Seewölfe - Piraten der Weltmeere 116. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 116 - Roy Palmer


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er seine Zähne.

      „Ich könnte euch alle umbringen“, knurrte er. „Keiner von euch hat eine Waffe, und in mir steckt genug Kraft, euch einen nach dem anderen zu zerbrechen. Aber ich tue es nicht. Ich brauche Kerle, die mich zum Land bringen, und eine Besatzung für das neue Schiff, das ich mir suchen werde. Das Kommando gehört mir. Ich bin der Kapitän, verstanden?“

      Sie nickten stumm.

      Sui wandte sich zu dem Ruderer um. Dem Burschen wurden plötzlich die Knie weich.

      „Auf was wartest du?“ fuhr Sui ihn an.

      Da packte der Mann die beiden Riemen und stemmte sich dagegen.

      Sui hockte mit aufgestützten Armen und atmete schnaufend. Sein Blick glitt über die Schwerverletzten. Fünf waren es noch. Unnützer Ballast, dachte er verächtlich, wer nicht mehr gesundet, den werde ich mir vom Hals schaffen.

      Der einzige, der auf Fei Yen dem Haufen wilder Kerle noch halbwegs menschliche Anwandlungen entgegengebracht hatte, war der Feldscher gewesen. Er hatte die sechs Schwerverletzten sogar vor Khai Wang in Schutz genommen, als dieser alle Kampfuntauglichen kurzerhand außenbords hatte werfen wollen.

      Doch der Feldscher lebte nicht mehr. Auch er war in dem Kampf gegen die „Isabella“ auf der Strecke geblieben.

      Sui bewegte den bulligen Schädel und hielt nach den Rückflossen der Haie Ausschau. Plötzlich senkte er den Kopf ein wenig und verengte die Augen.

      Da, dort waren sie – zwei, und sie strichen lautlos auf die Stelle zu, an der Sui den Kumpan ertränkt hatte, der ihn gewürgt hatte. Die stille Szene belegte Sui fast mit einer Art Bann. Kaum mochte er sich von dem Anblick lösen.

      Dann wanderte sein Blick jedoch weiter nach achtern, und er entdeckte die vier Gestalten, die rasch auf das Bootsheck zuglitten. Einer hielt sich mit den Händen an einem Plankenrest fest. Er stieß das Stück Holz vor sich her und bewegte die Beine auf und ab.

      Sui erkannte den Japaner. Dessen Gesicht war ihm von einer früheren Begegnung her in Erinnerung geblieben.

      „Nakamura“, sagte Sui laut. „Wenn du glaubst, daß ich dich und deine drei Kerle aufnehme, hast du dich geirrt.“ Er winkte dem Ruderer herrisch zu. „Pull auf die Küste zu, du Hund, oder du lernst mich kennen. Schneller, verdammt noch mal, schneller!“

      Gewiß, Sui hätte Nakamura helfen können. Der Sampan war zwar überladen, aber Sui war skrupellos genug, um schnelle Abhilfe zu schaffen. Er hätte es fertiggebracht, die fünf Schwerverletzten der See zu übergeben. Auf diese Weise hätte es für den Japaner und seine drei Begleiter genügend Platz gegeben.

      Aber da war noch etwas anderes. Sui traute Nakamura, Dschou, Lai und Tijang nicht über den Weg. Wenn Sui schon nicht mit den eigenen Kumpanen in friedlichem Einvernehmen stand – wie konnte er sich da mit den Leuten von de Romaes zusammentun?

      Sie gehörten nun mal nicht zu Fei Yen. Daß sie mit ihrer Galeone in den Kampf gegen die Seewölfe eingegriffen hatten, war für Sui auch von höchst nebensächlicher Bedeutung. Hatten sie denn etwas ausrichten können? Im Gegenteil. Sie hatten schmählich versagt. Sie waren Versager. Was wollten sie also noch?

      Sui war heilfroh, wenn er selbst noch bei Tageslicht das Festland erreichte.

      Er verzog seine breiten Lippen zu einem verächtlichen Grinsen. „Ersauft, ihr taugt ja doch zu nichts. Die Haie werden sich freuen.“

      Aber Nakamura, Dschou, Lai und Tijang waren schneller heran, als er gedacht hatte. Zuviel Zeit war durch den Kampf Suis mit seinen Kumpanen verlorengegangen, und zu wenig Aufmerksamkeit hatten sie alle den Heranschwimmenden geschenkt.

      Jetzt tauchten die vier, schoben sich wieder mit Köpfen und Oberkörpern aus dem Wasser – und waren rechts und links neben dem Sampan. Sie klammerten sich fest.

      Sui unternahm eine Gebärde zu dem Ruderer hin. Der Bursche sollte wieder die Riemen zum Einsatz bringen, um die lästigen Verfolger zu verscheuchen. Ein paar Hiebe auf die Finger dieser Kerle, und sie würden schon von dem Sampan ablassen.

      Aber dann sah Sui zu seinem Entsetzen, wie in Nakamuras Hand ein Messer aufblitzte.

      2.

      Der Seewolf hatte Kurs auf die Meerenge genommen, die sich zwischen der nördlich gelegenen Halbinsel Liaotung und der Halbinsel Shantung im Süden erstreckte. Bald würden sie den Golf von Chihli erreicht haben. Hasard dachte nur an das, was vor ihnen lag. Von der Tragödie, die südlich der „Isabella“ ihren Lauf nahm, ahnten weder er noch seine Männer etwas.

      Außerdem wurden die Seewölfe, Siri-Tong, Ch’ing-chao Li-Hsia und Fong Ch’ang viel zu sehr durch die Ereignisse an Bord in Anspruch genommen, um Mutmaßungen über das Schicksal der überlebenden Piraten anstellen zu können.

      In der Vorpiek war plötzlich der Teufel los.

      Matt Davies und Luke Morgan hatten laut Edwin Carberrys Befehl vor dem Schott des finsteren Lochs im Vordeck Posten bezogen. Als hinter dem Schott das Poltern, Scharren und Keuchen einsetzte, blickten sie sich an. Das Sonnenlicht drang nur schwach durch ein paar Ritzen bis in den Gang vor der Vorpiek, aber Luke Morgan sah trotzdem das Grinsen, das auf Matts Zügen erschien.

      „Hört sich ganz nach einer Keilerei an“, sagte Matt. „Oder?“

      Luke erwiderte trocken: „Witze erzählen sich die beiden bestimmt nicht.“

      „Khai Wang ist zu sich gekommen.“

      „Aber wieso schlägt er sich mit seinem Steuermann?“

      „Das weiß der Henker“, erwiderte Matt achselzuckend. „Auf jeden Fall wäre es besser gewesen, wenn wir sie gefesselt hätten.“

      Luke schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, was Hasard angeordnet hat. Er legt einem Gefangenen erst Armbänder an, wenn der Kerl sich aufsässig gebärdet oder sonstwie üblen Mist baut.“

      „Fair“, meinte Matt. „Aber zu menschlich für Hunde wie Khai Wang und Wu. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn Hasard Siri-Tong nicht gebremst hätte. Sie hätte Khai Wang und Wu doch am liebsten gleich an Bord der Dschunke niedergestochen. Nun hör dir das an!“

      Das Rumoren in der Vorpiek hatte zugenommen. Dumpfe Schläge ertönten, chinesische Flüche, Kratzen, Rumpeln und das Treten nackter Füße gegen Planken und Schott.

      „Was tun wir?“ fragte Luke. „Lassen wir die Halunken raufen? Es ist ja zu ihrem eigenen Schaden, nicht zu unserem.“

      „Wir sollen jedes Vorkommnis melden, hat Carberry gesagt.“ Matt sah den Kameraden mit gerunzelter Stirn an. „Wir haben unsere klaren Anweisungen. Hast du das vergessen?“

      „Nein. Ich finde nur, ein paar Beulen und Schrammen stehen den beiden Kerlen dort drinnen ganz gut.“ Luke wies auf das Schott.

      „Ganz meiner Meinung. Aber wenn der Profos nachher sieht, wie hübsch blau und rot diese Dellen schillern, fragt er uns doch, ob wir das nicht gehört und warum wir ihm nicht Bescheid gesagt haben“, sagte Matt Davies.

      „Auch wahr.“

      „Also. Ich gehe jetzt ’rauf.“ Matt wandte sich dem Niedergang zu.

      Luke hielt ihn am Arm fest. „Hör mal. Sollten wir die beiden Kerle nicht lieber vorher zur Räson bringen?“

      „Luke, es ist besser, wenn wir dazu Verstärkung holen. Carberry hat uns doch auch das eingeschärft. Sag mal, leidest du an Gedächtnisschwund oder so?“

      „Ach, Quatsch. Es ist bloß lächerlich, daß wir auch noch Hilfe brauchen, um diese verdammten Gelbmänner zu bändigen. Mit denen werden wir auch allein fertig.“

      „Nein.“

      „He, wie war das?“

      „Khai Wang und Wu sind zusammen gefährlicher als die ganze Piek voll Schlangen“, sagte Matt Davies ruhig. „Denk daran. Hasard


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