten ihn nie gekümmert, es sei denn als Objekte seiner Belustigung, wenn sie gevierteilt wurden oder ihre Köpfe über den Sand rollten.

      Zu Einsichten würde er wohl nicht gelangen, falls er überlebte. Das Böse steckte zu tief in ihm drin. Er hatte nur das dumpfe Erkennen, daß er der erbarmungslosen See auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Obwohl er seine schlimmsten Untaten auf dieser See vollbracht hatte, war ihm ihre Gewalttätigkeit nie besonders ins Bewußtsein gerückt.

      In dieser Nacht empfing er nur eine Ahnung davon.

      Nach dem Schluchzen verlegte er sich aufs Wimmern, und es war gut so, daß auch einmal ein Uluch Ali wimmerte – genauso wie viele seiner Opfer, denen der Schmerz das Rückgrat gebrochen hatte.

      Einmal in dieser Nacht der Schrekken, Ängste und Panik erlitt er noch einen Schock.

      Das war, als etwas Großes, Dunkles zum Greifen nahe an ihm vorbeirauschte, so daß er sogar den Sog spürte, der die Gräting und damit ihn für unbestimmbare Augenblicke mitzog, aber dann wieder zurückstieß und die Gräting zum Kreiseln brachte.

      Ein Schiff! Ein Schiff mit einem Mast!

      Ein Riese von Mann stand an der Pinne, aber er schaute nicht zu ihm hin. Er hörte und sah nichts, obwohl Uluch Ali tobte und brüllte und winkte.

      Und wie ein Spuk verschwand das Schiff wieder in der Dunkelheit, als habe es nie existiert. Wie aus dem Nichts war das Schiff aufgetaucht und hatte sich auch wieder im Nichts verloren – eine unheimliche Erscheinung.

      Ein Geisterschiff!

      „Allah!“ brüllte Uluch Ali. „Allah, rette mich!“

      „Hat da nicht eben jemand geschrien?“ sagte Dan O’Flynn und spähte nach Steuerbord.

      „Klar“, sagte Big Old Shane und grinste breit. „Das war ’ne Meerjungfer …“

      Dan O’Flynn fuhr zu ihm herum. „Quatsch!“

      „… ’ne Meerjungfer“, wiederholte Big Old Shane noch einmal, „die vom Wassermann in den Popo gekniffen wurde. Dein Alter hätte das sofort erkannt, Mister O’Flynn!“

      „Mister Shane“, sagte Dan O’Flynn erbittert, „mein Alter hätte das anders formuliert, und zwar etwa in dem Sinne, daß bei einer Meerjungfer dort, wo sonst bei den Ladys der Popo zu sitzen pflegt, bereits der Fischschwanz beginnt. Also kann dort kein Popo im üblichen Sinne sein. Ist das klar?“

      „Dann hat der Wassermann der Lady eben in den Busen gekniffen“, erklärte Big Old Shane ungerührt.

      „Ha!“ sagte Dan O’Flynn. Und noch einmal: „Ha! Wassermänner, die Meerjungfern in den Busen kneifen! Du spinnst wohl? Ich hab jemanden schreien hören, und er hat um Hilfe geschrien. Meinst du vielleicht, ich hätte Kakerlaken im Ohr?“

      „Das krabbelt, und du würdest sie rauspulen. Also mein ich’s nicht“, erwiderte Big Old Shane und spähte über die Schulter nach Steuerbord, wo nichts weiter als Gischt und Dunkelheit zu erkennen war. „Was soll’s? Wir lenzen vor Topp und Takel, und ich versuche, diesen verdammten Kahn mit dem Windchen laufen zu lassen. Bildest du dir vielleicht ein, ich leg Ruder, um diesen Zossen auf den Kopf zu stellen – nur weil du was gehört hast?“

      „Du hast es nicht gehört?“

      „Nein“, knurrte Big Old Shane.

      „Und doch war da was!“

      „Rutsch mir über die Rah und küß das Kielschwein, Mister O’Flynn!“

      „Ist was?“ Vor ihnen tauchte Matt Davies auf.

      „Hau dich in die Koje!“ fuhr ihn Old Shane an.

      „Warum brüllt ihr euch denn so an?“ blaffte Mister Davies zurück. „Hier stimmt doch was nicht.“

      „Ich hab nicht gebrüllt“, sagte Dan O’Flynn. „Aber im Wasser hat jemand um Hilfe geschrien.“

      „Was du nicht sagst!“ Matt Davies kriegte tellergroße Augen. „Im Wasser?“

      „Ja, an Steuerbord irgendwo.“

      „Irgendwo!“ Big Old Shane war drauf und dran, sich die Haare zu raufen. „Irgendwo! Wo denn, verdammt noch mal? Irgendwo achtern jetzt! In dieser Scheißsee siehst du doch nichts! Soll die ganze Mannschaft hochgepurrt werden, bei diesen irren Westpfeifern die Segel setzen und dann nach Stimmchen suchen, die nur dieser idiotische Mister O’Flynn gehört hat?“

      Dan O’Flynn rammte den rechten Fuß auf die Planken. „Aber es hat jemand um Hilfe geschrien!“

      „Brüll mich nicht an!“

      „Du brüllst doch!“ schmetterte Dan zurück. „Und ich bin kein idiotischer Mister O’Flynn! Was ich gehört habe, das habe ich gehört! Meine Ohren sind genausogut wie meine Augen …“

      „Hast du denn was gesehen?“ unterbrach ihn Matt Davies.

      „Nein, das nicht.“

      „Na


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