Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch. Hall George
wurden. Im Lauf der Zeit entwickelten sich daraus die Heilige Messe und das Stundengebet (mehrmals tägliche Zusammenkünfte einer Ordensgemeinschaft zum Gebet).
Der hl. Ambrosius in seinem Studierzimmer (Holzschnitzerei um 1500). Für den römischen Bischof war die Hymne, ein Lobgesang, ein elementarer Teil des Gottesdienstes.
Liturgische Gesänge
Mit dem Christentum verbreiteten sich auch dessen Zeremonien. Diese wurden in den Sprachen der Gemeinschaften gefeiert, in denen sie wurzelten, etwa Aramäisch in Palästina und Griechisch in Rom. In der Folge entwickelten sich unterschiedliche Riten wie der mozarabische in Spanien, der gallikanische im römischen Gallien und der ambrosianische, benannt nach Ambrosius, einem mailändischen Bischof des 4. Jahrhunderts.
Von diesen frühen Liturgien blieben nur die römischen und ambrosianischen Choräle erhalten. Wegen ihrer einfachen Melodien ohne Begleitung, die in einer Art Sprechgesang die unmetrische Prosa von Gebeten, Psalmen und der Heiligen Schriften wiedergeben, wurden sie auch Cantus planus (lateinisch für ebener, einfacher Gesang) genannt. Trotz ihrer Unstrukturiertheit folgte diese Musik weitestgehend dem altgriechischen modalen System der siebentönigen Oktaven mit fünf Tönen und zwei Halbtönen.
Es gab responsoriale und antiphonale Choräle. Unter Ersterem versteht man kunstvollere Solo-Gesänge mit einer Antwort des Chors. Die Melodien der antiphonalen Choräle sind einfacher, und der Gesang wechselt zwischen Chor und Gemeinde.
Sowohl der römische als auch der ambrosianische Choralgesang kannten diese beiden Formen, doch der ambrosianische war eleganter und feierlicher als der römische. Er griff verstärkt auf das Melisma zurück, bei dem eine ganze Tonfolge oder Melodie auf einer Silbe gesungen wird, wie es auch heute noch im Nahen Osten und in Asien üblich ist.
Um die Mitte des ersten Jahrtausends gab es so viele unterschiedliche Riten und Choräle, dass Papst Gregor I. (590–604) versuchte, sie zu vereinheitlichen. Er stärkte den römischen Ritus und soll die Gründung einer päpstlichen schola cantorum (Chorschule) initiiert haben.
Der gregorianische Choral Hodie Cantandus (»Heute müssen wir singen«) des irischen Mönchs Tuotilo aus dem 10. Jh. wurde in dieser Handschrift mit Neumen versehen.
Großes Repertoire
Unter Pippin und Karl dem Großen wurden römische Gesänge durch Elemente des ebenfalls gebräuchlichen gallikanischen Stils bereichert. Aus dieser erweiterten Sammlung erwuchsen schließlich die heute noch gesungenen gregorianischen Choräle. Sie bilden die Grundlage für die weitere Entwicklung der Musik und ihrer Notation in Mittelalter und Renaissance.
Die Heilige Messe
Erst etwa im 11. Jahrhundert nahm die Heilige Messe ihre endgültige Form an. Ihre Musik, das Graduale, ist in einem gleichnamigen Chorbuch enthalten, das sich wiederum in das Ordinarium (gleichbleibende Texte) und das Proprium (nach Anlass wechselnde Texte) unterteilt.
Das Ordinarium beinhaltet fünf Gesänge. Der erste, Kyrie eleison (»Herr, erbarme dich«), ist ein altgriechischer Text (die Sprache des römischen Ritus bis etwa zum 4. Jahrhundert); der zweite, Gloria in excelsis Deo (»Ehre sei Gott in der Höhe«), wurde im 7. Jahrhundert eingeführt; der dritte, das Credo (»Ich glaube«), wurde 1014 aufgenommen (soll jedoch aus dem 4. Jahrhundert stammen); und der vierte Gesang, das Sanctus (»Heilig«), wurzelt in der jüdischen Liturige und wurde vor Papst Gregors I. Reform Teil des römischen Ritus. Der fünfte, Agnus Dei (»Lamm Gottes«), wurde im 7. Jahrhundert von einem syrischen Ritus übernommen.
Der Ritus der Heiligen Messe basiert auf dem letzten Abendmahl von Jesus und seinen Jüngern (Illustration aus einer Handschrift des 6. Jh.).
UT, RE, MI, FA, SOL, LA
MICROLOGUS (UM 1026), GUIDO V. AREZZO
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Frühe Formen der Notation
FRÜHER
500 Der römische Senator und Philosoph Boethius verfasst das Lehrbuch für Musiktheorie De institutione musica, das noch im 16. Jh. im Gebrauch ist.
935 In Frankreich benennt Odo von Cluny in seinem Werk Dialogus de musica die Tonhöhen zum ersten Mal mit den Buchstaben A bis G.
SPÄTER
1240 In Paris verfasst Johannes de Garlandia De mensurabili musica, in dem er die Notation von Rhythmus beschreibt.
Um 1280 Franco von Köln stellt in Ars cantus mensurabilis die Mensuralnotation vor, die Vorläuferin der heutigen Darstellung von Tonlängen.
Die moderne westliche Notation nahm Ende des ersten Jahrtausends ihren Anfang in den europäischen Klöstern. Die ältesten musikalischen Symbole, die sogenannten Neumen, waren einfache Pinselstriche, die den Mönchen beim Singen der Choräle anzeigten, ob die Melodie anstieg, abfiel oder auf gleicher Höhe verharrte. Erste Zeugnisse finden sich bereits im 9. Jahrhundert.
Diastematische, die Tonhöhe anzeigende Neumen brachten mehr Klarheit in die Notation, da eine einzelne Querlinie auf dem Notenblatt fortan eine Art Horizont bot, an dem sich der Sänger in der Tonhöhe orientieren konnte. Dennoch boten die diastematischen Neumen viel Raum für Fehlinterpretation, sodass eine Präzisierung nötig war.
Notenlinien
Die Lösung wird Guido von Arezzo zugeschrieben, einem italienischen Mönch und Musiktheoretiker (der jedoch vermutlich nur formalisierte, was bereits Praxis war). Er zog vier horizontale Linien im Terzabstand für die Notation, sodass der Sänger die Bewegung der Melodie genau erkennen konnte. Bei der guidonischen Notation wurde manchmal die C-Notenlinie gelb und die F-Linie rot gezeichnet. Damit war nicht nur die Tonhöhe von Note zu Note festgelegt; der Sänger wusste auch auf einen Blick, mit welcher Note er beginnen musste.
Die Guidonische Hand lehrte Mönche auf einfache Weise die 20 Noten der mittelalterlichen Choräle.
In dem Traktat Micrologus (um 1026) beschreibt Guido von Arezzo das musikalische Hilfsmittel, für das er berühmt wurde, die Guidonische Hand. Dabei handelt es sich um eine didaktische Methode, mit der sich die Mönche ganz einfach im damaligen Tonsystem zurechtfinden konnten. Guido benutzte dazu dieselben Notenbezeichnungen von A bis G, wie wir sie heute kennen. Die Choräle umfassten knapp drei Oktaven mit insgesamt 20 Noten, die er spiralförmig den Fingergelenken und -spitzen der Hand zuordnete. Der Mönchsnovize zeigte auf die Spitze seines linken Daumens und sang ein tiefes G. Dann legte er den Finger auf das Mittelgelenk des Daumens und sang den nächsthöheren Ton, ein tiefes A. So fuhr er fort, nacheinander alle Fingergelenke und -spitzen zu berühren und dabei alle 20 Noten zu singen (wobei er ins Falsett fiel, sobald die Spirale enger wurde und die Tonhöhe anstieg).
»Ich habe beschlossen,