Seewölfe - Piraten der Weltmeere 353. Davis J.Harbord
„Das werden Sie noch bereuen!“ zischte der Capitán.
„Oder Sie“, erwiderte Don Julio eisig. „Ich verlange, daß die zwanzig Soldaten nach Ankunft in Vera Cruz auf dem schnellsten Wege hierher zurückgeschickt werden.“
„Sie haben gar nichts zu verlangen, Sie kleiner Hampelmann!“ Grußlos drehte sich der Capitán um, ging zurück an Bord und ließ Don Julio einfach stehen. Der biß die Zähne zusammen und schwor sich, dem Vizekönig eine geharnischte Beschwerde zu schicken. Dieser Capitán Don Francisco de Albrandes hatte seine Kompetenzen weit überschritten, das stand fest. Dazu war er auch noch beleidigend geworden. Don Julio Costa Cordes war nicht der Mann, sich so etwas bieten zu lassen.
Erst zwanzig Minuten später rückten die zwanzig Soldaten an, nicht sonderlich eilig und auch nicht besonders entzückt, den Stützpunkt verlassen zu müssen, um auf einer vom Hurrikan zerzausten Kriegsgaleone als Gefangenenwärter Dienst zu tun. Sie gehörten zur Landtruppe und waren keine Seesoldaten. Daher schmeckte ihnen dieses Kommando überhaupt nicht, und das war ihnen anzusehen.
Don Julio vergatterte sie, daß sie nach Erledigung ihrer Aufgabe sofort zum Stützpunkt zurückzukehren hätten, und ernannte einen älteren Soldaten zum diensttuenden Sargento.
Die zwanzig Soldaten marschierten mit ihrem Gepäck an Bord. Kurz darauf wurden die Stelling eingeholt und die Leinen gelöst, und die „Santa Rosa“ verließ den Hafen von Punta Roca Partida mit Kurs auf Vera Cruz.
„Und wie sollen wir jetzt unsere Minenarbeiter bewachen?“ fragte der Sargento. „Ich habe – mich abgerechnet – alle restlichen fünfzehn Mann zur Zeit eingesetzt.“
„Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler“, erwiderte Don Julio düster.
„Dieser Capitán – mit Verlaub – ist total übergeschnappt“, sagte der Sargento erbittert.
„Wem sagen Sie das“, murmelte Don Julio.
Wie gesagt, mit diesem Abzug von zwanzig Soldaten der Wachmannschaft am Mittag des 23. September begann der Ärger für Don Julio Costa Cordes. Es war erst der Anfang. Allerdings erfolgte der nächste Schlag von einer ganz anderen Seite, und es waren auch nicht die einhundertachtzig farbigen Arbeitssklaven, von denen die Gunst der Stunde zu einem Aufstand genutzt wurde.
2.
Von den einhundertachtzig Minenarbeitern, die zur Zeit in der spanischen Goldmine von Punta Roca Partida im Schweiße ihres Angesichts schufteten, ahnte nicht ein einziger, was sich an diesem Mittag unten im Hafen abgespielt hatte. Und Don Julio gab an den Rest seiner Soldaten auch den Befehl aus, den Abzug der zwanzig Kameraden vor den Minenarbeitern streng geheimzuhalten.
Dennoch waren die Vorgänge gegen Mittag am Hafen aufmerksam beobachtet worden.
Die beiden Männer lagen bereits seit dem Vormittag in guter Deckung zwischen den Felsen, von denen das Lager und die Mine auf der Landseite umgeben waren. Hier war ein Bergland vulkanischen Ursprungs, das sich bis an den Golf von Campecke heranschob. An der Küste ragten also Steilfelsen auf, durchbrochen von Buchten und fjordartigen Kesseln.
Die beiden Männer lagen auf der nordwestlichen Seite der Mine, und zwar in überhöhter Deckung, so daß sie von oben einen guten Überblick hatten. Außerdem waren sie mit Spektiven ausgerüstet. So war ihnen nichts entgangen. Sie hatten die heransegelnde Galeone bemerkt, waren Augenzeugen des Disputs unten im Hafen geworden, hatten gesehen, wie die zwanzig Soldaten an Bord der Galeone marschierten und wie die Galeone dann an der Küste entlang nach Nordwesten segelte.
Daß der spanische Kommandant und sein Sargento sauer waren, hatten sie ebenfalls registriert – ebenso wie den erregten Wortwechsel zwischen dem Kommandanten der Galeone und dem Lagerkommandanten.
Als die Galeone nach Nordwesten abzog, grinsten sie sich beide an. In diesem Moment ähnelten sie zwei Wölfen, die sich ihrer Beute sicher sind.
Sie waren Wölfe – Küstenwölfe.
Sie waren sogar die Rudelführer einer vierzigköpfigen Meute, die im Golf von Campeche bis hinüber nach Cuba dem Handwerk der Piraterie nachging, in diesem Falle aber den ganz großen Coup hier bei der Goldmine von Punta Roca Partida landen wollte.
Vor ein paar Wochen waren sie mit ihrem 300-Tonnen-Dreimaster „Vergulde Sonne“ an dieser Küste entlanggesegelt und hatten aus reinem Zufall die Minenanlage entdeckt. Da waren sie stutzig geworden. Daß hier eine Mine der Spanier liegen sollte, war ihnen bisher unbekannt gewesen.
Jan Ledebur, ein Holländer und der Häuptling dieser Meute, war ein ausgekochter Schnapphahn, ausgekocht insofern, daß er nie wild drauflosschlug, sondern seine Beutezüge exakt plante, ohne dabei ein allzu großes Risiko einzugehen. Das hatte sich bisher bewährt, und er hatte keinen Grund, von dieser Methode abzugehen.
Im Fall der Goldmine hatte er gründlich recherchiert, das heißt, erst durch eine mehrtägige Beobachtung hatte er erfahren, daß hier Gold abgebaut und gleich an Ort und Stelle in Barren umgegossen wurde.
Gleichzeitig war von den heimlichen Beobachtern festgestellt worden, wie viele Sklaven in der Mine arbeiteten und von wie vielen Soldaten die Mine bewacht wurde. Der Gedanke an die Goldbarren, die in der Mine zum Zugreifen lagerten, hätte bei den meisten Schnapphähnen die Reaktion zum sofortigen Beutereißen ausgelöst. Nicht so bei Jan Ledebur, der völlig kalt blieb, solange er plante.
Er hatte sich also Zeit gelassen, um über sein Vorgehen in Ruhe nachzudenken. Gleichzeitig war die Mine ständig weiter beobachtet worden. In der ganzen Zeit lag die „Vergulde Sonne“ in einer versteckten Nebenbucht eine halbe Meile nordwestlich von Punta Roca Partida.
Jan Ledebur hatte eine Skizze von Punta Roca Partida und der Umgebung angefertigt, er hatte die Zeiten der Wachablösungen notieren lassen, er hatte die Punkte markiert, wo sich die Posten tagsüber und bei Nacht aufhielten, er hatte feststellen lassen, wann der Lagerkommandant die Posten und die Mine kontrollierte – kurz, er hatte sich mit geradezu penetranter Gründlichkeit ein Bild über die spanische Goldmine verschafft.
Und jetzt war sein Warten sogar noch belohnt worden.
Der andere Mann, der neben ihm lag und den Vormittag über die Mine mit beobachtet hatte, war sein Unterführer Mordekai, ein Kerl, der gleich ihm ausgefuchst, aber auch geduldig war. Als Schnapphähne waren sie ein gutes Gespann.
Jan Ledebur schob sich das Kopftuch, das er zu tragen pflegte, etwas aus der Stirn und sagte grinsend: „Na, ist das nicht ein schöner Tag? Und wie gut, daß wir noch nicht zugepackt haben!“
Mordekai, ein Kerl mit zynischen Augen und einem harten Kinn, grinste zurück.
„Zwanzig Soldaten weniger!“ sagte er. „Bleiben noch sechzehn und der Kommandant. Ein feines Spielchen, wenn du mich fragst!“
„Nicht übermütig werden, mein Guter!“ Jan Ledebur drohte schelmisch mit dem Finger.
„Dennoch verdient der Galeonenkommandant einen Kuß!“
„Von dir, eh? Der wird sich bedanken.“ Sie grinsten sich wieder an. Dann wurde Jan Ledebur sachlich. „Was meinst du, warum er dem Kommandanten zwanzig von seinen behelmten Kürbishosen abgezwackt hat?“
Mordekai wiegte den Kopf. „Die Galeone war ziemlich abgetakelt, was vermuten läßt, daß sie von dem Hurrikan erwischt wurde. Das waren keine Gefechtsschäden. Könnte also sein, daß die Olivenfresser Ersatz für Leute brauchten, die ihnen im Sturm außenbords gegangen waren. Der Lagerkommandant war jedenfalls nicht sehr entzückt darüber, daß er zwanzig Kürbishosen abgeben mußte.“
„Wäre ich an seiner Stelle auch nicht“, sagte Jan Ledebur nachdenklich. „Sechzehn Soldaten, ein Sargento und ein Kommandant gegen einhundertachtzig Sklaven – mein lieber Mann! Wenn die wild werden, können wir unseren Coup hier vergessen.“
„Der Kommandant wird nicht so dämlich sein und ihnen auf die Nase binden, daß sie nur noch von sechzehn Kürbishosen