Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
wies auf die funkelnde Pracht, die sich mitten auf dem Lagerplatz häufte. Die schimmernden Zweikaräter waren die Ausbeute eines einzigen Tages – im Tagebau und in den Stollen der Mine gewonnen. Das rotgelbe Licht der ersterbenden Flammen brach sich in dem transparenten Gestein und rief bezaubernde Reflexe hervor. Allein dieses Anblicks wegen hätten sich Menschen zu Gewalttaten hinreißen lassen. Denn der Glanz der Smaragde siegte über die Vernunft und löste ein Fieber aus, dem nur die Stärksten zu trotzen vermochten.
Wenig später erreichten Hasard und seine Männer den Hohlweg, der aus dem Kessel führte. Sie hatten sich schwer mit Waffen, Munition und Diamanten beladen und stiegen heftig atmend und fluchend den mit Geröll übersäten Pfad hinauf.
Carberry trat ihnen entgegen. Er war ein wuchtiger Schatten in der Nacht. Bei seinem Anblick griff Matt Davies unwillkürlich zur Pistole.
„Narr“, zischte der Profos. „Bist du blind, oder was ist los?“
„Die Nerven spielen mir einen Streich“, sagte Matt ärgerlich.
„Paß auf, daß ich dir keinen Streich spiele.“
„Ed“, sagte der Seewolf. „Hör auf. Wir sind alle müde und zerschunden, es hat keinen Sinn, daß wir uns auch noch anblaffen. Was ist, habt ihr etwas entdeckt?“
„Nichts. Aber ich habe Conroy als Posten im Hohlweg aufgestellt und O’Flynn und Bowie als Späher losgeschickt. Sie sollen sofort schießen, wenn sie die beiden Halunken entdecken.“
Carberrys Stimme klang tief und kehlig, ein Fremder hätte es ihm gegenüber mit der Angst zu tun kriegen können.
„Gut.“ Hasard drehte sich um und winkte den anderen zu. „Weiter, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Sie klommen den Hohlweg hoch, der ihnen am Nachmittag zum Verhängnis geworden war. Hier hatten sie der schneidige, karrierebewußte Sargento und die Soldaten gestellt – und Hasard hatte sich die bittersten Selbstvorwürfe gemacht, weil er in die Falle getappt war.
Al Conroy erwartete sie am oberen Drittel des Hohlweges. Er gab ihnen ein Zeichen und sagte: „Alles in Ordnung, die Luft ist rein.“
„Sicher“, brummte Juan, Siri-Tongs Bootsmann. „Sabreras und der Narr von einem Sargento werden doch nicht so blöd sein, uns zu zweit einen Hinterhalt zu legen. Das wäre glatter Selbstmord.“
„Unterschätze Sabreras nicht“, sagte Siri-Tong. „Er ist zu allem fähig. Auch dazu.“
Sie schritten weiter voran, und Al Conroy schloß sich ihnen an.
Kurz darauf trafen sie im Busch auf Dan O’Flynn und Jeff Bowie. Sie waren beide ziemlich außer Atem.
„Nichts“, stieß Dan aus. „Wir sind gelaufen, aber die beiden Schufte sind wie vom Erdboden verschluckt. In dieser Fieberhölle ist das keine Schwierigkeit – ich meine, ungesehen zu verschwinden. Aber ich bin überzeugt, sie sind gerannt, als hätten sie sämtliche Teufel und Dämonen der Finsternis im Nacken. Deshalb haben sie einen Vorsprung, den wir nicht mehr einholen können.“
Hasard fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie waren feucht und klebrig, er hatte wieder zu schwitzen begonnen. Auch die Nacht brachte keine nennenswerte Abkühlung. Ein feucht-stickiger Schleier lastete auf dem Höhenzug der Cordillera Occidental und schien die Menschen, die sich bis hierher verirrten, umklammern zu wollen.
„Weiter“, sagte der Seewolf. „Wenn wir zügig marschieren, erreichen wir unsere Schiffe kurz nach Mitternacht. Hidduk führt uns wieder.“ Er schaute zu Bill the Deadhead. „Paßt auf, daß ihr nicht schlappmacht, ausrutscht, einen Fehltritt tut. Ihr wißt, wie leicht man hier krepieren kann.“
„Und ob“, erwiderte Bill. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Oh, er würde nie vergessen, wie der Seewolf ihn unter Einsatz seines Lebens vor dem Sturz in den Abgrund gerettet hatte.
Hasard, Hidduk und Siri-Tong übernahmen die Spitze der Kolonne. Schweigend bahnte sich der Trupp einen Weg durch das dampfende Dickicht – dreißig Männer und eine betörend schöne, hartnäckige Frau.
2.
Sabreras stolperte den Hang hinunter, glitt aus, wälzte sich im Morast und blieb in einem Gesträuch hängen. Seine Hände waren um die wenigen Habseligkeiten verkrampft, die er bei der Flucht aus dem Lager der Mine hatte mitnehmen können: einen Jutesack mit der Smaragdkrone und anderem Schmuck darin, eine Ledermappe mit wichtigen Schriftstücken und eine reich verzierte Radschloßpistole.
Sein Gesicht war verzerrt. Er fluchte, und beinahe verlor er die Ledermappe, aber er mußte sie festhalten, koste es, was es wolle, denn in den sorgfältig beschrifteten Dokumenten war festgehalten, daß die Mine Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II. von Spanien, gehörte – und was sie bisher an Produktion abgeworfen hatte. Er mußte sie unbedingt dem Gouverneur von Panama überbringen. Niemals durften sie dem Feind in die Hände fallen.
Denn nur der König, kein Spion, hatte das Recht zu wissen, wie reich er war.
Und nur einer war im Bilde, wie das Verhältnis zwischen den offiziellen Zahlen und der wahren Produktion an Smaragden war: Sabreras. Er hatte es immer überzeugend darzulegen gewußt. Das war seine Lebensversicherung. Erfuhren seine Befehlshaber, daß er in die eigene Tasche gescheffelt hatte, dann war ihm das Todesurteil durch ein Kriegsgericht sicher.
Im Augenblick fühlte er sich dem Tod näher als dem Leben. Er war über und über beschmutzt und stank. Die Flucht durch den Dschungel hatte ihm alles abverlangt. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Oben in den Bergen war er zweimal fast abgestürzt. Einmal hatte ihn beinahe eine giftige Schlange gebissen.
Der Sargento hatte ihn vor diesem Ende bewahrt. Er hatte der Schlange mit einem Säbelhieb den Kopf vom Rumpf getrennt.
Sabreras hatte diesen Mann unterwegs eigentlich aus dem Weg räumen wollen. Er gehörte nämlich nicht zu den wenigen „Eingeweihten“, die von Sabreras’ Schatzversteck wußten und an der Ausbeute beteiligt waren.
Aber ohne den Sargento wäre er niemals bis hierher, ins Vorland der Cordilleras, gelangt. Er hätte sich bei ihm bedanken müssen.
Aber das lag ihm nicht. Er fluchte nur, spie Übelkeit und Widerwillen aus und richtete sich halbwegs an dem Gedanken auf, wie er dem Seewolf und seinen Gefährten noch zusetzen würde.
Er kroch aus dem Busch und hastete weiter.
„Comandante“, keuchte der Sargento hinter ihm. „Ich – ich glaube, die Richtung stimmt nicht. Wir müßten uns weiter nördlich halten.“
„Narr. Wie willst du das wissen?“
„Die Sterne …“
„Glaubst du Landratte, dich besser daran orientieren zu können als ein erfahrener Seemann?“ zischte Sabreras. „Schweig jetzt. Ich kann dein Gewäsch nicht mehr hören. Deinetwegen bin ich hingefallen.“
Der Sargento wollte aufbegehren, beschränkte sich aber lieber doch auf ein gemurmeltes „Si, Senor Comandante.“
Auf der Kuppe eines der letzten Hügel zwischen Bergland und Küste verhielt Sabreras unversehens seinen Schritt. Sein Begleiter prallte beinahe gegen ihn. Verstört blieb er dicht hinter ihm stehen. Sabreras würdigte ihn keines Blickes, er blickte nur starr voraus, nach Westen.
„Da ist eine Bucht“, raunte er. „Und es liegen Schiffe darin.“
„Heilige Mutter Gottes, wir haben es geschafft“, sagte der Sargento.
„Nein. Das ist nicht unsere Bucht.“
„Nicht – unsere …“
„Du elender Nichtsnutz“, fuhr der Kommandant ihn an. „Wenn du mich nicht irritiert hättest, wären wir nicht in die verkehrte Richtung gelaufen. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind. Das da ist die Bucht, die zehn Meilen südlich unseres natürlichen Hafens liegt. Und die Schiffe gehören