Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur. Philip José Farmer

Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur - Philip José Farmer


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Atlantis

       Eine Veröffentlichung des

       Atlantis-Verlages, Stolberg

       Mai 2021

       Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin

       Titelbild, Innengrafiken und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel

       Satz: André Piotrowski

       ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-777-2

       ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-786-4

       Besuchen Sie uns im Internet:

       www.atlantis-verlag.de

      Vorwort – Zurück in der Baker Street

      Es gab eine Zeit, da waren die Welt von Sherlock Holmes und die Baker Street 221B im viktorianischen London das Zentrum meines Fiction-Schaffens. Diese Zeit liegt gefühlt eine halbe Ewigkeit und viele Geschichten, Projekte und Tastaturanschläge zurück. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet 2021 noch mal eine neue Sammlung mit Holmes-Storys von mir herauskommen würde.

      Eigentlich sprachen Atlantis-Verleger Guido Latz und ich im Sommer 2020 über einen Band mit meinen Kurzgeschichten aus den Bereichen Science-Fiction, Fantasy, Krimi und Horror, die in den letzten Jahren hier und dort erschienen sind – vermutlich wären aus Sherlockianer-Sicht bestenfalls zwei Moriarty-Alternativwelt-Storys ins Buch gekommen. Während unserer Sondierungsgespräche sagte der Napoleon des Verlegens zu meiner Überraschung unvermittelt, dass er auch gerne mal wieder einen Holmes-Band von mir bei Atlantis sähe.

      Da erinnerte ich mich natürlich sofort an eine nie zustande gekommene Holmes-Sammlung, die ich 2011 als Nachfolger der Crossover-Kurzgeschichten in »Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes« geplant hatte, mit einem Dutzend Titeln, Ideen und sogar schon Fragmenten für neue Pastiche-Erzählungen im entsprechenden Ordner auf der Festplatte.

      Dieses Buch hier ist nicht die damals skizzierte, nie realisierte Sammlung.

      Die Titelstory »Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur«, die ich in der zweiten Jahreshälfte 2020 eigens geschrieben habe, basiert allerdings tatsächlich auf der Outline und den ersten grob geplotteten Szenen von damals. Ähnliches gilt für »Eine Studie in Fuchsrot«, »Lestrades Erwachen« und »Der Mann mit dem aufrechten Gang«, die ihrerseits im Sommer 2020 geschrieben wurden und neben »Von Tür zu Tür« und – mit Abstrichen – »Sherlock Holmes in der Bibliothek des Drachen« die Erstveröffentlichungen in diesem Band darstellen.

      Darüber hinaus versammelt dieses Buch allerhand Holmes-Geschichten von mir, die vorher noch nie kompiliert wurden, weil sie über Jahre und Verlage verstreut in Anthologien, Magazinen oder etwa einem Guide zur SherloCon abgedruckt waren oder als E-Book-Single publiziert wurden. Wer sich für die Einzelheiten und ein paar Anekdoten interessiert, findet hinten in diesem Band einige Anmerkungen zu den Texten (die ich für diese Sammlung übrigens so weit wie möglich in ihrem Originalzustand belassen, nur an wenigen Stellen leicht optimiert oder ergänzt habe, wo es mir unumgänglich schien).

      Obwohl diese Kollektion also etwas völlig anderes wurde als das, was ich mir vor zehn Jahren ausgemalt habe und am liebsten schon parallel zum Roman »Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen« verwirklicht hätte, bin ich von der Zusammenstellung und dem Ergebnis sehr erfreut. Klar, um nicht zu sagen: elementar. Als Autor gefällt es einem immer, wenn die in die Welt hinausgeschickten Storys noch einmal zu einem zurückkehren und beim Familientreffen ohne viel Streit zusammenrücken, sie Seite an Seite präsentiert und womöglich einer anderen, neuen Leserschaft zugänglich gemacht werden als beim ursprünglichen Erscheinen.

      Außerdem habe ich bei der Arbeit an dieser Sammlung gemerkt, dass die Baker Street zwar bei Weitem nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit als Autor sein mag und ich die Chronologie des Kanons nach Baring-Gould nicht mehr ganz so einfach nachts um drei auswendig rückwärts aufsagen kann, es aber trotzdem noch immer die Rückkehr in eine extrem vertraute Umgebung und zu alten Freunden ist. Holmes und Watson werden immer einen besonderen Platz in meinem Autorenherz haben und schreiberisch sofort präsent sein.

      Und wer weiß? Vielleicht ist dies ja nicht die letzte Wiedervereinigung, nicht das letzte Revival in den heiligen Hallen von 221B.

      Die Zäsur gehört schließlich zum Holmes-Mythos, mit Wasserfall oder ohne.

      Viel Vergnügen bei der Lektüre dieser neuen und alten, bekannten und unbekannten, realistischen und fantastischen Holmes-Pastiches aus fast 20 Jahren!

      Christian Endres

       Anfang 2021 in 221B

      Ouvertüre

      Nach dem Mittagessen mit meiner bezaubernden Verlobten Mary sowie einem daran anschließenden Hausbesuch beim herzschwachen Blechbüchsen-Baron Mr. Stark kehrte ich in die Baker Street zurück, wo Mrs. Hudson mich unten im Flur abpasste.

      Plötzlich hatte ich ein ganz mieses Gefühl.

      »Sie müssen ihn aufhalten«, sagte unsere Haushälterin, die eigentlich unerschütterlich war, was die Eskapaden meines Mitbewohners und Freundes Mr. Sherlock Holmes anging. »Ich flehe Sie an, Doktor!«

      »Was hat er jetzt wieder getan?«, seufzte ich.

      Sie schüttelte nur den Kopf. »Bitte reden Sie mit ihm. Auf Sie hört er.«

      »Dass die Leute das immer glauben«, brummte ich. »Ich rede mit ihm«, versprach ich dennoch und machte mich daran, die siebzehn knarzenden Stufen nach oben zu steigen.

      Als ich die Tür zu dem Reich öffnete, das ich mir mit dem berühmten Detektiv teilte, war ich auf vieles gefasst, aber nicht auf das.

      Auf dem Sofa im Salon döste ein riesiger Tiger. Meinen Lieblingssessel hatte indes ein komplett behaarter, ansonsten jedoch nackter Vorläufer des Neandertalers in Beschlag genommen. Im Sessel daneben saß eine Gestalt, die durch eine rote Kutte mit Kapuze komplett verhüllt wurde. Unter dem Esstisch kauerte ein Fuchs und zernagte einen meiner Schuhe. Irgendetwas war dabei, den Klingelzug mit einem Messer vom Frühstück zu sabotieren. Am Hutständer schaukelten drei Berberaffen – als er kippte, fing ich ihn auf, und die Tiere hüpften auf mich und von mir aus auf ein Regal mit signierten Werken von Freunden wie Kipling und Wilde.

      Holmes schien all dies nicht zu bemerken. Er zog gelassen an seiner Pfeife und machte sich Notizen an seinem Schreibtisch, der mit Büchern, Beweisstücken, Karten, Zeitungen, einem Mikroskop und anderem beladen war.

      »Ah, Watson – da sind Sie ja! Es gibt Neuigkeiten im Fall der 42 Napoleons. Wir müssen sofort …«

      »Holmes!«, donnerte ich, woraufhin der Tiger die Augen aufschlug und mich direkt anstarrte. »Holmes«, sagte ich darum merklich ruhiger. »Was geht hier vor? Sie verwandeln diese Wohnung ja in einen Zoo.«

      »Keineswegs, Watson.«

      »Was soll diese Menagerie denn sonst sein?«

      »Nun, eine neue Sammlung Fälle natürlich! Ihr Agent Mr. Endres brachte unsere Gäste vorhin vorbei und sagte, sie alle gehörten zu Ihrem neuen Buch mit Berichten über meine Arbeit. Sie werden ja ganz blass, alter Knabe. Wollten Sie das nicht immer? Dass ihre Geschichten lebendig werden?«

      »Ich muss mich setzen«, murmelte ich.

      »Neben dem Tiger ist noch Platz«, sagte Holmes amüsiert.

      Frühstück für Sherlock Holmes

      Nur wenige Tage bevor wir im Dartmoor eine der gefährlichsten Episoden erleben sollten, die ich als Chronist der Fälle des großen Sherlock Holmes jemals bezeugt und niedergeschrieben habe, kam Inspector Hopkins zu unschicklich früher Stunde in die Baker Street. Nicht nur hatte an diesem Morgen im September des Jahres 1888 der Name Baskerville für uns noch keine


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