Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
irrte sich.
Dans Kiefer preßten sich wie ein Schraubstock zusammen. Nach dem zehnten Hieb war sein Rücken eine brennende Hölle, aber er versuchte, nicht an den Schmerz zu denken. Er dachte daran, wie er Jean Morro an der Kehle packte, ihn langsam erwürgen, ihm die Haut abziehen, ihn den Haien zum Fraß vorwerfen würde.
Die letzten drei, vier Hiebe spürte Dan nicht mehr.
Er kam erst wieder zu sich, als ihm jemand eine Ladung Seewasser über den zerfetzten Rücken kippte. Das Salz brannte in den offenen Wunden. Dan biß sich die Lippen blutig. Verzweifelt klammerte er sich an den Gedanken, wie er es Jean Morro heimzahlen würde, und aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Bretonen.
„Schneidet sie los! In die Vorpiek mit ihnen! Wir werden die Kerle schon kleinkriegen!“
Der Schiffsjunge Bill wand sich durch das Gewirr der Schlinggewächse wie eine Schlange.
Immer wieder mußten sie sich für Minuten durch das Dickicht kämpfen, das jede Lücke zwischen den roten Felsen ausfüllte. Hasard lächelte still vor sich hin, während er den Jungen beobachtete. Bills Gesicht glühte nicht nur von der Hitze. Seine ganze Haltung spiegelte hellwache Spannung, die braunen Augen leuchteten erregt. Fünfzehn Jahre war er alt, der Moses. Und mit seiner unbekümmerten Jugend brachte er es immer wieder fertig, Sorgen und Ängste abzuschütteln wie Wassertropfen und das Abenteuer des Augenblicks zu genießen.
Soll er, dachte Hasard.
Aber gleichzeitig wurde ihm wieder einmal klar, daß Bill noch lange kein Mann war, der für sich selbst einstehen konnte, daß er jemanden brauchte, der auf ihn aufpaßte. Dan O’Flynn war vor ein paar Jahren genauso gewesen, nur noch entschieden frecher, vorwitziger und hitzköpfiger. Ein Heißsporn war er immer noch. Ungerechtigkeit und Gemeinheit vermochte er nicht mitanzusehen, da war es mit seiner Beherrschung vorbei, Vernunft hin oder her – und deshalb bereitete sich Hasard Sorgen.
Vor ihm hatte Bill eine Art Hochfläche erreicht und lief leichtfüßig durch das Gewirr von Felsen und lichtem Buschwerk. Vor einer tief eingeschnittenen Mulde hielt er. Seine Stimme klang triumphierend.
„Da ist es! Ich kann die Feuerstelle sehen!“
Hasard und Al Conroy traten neben ihn.
Sie hatten das Lager der Piraten noch nicht gesehen, da der Bretone sie offenbar von Dan und Batuti hatte fernhalten wollen. Der Seewolf schloß daraus, daß die beiden über das Ziel der „Isabella“ Bescheid wußten. Er hoffte, daß es ihnen vielleicht gelungen war, irgendeine Art von Nachricht zurückzulassen.
Daß die Mulde mit der Quelle, dem dichten Gras und den schattenspendenden Felsen tatsächlich der Schlupfwinkel der Piraten gewesen war, ließ sich an vielen Kleinigkeiten ablesen. Die Männer des Bretonen hatten eine zerfetzte Persenning zurückgelassen, leere Flaschen, Tabaksbeutel, gestapeltes Feuerholz und einen zerbeulten Kessel, der an einem provisorischen Dreibein baumelte.
Noch war das Gras niedergedrückt von den Tritten vieler Füße. Bill wollte rasch in die Mulde hinuntersteigen, aber Hasard hielt ihn an der Schulter zurück.
„Warte! Schau dich erst einmal genau um!“
Bill warf dem Seewolf einen Blick zu, dann kniff er die Augen zusammen. Nach einer Weile hob er wieder den Kopf.
„Man kann aus den Spuren etwas herauslesen, nicht wahr, Sir?“
„Richtig. Und was liest du daraus?“
„Rund um die Feuerstelle ist das Gras am meisten zertrampelt“, sagte Bill. „Da hinten ist es glatt niedergedrückt, wahrscheinlich haben die Kerle da geschlafen. Aber ich verstehe nicht, was die Löcher und Narben da drüben im Gras bedeuten.“
„Stiefelspuren“, sagte Hasard. „So rammt man die Absätze ins Gras, wenn man gefesselt ist und sich mit den Füßen abstößt.“
„Also haben Dan und Batuti dort gelegen und sich nach einer Weile aufgerichtet, um sich mit dem Rükken an die Felsen zu lehnen?“
„Wahrscheinlich.“ Der Seewolf lächelte. „Schauen wir uns die Stelle mal näher an.“
Über die glatten roten Felsen glitten sie nach unten. Die Mulde war windgeschützt, und die Luft schien zu kochen. Hasard, Al Conroy und Bill durchquerten die Senke und traten zu der Stelle, wo das Gras von Stiefelabsätzen aufgerissen war.
Der Seewolf wußte, wonach er suchte.
Zwei Minuten später fiel sein Blick auf die Buchstaben, die Dan O’Flynn in den Stein gekratzt hatte. Auch Al und Bill standen schweigend vor der krakeligen, nur schwer entzifferbaren Inschrift.
„C-A-I-A-P-A-S“, buchstabierte Bill mühsam.
Hasard schüttelte den Kopf. „Der zweite Buchstabe ist ein H. Es heißt Chiapas.“
„Kommt mir bekannt vor“, murmelte Al Conroy.
„Sollte es auch“, sagte der Seewolf trocken. „Erinnerst du dich nicht an die Karten, die wir auf Sabreras Schiff gefunden haben? Chiapas ist ein Zipfel von Nueva Espana, südlich der Landenge von Tehuantepec. Im Landesinneren muß es ziemlich hohe Berge geben. Und an der Küste den schönsten Urwald.“
„Ach du liebe Zeit“, sagte Al Conroy ergriffen.
Hasard grinste freudlos. Ihm hatten die Abenteuer im Dschungel von Guayana und der grünen Hölle des Amazonas ebenfalls gereicht. Und er fragte sich, was, zum Teufel, die Piraten in einer Wildnis suchten, wie er sie hinter dem Namen Chiapas vermutete.
Al Conroy hatte offenbar ganz ähnliche Gedanken.
„Vielleicht suchen sie auch so etwas wie El Dorado“, sagte er. „Oder gibt es da oben keine Inkas?“
„Inkas nicht. Aber Maya. Möglich, daß du recht, hast, Al. Die Maya haben sicher nicht weniger unter den spanischen Eroberern gelitten als alle anderen Indios. Warum sollen sie sich nicht ebenfalls dorthin zurückgezogen haben, wo sie am sichersten vor Verfolgung und Terror sind: in die Regenwälder.“
„Also segeln wir nach Chiapas?“ fragte Bill eifrig.
Hasard warf ihm einen Blick zu. Der Junge hatte das kurze Gespräch stumm und gebannt verfolgt, und seine Augen leuchteten. Der Seewolf mußte lächeln, obwohl ihm eigentlich nicht danach zumute war.
„Sicher geht es nach Chiapas“, sagte er. „Notfalls auf einem Floß, mit einem alten Hemd als Segel.“ Und als er den Schatten sah, der über Bills Gesicht flog: „Nur keine Angst, mein Junge! Irgendwie werden wir es schon schaffen.“
3.
Die Vorpiek der „Isabella“ wurde von den Seewölfen seit jeher als „Vorhof zur Hölle“ bezeichnet.
Ein finsteres Loch, stickig, mörderisch heiß, von Ratten bewohnt und mit Gerüchen erfüllt, die auch dem härtesten Burschen den Magen umdrehen konnten. Unter der Gräting, auf der Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark kauerten, schwappte stinkendes Bilgewasser. Mehr als zwei Stunden hielten es die Männer jetzt schon hier aus, und ihr einziger Trost war, daß sie es freiwillig taten.
Was sich an Deck der „Isabella“ abspielte, nahmen sie nur als dumpfes Schrittegetrampel wahr, das sich vor ein paar Minuten für kurze Zeit zu wilder Heftigkeit gesteigert hatte.
„Scheint so, als ob sie sich prügeln“, sagte Stenmark mit gerunzelter Stirn.
„Sollen sie“, brummte Big Old Shane. Genausowenig wie Stenmark und Ben Brighton konnte er wissen, daß die Piraten Dan O’Flynn und Batuti mit an Bord geschleppt hatten. „Ich hoffe, sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Um so leichter können wir sie dann später auseinandernehmen.“
„Später“, wiederholte Stenmark angewidert. „Müssen wir wirklich erst die Nacht abwarten?“
Ben Brighton nickte nachdrücklich. „Doch, Sten. Wir sind darauf angewiesen, Jean Morro in seiner Kammer zu überraschen. Wir können