Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
Indianer in die Piragua abgeentert. Sie setzten noch zum schwarzen Schiff über, Hidduk wollte sich auch von Siri-Tong und ihrer Mannschaft verabschieden. Für kurze Zeit begab er sich über die Jakobsleiter auf die Kuhl hinauf.
Dort sagte er zu der Roten Korsarin: „Siri-Tong war mißtrauisch, aber jetzt hat sie keine Zweifel mehr.“
„Das hast du gemerkt?“ erwiderte sie erstaunt.
„Der rote Mann liest in den Gesichtern der Menschen.“
Sie sah ihn offen an. „Gut, du hast recht. Ich dachte, du wärst weiter nichts als ein durchtriebener indianischer Pirat, der uns bei der erstbesten Gelegenheit die Gurgeln durchschneiden würde.“
Hidduk lachte wieder auf. „Siri-Tong ist eine ehrliche Frau.“
„Gut, daß wir uns jetzt verstehen …“
„Wenn Lobo del Mar, der Roten Korsarin oder ihren Männern etwas zustößt, kehrt Hidduk in dieses Land zurück und rächt sie“, sagte der Häuptling noch. Damit wandte er sich ab, kletterte über das Schanzkleid und kehrte in seine Piragua zurück.
Atasc und die beiden anderen Krieger verneigten sich vor Siri-Tong und ihrer Crew, dann folgten sie ihm.
Die Piragua löste sich von „Eiliger Drache über den Wassern“ und glitt in die Nacht hinaus. Der Wind hatte gedreht und blies jetzt aus Süden. Er griff in das einzige Segel des kleinen Schiffes, blähte es und verlieh der Piragua mehr Fahrt.
„Erstaunlich, das so was seetüchtig ist“, sagte Ferris Tucker. „Ich hab immer noch nicht begriffen, wie die Indianer damit einen Sturm abreiten wollen. Es will mir einfach nicht in den Kopf.“
„Sie sind Meister der Seefahrt und des Schiffbaus“, meinte Hasard. Er stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck und blickte den Serranos nach. „Hidduk hat mir erzählt, daß ihre Frauen als erstes ein kaltes Bad nehmen, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht haben – mit dem Neugeborenen. Dies ist ihr erster Kontakt mit der See oder den Flüssen, und sie scheinen nicht nur mit dem Element verwachsen, sondern ihm sogar entsprungen zu sein. Wir werden lernen, diese Menschen immer mehr zu respektieren.“
Die Piragua hatte die Ausfahrt der versteckten Bucht passiert. Ihre Konturen verschmolzen mit den Sträuchern, die über die Ufer hinauswucherten und sich auf dem Wasser zu treffen schienen. Die Piragua steuerte in die Nacht hinaus, nach Westen. Hasard sah als letztes die hoch aufgerichtete Gestalt Hidduks am Heck des seltsamen Gefährts stehen.
Dann ging auch die „Isabella“ an den Wind und steuerte auf die Passage zu.
Hasard enterte zu Dan O’Flynn in den Großmars auf. Dan hatte gleich nach dem Eintreffen an Bord wieder seinen gewohnten Posten als Ausguck eingenommen. Er war schmutzig und abgekämpft, aber das beeinträchtigte seine Sehfähigkeit nicht.
„Keine Spur von Feindschiffen“, sagte er. „Vielleicht haben sie es aufgegeben, nach uns zu suchen.“
„Glaubst du das im Ernst, Dan?“
„Nein, ich sag’s nur so daher …“
„Ich rechne ziemlich fest damit, auf diesen Dreierverband zu treffen, der nach Bens Aussage beinahe in die Bucht geraten wäre.“
„Und weiter?“
„Wir wagen den Durchbruch.“
„Und schießen diese Dons zusammen, wolltest du sagen.“
Hasard maß ihn mit einem tadelnden Blick. „Du nimmst den Mund mal wieder zu voll, Dan.“
„Wir sind alle ziemlich fertig, aber wir haben auch immer noch eine Stinkwut auf Sabreras und seine Leute im Bauch, vergiß das nicht“, sagte Dan. Diesmal war er stockernst.
„Auf jeden Fall segeln wir stur nach Norden und pirschen uns nach Möglichkeit bis an den natürlichen Hafen der Smaragd-Flotte“, sagte der Seewolf. „Dort sehen wir dann weiter.“
Die „Isabella“ hatte sich während ihrer Unterredung platt vor den Südwind gelegt. Das schwarze Schiff folgte ihr im Abstand von etwa einer Kabellänge in schräg versetzter Kiellinie.
Hasard überschlug in Gedanken noch einmal, wie wohl Sabreras’ Überlegungen sein mochten. Nein, nach Süden wandte er sich bestimmt nicht. Auch wenn er ahnte, wo die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ zu finden waren, entgegenwerfen würde er sich ihnen nicht.
Nach Galápagos segelte er auch nicht, denn dort gab es für ihn nichts mehr zu holen. Die Smaragde, die er einst auf San Cristóbal versteckt hatte, befanden sich jetzt zum Großteil in den Frachträumen der „Isabella“ und des schwarzen Schiffes. Den Rest hatte Hidduk eingesteckt.
Ja – und hier stellte sich wirklich die Frage, ob Sabreras nach Panama floh. Lag es nicht viel näher, daß er die Reste seiner kleinen Flotte zusammenraffte und seinen Feinden einen Hinterhalt stellte?
Es lag doch auf der Hand.
Hasard mußte ihm eins zugestehen: er war kein Feigling. Er würde mit allen Mitteln versuchen, den verlorenen Schatz wieder an sich zu reißen.
Dan O’Flynn richtete sich plötzlich kerzengerade auf.
„Hasard“, raunte er. „Da ist was. Backbord voraus. Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn das nicht ein Schiff ist.“
Hasard blickte voraus und entdeckte ein paar verschwommene Konturen. In schätzungsweise einer Meile Entfernung schien ein Schemen durch die Nacht zu schlüpfen. Hasard sah in die Tiefe und verfolgte die Bewegung der Männer auf Deck.
Auch die Crew war aus dieser Höhe kaum zu erkennen. Es war zwar eine recht klare Nacht, aber Hasard hatte untersagt, die große Hecklaterne der „Isabella“ oder irgendein anderes Licht anzuzünden. Ebenso verhielt sich Siri-Tong. Die Männer erledigten alle Handgriffe so leise, daß das Knarren der Blöcke und Rahen und das Rauschen des Wassers an den Bordwänden überlaut klang.
Hasard blickte wieder voraus. Die Konturen im Dunkel schälten sich jetzt etwas stärker heraus und formten die Umrisse eines großen dreimastigen Seglers. Wer immer er war – zu erkennen geben wollte er sich ebenfalls nicht. Auch er fuhr ohne Licht und nutzte die Tarnung der Nacht.
„Ich freß einen Besen, wenn das kein Don ist“, sagte Dan.
„Mann“, erwiderte Hasard. „Dazu gehört aber nicht viel Scharfsinn. Wir wissen doch, daß außer uns nur Spanier auf dieser Seite der Neuen Welt herumnavigieren.“
„Und Freibeuter aller Nationen …“
„Wollen wir wetten, daß wir eine von Sabreras’ Galeonen vor der Nase haben?“
Der junge O’Flynn sann eine Weile nach, dann grinste er dünn und sagte: „Mit dir wette ich nicht. Ich ziehe ja doch bloß den kürzeren dabei.“
Hasard schwang sich wortlos über die Segeltuchverkleidung des Großmarses. Seine Beine baumelten, seine Füße suchten in der Luft und senkten sich auf die Webeleinen der Steuerbordwanten. Er rutschte tiefer und hangelte im nächsten Moment katzengewandt auf die Kuhl hinunter.
Unten angelangt, unterrichtete er Carberry und fügte hinzu: „Ed, die Dons scheinen ebenfalls nach Norden zu steuern, aber wenn sie auch nur die kleinste Kurskorrektur vornehmen und auf uns zuhalten, eröffnen wir das Feuer. Ich will kein Risiko eingehen. Wir setzen ihnen eine Warnsalve neben die Bordwand, und wenn ihnen das nicht genügt, ziehen wir volles Register.“
„Aye, aye“, sagte der Profos. „Das wäre genau das, wonach mir im Augenblick zumute ist.“
„Es wäre dir nicht lieber, wenn wir uns klammheimlich verhalten und zwei Drittel der Crew endlich ihre wohlverdiente Nachtruhe erhielten?“ fragte Hasard zweifelnd.
„Nein, Sir.“
„Paß auf, Ed – es könnte sein, daß ich dich gleich beim Wort nehme.“
Der Seewolf hastete weiter, klomm zum Ruderhaus hinauf, blickte hinein und sagte seinem Rudergänger: