Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch. Hall George

Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch - Hall George


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ist der Choralgesang des frühen Mittelalters Welten entfernt von den Klangkaskaden romantischer Komponisten des 19. Jahrhunderts wie Tschaikowsky und Brahms oder von den atonalen Experimenten, die Schönberg im frühen 20. Jahrhundert unternahm. Manchmal kann das Erkunden neuer Klangwelten sogar ein wenig unbehaglich sein, was durchaus in der Absicht des Komponisten liegen mag.

      Mit Das Klassische-Musik-Buch entdecken Sie die großen musikalischen Werke im Kontext der letzten 1000 Jahre. Zu verstehen, wer die Komponisten waren und was sie antrieb, kann neue Einsichten eröffnen, die den Hörgenuss verstärken. Ein bekanntes Stück wie Vivaldis Vier Jahreszeiten bekommt eine ganz neue Dimension, wenn man erfährt, dass Vivaldi erstmals das große Potenzial der Konzertform demonstrierte und sich sein Ruf von Italien nach Deutschland verbreitete, wo er einen jungen Organisten namens Johann Sebastian Bach inspirierte.

      Sie wissen vielleicht, dass Beethoven später im Leben taub war, aber zu wissen, welche seiner Werke er zwar komponierte, aber nie hörte, macht das Hörerlebnis eindringlicher und wundersamer. Zu wissen, dass Mozart tatsächlich ein Popstar im 18. Jahrhundert war, könnte Sie davon überzeugen, es noch einmal mit der Hochzeit des Figaro zu versuchen. Bei der Entstehung einiger der beliebtesten Musikstücke spielten Macht, Mäzenatentum und Zensur eine große Rolle. Wie Sie sehen werden, hielten echte Dramen und Skandale mit der musikalischen Dramatik auf der Bühne und in der Partitur oft Schritt.

      Dies sind also die Welten, in die Sie das Buch, das Sie gerade in Händen halten, einlädt. Es wird Sie auf eine Reise durch die verschiedenen Epochen der Musikgeschichte führen und Ihr Verständnis und Ihre Wertschätzung für einige der größten Werke der klassischen Musik vertiefen. Es wird jeden erfreuen, der die klassische Musik bereits liebt, sich aber bis jetzt noch nicht mit ihrer Geschichte und dem musikalischen Vokabular vertraut gemacht hat. Und vor allem wird es, so hoffe ich, Sie zu einer neuen Art des Zuhörens ermuntern.

      Klassische Musik trägt, wie jede Musik, Leidenschaft im Herzen. Deshalb überdauerten die großen Werke der Vergangenheit Jahrhunderte, deshalb streben zeitgenössische Komponisten immer noch danach, diese Schönheit zu erreichen oder zu übertreffen, und deshalb lieben es Millionen von uns, sie zu spielen oder zu hören. Es gibt so viel wunderbare, leidenschaftliche Musik da draußen – erlauben Sie diesem Buch, Ihre Augen und Ohren dafür zu öffnen.

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       Katie Derham

      EINLEITUNG

      Als wichtiger Bestandteil der menschlichen Kultur ist die Musik mindestens schon seit der Jungsteinzeit ein Merkmal jeder Zivilisation, wie Höhlenmalereien und archäologische Funde beweisen. Die Bezeichnung »klassische Musik« bezieht sich auf die kunstvolle, gehobene Musik der westlichen Zivilisation vom Mittelalter bis zur heutigen Zeit. Im weitesten Sinne deckt sie ein breites musikalisches Spektrum ab und nicht nur die Orchester- oder Klaviermusik, die sich so mancher darunter vorstellt. Dieses Buch zeigt auf, wie sich die klassische Musik als wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur entwickelte, sich über die ganze Welt verbreitete und ihre Zuhörer seit Jahrhunderten erfreut, überrascht und immer wieder Wandlungen unterworfen ist.

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       Kühne Sprünge

      Die heutige Fülle an musikalischen Traditionen und Stilen, angefangen von mittelalterlicher Kirchenmusik und höfischem Minnegesang bis zur Avantgardemusik des 21. Jahrhunderts, entstand Schritt für Schritt, wurde jedoch immer wieder vorangetrieben von aufsehenerregenden Innovationen. Die ersten Opern zum Beispiel, die Ende des 16. Jahrhunderts aufgeführt wurden, revolutionierten sowohl die weltliche als auch die geistliche Musik. Beethovens Sinfonie Nr. 3, die »Eroica«, schockierte Anfang des 19. Jahrhunderts das Publikum mit einer völlig neuen Struktur und der Missachtung klassischer Konventionen ebenso wie 100 Jahre später die Uraufführung von Igor Strawinskys Le Sacre du printemps (»Das Frühlingsopfer«) in Paris.

      Derartige Sprünge definieren die Hauptepochen der klassischen Musik – Alte Musik, Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, Nationalismus, Moderne und Gegenwart –, die sich jeweils in viele weitere Stilrichtungen unterteilen und deren Grenzen häufig fließend sind.

      »Musik ist der soziale Akt der Kommunikation unter den Menschen, eine Geste der Freundschaft …«

       Malcolm Arnold Komponist

       Die Rolle der Kirche

      Wie auch andere Kunstformen wurde und wird die Musik von äußeren Einflüssen geprägt. Zu Beginn war dies vor allem die Kirche. Die westliche klassische Musik entstand in einem von der Kirche dominierten Europa. Der Klerus übte nicht nur beträchtliche politischer Macht aus, er war auch die einzige Bildungsquelle in der Gesellschaft. Die Musik diente nicht der Unterhaltung. Sie war Teil der Gotttesverehrung, bestand aus einem Kanon sakraler Gesänge und wurde von Mönchen ohne Instrumentalbegleitung gesungen.

       Mehrstimmigkeit

      Lange widersetzte sich die Kirche jeglicher Veränderung dieser einstimmigen liturgischen Gesänge. Deren Auf und Ab in der Melodie wurde in den Handschriften durch sogenannte »Neumen« (grafische Zeichen) angezeigt, bis der italienische Mönch Guido von Arezzo im 11. Jahrhundert eine exaktere Art der Darstellung von Tonhöhen erfand, die die Grundlage der heutigen Notation bildet. Parallel dazu entstanden die ersten, zunächst noch einfachen Formen der Mehrstimmigkeit. Die ersten namentlich bekannten Komponisten wirkten im 12. Jahrhundert im Umfeld der Kathedrale Notre Dame in Paris. Im Laufe der Zeit wurde die mehrstimmigen Vokalwerke immer komplexer und unterlagen auch einer rhythmischen Ordnung.

      Mit der Geburt einer neuen kulturellen Bewegung, der Renaissance (1400–1600), begann die Macht der Kirche über Musik und Kultur zu schwinden. Weltliche Musik konnte sich durch die Erfindung des Buchdrucks in ganz Europa verbreiten. Die Musiker standen nicht mehr allein im Dienst der Kirche, sondern arbeiteten auch für mächtige weltliche Herrscher.

      Allerdings verlor die Kirche ihre Macht über die Musik nicht ganz. Nach der Reformation strebte man im protestantischen Nordeuropa nach mehr Textverständlickeit, und auch die katholische Obrigkeit versuchte, die Komplexität der Polyphonie zu reduzieren. Der Musikstil wurde daraufhin einfacher, aber auch expressiver, harmonischer.

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       Musikalische Explosion

      1610 verwendete Monteverdi in der Marienvesper Elemente dieses neuartigen Stils und beschritt damit neue Wege der Sakralmusik. Etwa zur selben Zeit kombinierte eine Gruppe florentinischer Intellktueller, die sich im Haus des Mäzens, Dramatikers und Komponisten Giovanni de’ Bardi traf, zum ersten Mal Musik und Schauspiel miteinander und erfand so die Oper. Sie begeisterte nicht nur die Aristokratie, die weiterhin als Förderer der Komponisten und Interpreten fungierte – auch im Bürgertum stieg die Nachfrage nach Oper und Musik im Allgemeinen, sodass schon bald Opernhäuser, Konzerthallen und öffentliche Theater errichtet wurden.

      Im weiteren Verlauf der Barockzeit nutzten Komponisten wie Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel die Orchester, die ihnen ihre adeligen Gönner zur Verfügung stellten, um immer komplexere Werke zu schaffen. Die Musik des Hochbarock war besonders ausdrucksstark und oft kunstvoll mit Trillern und anderen Verzierungen ausgeschmückt.

      Doch dann zog das Zeitalter der Aufklärung und der Vernunft herauf, und plötzlich wünschte sich das Konzertpublikum elegantere, ausgewogene und klare Musik, was zur klassischen Epoche führte, von der die klassische Musik ihren Namen hat. In kurzer Zeit etablierten klasische Komponisten wie Mozart, Haydn und Beethoven


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