Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
Kapitel 5
1.
Sabreras’ Hütte war nur noch ein schwärzliches Gerippe in den höher und höher leckenden Flammen. Wie heißes Blei schmolzen die letzten Reste des Baus dahin, krümmten sich und stürzten mit Knistern und Knacken in sich zusammen. Der Feuerschein war ein Fanal in der Nacht Er erhellte die steile Wand des Talkessels und zeichnete geisterhafte Muster darauf. Die Urwaldbäume hockten da wie stumme Riesen, die abwartend dem Prasseln der Flammen und dem Rufen der Männer lauschten.
Hasard stand in steifer Haltung vor dem Munitionsdepot der Spanier. Sein Triumphgefühl war empfindlich geschwächt worden. Ihm war zumute, als habe man ihm soeben einen Faustschlag ins Gesicht verpaßt.
Denn – bei allem Erfolg der Befreiungsaktion – Sebreras, der verbrecherische Kommandant und Ausbeuter der Smaragdmine, hatte während des Kampfes das Weite gesucht. Niemand hatte ihn stoppen können. Ja, er war entwischt, ohne daß die Seewölfe und ihre Freunde es auch nur bemerkt hatten.
„Verfluchter Mist“, sagte Hasard leise. „Das hätte uns nicht passieren dürfen.“ Er blickte zu Siri-Tong, die neben ihm stand. „Aber wir fassen den Hund noch, das schwöre ich dir. Und auch die wertvolle Smaragdkrone der Chibchas holen wir uns wieder.“
„Wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir ihn noch einholen wollen“, erwiderte die Rote Korsarin. Mut und unbeugsamer Stolz sprachen aus ihrem Blick. Auch Sabreras hatte sie nicht unterwerfen können. Obwohl er sie mit einem Messer bedroht hatte, konnte sie ihn überrumpeln.
Hasard blickte in den verfilzt und undurchdringlich wirkenden Wildwuchs des Busches. Grübelnd zog er die Unterlippe zwischen die Zähne, schüttelte dann den Kopf und sagte: „Zu Land kriegen wir ihn ohnehin nicht mehr. Das ist Tatsache.“
„Und? Meinst du damit etwa, daß er den natürlichen Hafen erreicht, in dem die Smaragdschiffe ankern?“
„Ja.“
„Himmel, Hasard, das hört sich aber entmutigend an“, sagte sie. „Gibst du etwa auf?“
Gewiß, er hatte sich nach dem Ausbruch aus der Höhle und dem Kampf plötzlich unglaublich müde und ausgelaugt gefühlt. Aber das war nur ein Moment gewesen. Aber das war vorbei. Er hob den Kopf, sah sie an und grinste. „Ich gebe mich nur keinen falschen Hoffnungen hin. Auf See haben wir bestimmt mehr Aussichten, Sabreras auch wirklich zu stellen. Das Wasser ist unser Element.“ Er beschrieb eine Gebärde zum Urwald hin. „Nicht der Dschungel, in dem der Spanier garantiert rascher vorankommt als wir.“
„Dann beeilen wir uns doch wenigstens“, forderte Siri-Tong, und ihre dunklen Augen blitzten den Seewolf an.
Hasard ging zu seinen Männern. Sie hatten sich auf dem Platz zwischen den Hütten versammelt und blickten auf die toten und verwundeten spanischen Soldaten zu ihren Füßen. Die Chibcha-Indianer wollten die Männer, die sie so furchtbar geknechtet und gequält hatten; bespucken und mit den Füßen treten. Aber Carberry stellte sich mitten zwischen sie und breitete die Arme aus.
„Laßt das!“ rief er in seinem holprigen Spanisch. „Haltet euch zurück. Hölle und Teufel, es hat doch keinen Sinn, daß ihr eure Wut jetzt noch an ihnen auslaßt!“
Es war ein kurzer und heftiger Kampf gewesen, der an Dramatik wohl kaum zu übertreffen war. Praktisch ohne Waffen hatten sich die Seewölfe von ihren Ketten befreit und auf die Spanier gestürzt – und wenn Ferris Tuckers großartige „Höllenflasche“ nicht unter den heranstürmenden Wachtposten explodiert wäre, hätte die ganze Sache ziemlich übel ausgehen können.
Hasard und seine Männer hatten auch die Siri-Tong-Piraten befreien können. Unterdessen hatten sich auch die Chibchas, diese armen Teufel, von ihren Elendslagern im Freien aufgerafft und den weißen Mitgefangenen angeschlossen.
Das war ein Fehler der Spanier gewesen. Sie hatten die Indianer unterschätzt und sie nicht einmal mehr in Ketten gelegt, weil sie geglaubt hatten, sie seien durch die Fronarbeit zu Tode erschöpft.
Die Chibchas waren zu wandelnden Skeletten abgemagert, aber der Haß in ihnen war ein glimmender Funke, der unversehens zur Flamme aufschießen konnte. So hatten die Spanier sich plötzlich einer Übermacht gegenüber gesehen. Als die Sklaven dann auch noch Schußwaffen an sich gerissen hatten, war die Partie so gut wie entschieden gewesen.
Siri-Tong hatte sich zur selben Zeit aus dem zudringlichen Griff von Sabreras befreit, dessen Hütte fluchtartig verlassen und war zwischen die Fronten geraten. Die Öllampe, die sie in der Hütte umgerissen, und das Talglicht, das sie auf Sabreras geschleudert hatte, hatten das Feuer entfacht.
Der Seewolf hatte eigentlich das Munitionsdepot in die Luft sprengen wollen, inzwischen aber eingesehen, daß er die von den Spaniern gehorteten Waffen, das Pulver und das Blei noch gut gebrauchen konnte.
Dies war der kurze Abriß des Kampfes, der nur Minuten gedauert hatte. Inzwischen schwiegen die Beutewaffen. Ruhe war eingetreten. Carberry schaffte es tatsächlich, die Chibchas dazu zu bringen, daß sie die Feinde nicht weiter mißhandelten.
Er sah sich die am Boden liegenden Soldaten an und dann brüllte er plötzlich: „Schockschwerenot, dieser Sargento ist uns durch die Lappen gegangen! Dieser elende Galgenstrick und Lumpenhund!“
Hasard steuerte auf ihn zu. Die Männer wichen zurück und gaben eine Gasse frei, durch die er hindurch konnte.
„Der Sargento also auch“, sagte Hasard. „Da haben sich die beiden Richtigen gefunden.“
Carberry sah ihn entgeistert an. „Was denn, wie denn? Mann, Hasard, ich meine, Sir – ist etwa noch jemand ausgerissen?“
„Du merkst aber auch alles“, fuhr Ferris Tucker ziemlich bissig dazwischen. Ihm wie den anderen waren die Strapazen der letzten Stunden noch deutlich anzusehen. Und auch der Kampf hatte seine Spuren hinterlassen. Ferris hatte eine Beule auf der Stirn und eine blutige Schramme, die quer über die rechte Wange