Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer


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hergefallen wäre.

      Big Old Shane preßte die Zähne zusammen. Das verwitterte, graubärtige Gesicht des früheren Waffenmeisters von Arwenack wirkte wie aus Stein gemeißelt. Seine Fäuste schlossen sich fester um die Eisenstange, die er als Waffe benutzte.

      „Ich bin nicht mal so sicher, ob es wirklich gut ist, die Nacht abzuwarten“, sagte er in seiner langsamen, bedächtigen Art. „Es sei denn, wir verlassen uns blindlings darauf, daß es so läuft, wie wir es uns vorstellen.“

      „Dafür steht zu viel auf dem Spiel.“ Ben Brighton hob fragend die Brauen. Er wußte, daß der graubärtige Alte einen ganz bestimmten Gedankengang verfolgte.

      Shane bewegte die mächtigen Schultern. „Angenommen, wir schaffen es nicht! Wenn die Piraten auf Jean Morros Leben keine Rücksicht nehmen, müssen wir kämpfen, und wie das ausgeht, mag der Teufel wissen. Wenn alle Stricke reißen, bleibt uns immer noch die Möglichkeit, von Bord zu verschwinden. Jetzt! Heute nacht wird sich die ‚Isabella‘ schon zu weit von der Insel entfernt haben, um zurückzuschwimmen.“

      „Zurückschwimmen?“ stieß Stenmark durch die Zähne. „Und uns von den Haien anknabbern lassen?“

      „Shane redet vom äußersten Notfall, Sten. Besser vielleicht im Bauch eines Hais als mit Sicherheit an der Rahnock, oder?“

      „Aber dafür stehen unsere Chancen besser, wenn wir die Dunkelheit abwarten“, führte Big Old Shane seine eigenen Überlegungen weiter. „Ich glaube …“

      Er konnte den Satz nicht mehr beenden.

      Jäher Lärm ließ ihn den Kopf heben. Schritte näherten sich, die Schritte von mindestens sechs, sieben Männern.

      „Verdammt“, stieß Stenmark durch die Zähne.

      „Ruhig“, sagte Ben Brighton mit schmalen Augen. „Vielleicht untersuchen sie nur das Schiff, die Laderäume …“

      Er stockte abrupt.

      Die Schritte waren jetzt deutlicher zu hören. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie sich der Vorpiek näherten.

      Ben Brighton und Stenmark griffen schweigend nach ihren Pistolen. Big Old Shane richtete sich auf und glitt in den toten Winkel neben dem Schott. Die Schritte verhielten, dann erklang eine heisere, verzerrte und dennoch unverkennbare Stimme.

      „Nimm deine Pfoten weg, du Sohn einer verlausten Wanderhure! Laß mich erst wieder die Hände frei haben, dann verarbeite ich dich zu Haferbrei, du verdammter, widerlicher …“

      Ein klatschendes Geräusch erstickte die Stimme. Aber es war eindeutig die Stimme von Dan O’Flynn gewesen.

      Die drei Männer in der Vorpiek starrten entgeistert das Schott an, das im selben Augenblick aufflog.

      Eine Gestalt taumelte herein, ein hünenhafter Schatten, der stolperte, mit den gefesselten Händen das Gleichgewicht nicht halten konnte und auf die Gräting prallte.

      Batuti, durchzuckte es Ben Brighton, und im selben Moment wurde auch Dan O’Flynn mit einem brutalen Stoß in die Vorpiek befördert.

      Tanzendes Lampenlicht fiel in das finstere Loch.

      Der Widerschein streifte die Gesichter von drei, vier Männern.

      Sie grinsten hämisch. Einer von ihnen kicherte im Tonfall satter Zufriedenheit. Keine Sekunde später wurden ihre Mienen zu verzerrten Grimassen.

      Gellend schrie einer der Kerle auf.

      „N-n-nein …“ stammelte jemand im Hintergrund.

      Die Männer glaubten, Gespenster zu sehen. Der bullige Pepe le Moco war der erste, der sich blindlings herumwarf und flüchtete.

      Unter Vollzeug segelte „Eiliger Drache über den Wassern“ nach Südwesten.

      Der Wind wehte raumschots, der schwarze Segler lag über Steuerbord und lief gute Fahrt. Die Stürme der letzten Tage hatten ihn weit nach Norden verschlagen, der Ruderschaden, der aufgetreten war, hatte ein übriges getan, um die Fühlung zwischen der „Isabella“ und dem „Drachen“ abreißen zu lassen. Aber Siri-Tong, Thorfin Njal und die anderen glaubten nicht, daß es besonders schwer sein würde, die Seewölfe wiederzufinden.

      „Eiliger Drache“ war mit seinen vier Masten ein außergewöhnlich schnelles Schiff. Und das gemeinsame Ziel stand fest: der geheimnisvolle Westen, jene unbekannten Inseln inmitten der endlosen Wasserwüste zwischen der Westküste der neuen Welt und Siri-Tongs Heimat.

      Die Rote Korsarin stand aufrecht auf dem Achterkastell und ließ ihr langes schwarzes Haar im Wind flattern. Ab und zu wanderte ihr Blick zu der riesenhaften, in Felle gekleideten Gestalt des Wikingers am Kolderstock.

      Thorfin Njal trennte sich – genau wie Eike, Arne, Olig und der Stör – auch in der schlimmsten tropischen Hitze nicht von seiner gewohnten Kleidung. Und seinen alten, zerbeulten Kupferhelm abzunehmen, wäre ihm erst recht nicht eingefallen.

      Im Augenblick steuerte er einen Kurs, bei dem das Kielwasser wie mit dem Lineal gezogen wirkte. In seinen mächtigen, schwieligen Fäusten nahm sich der Kolderstock wie ein Kinderspielzeug aus. Der schwarze Segler lief wie Samt und Seide. An Deck war es ruhig. Nur ab und zu unterbrachen knappe Segelkommandos die Stille, die Schreie der Seevögel, das Plätschern der Wogen gegen den Schiffsrumpf.

      Auf der Kuhl döste Mißjöh Buveur vor sich hin, eine Flasche in der Faust, aber da er Freiwache hatte, verzichtete Siri-Tong darauf, ihn wegen der Sauferei zusammenzustauchen.

      Dafür begann plötzlich Cookie, der Koch, lautstark zu lamentieren.

      Wie eine Wildkatze fuhr er auf Mißjöh Buveur zu und versuchte, ihm die Flasche zu entreißen. Der untersetzte Mann wehrte sich. Binnen Sekunden war ein wildes Gerangel im Gange, das erst Siri-Tongs scharfer Zuruf stoppte.

      „Er hat geklaut!“ zeterte der schmierige, dickliche Koch. „Er hat den Kokosnuß-Schnaps aus der Kombüse …“

      „Kokosnuß-Schnaps?“ fragte die Rote Korsarin.

      Cookie schluckte erschrocken. In seiner Aufregung fuhr er sich mit allen fünf Fingern durchs Haar – und dieses Haar war fast einen halben Yard lang und mit Öl von rechts nach links an den Schädel geklebt, um eine kahle Stelle zu verdecken. Rod Bennet, genannt Cookie, sah in Sekundenschnelle aus, als habe ihm jemand einen Eimer Algen über den Kopf gekippt.

      „Das – das ist ein Rezept von den Eingeborenen“, stotterte er. „Man – man bohrt Löcher in die Kokosnüsse, damit Luft an die Milch dringt. Dann stopft man die Löcher wieder zu. Na ja, und dann wird mit der Zeit eben Schnaps daraus.“

      „So“, sagte Siri-Tong.

      Cookie sagte gar nichts, sondern fuhr fort, seine Haarpracht zu verwirren. Er wußte genau, was jetzt folgen würde.

      „Kannst du dich vielleicht noch entsinnen, warum wir die Kokosnüsse in den Laderaum gepackt haben, Mister Bennet?“ fragte die Rote Korsarin gefährlich sanft.

      „Als – als Verpflegung, Madam!“

      „Nicht, damit du dir deinen Privatschnaps daraus herstellst?“

      „N-nein, Madam!“

      Siri-Tong atmete tief durch. Ihr Gesicht wirkte steinern. Sie überlegte noch, wozu sie den Sündenbock verdonnern sollte, da wurde sie unterbrochen.

      „Deck!“ ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen Backbord voraus!“

      „Ho!“ brüllte der Wikinger. „Das muß die alte ‚Isabella‘ sein! Kannst du sie erkennen?“

      Hilo sah im Augenblick nur drei Mastspitzen, haarfeine Nadeln über der Kimm, und es würde auch noch eine Weile dauern, bis er mehr erkennen konnte. Siri-Tong wollte sich wieder dem Koch zuwenden, der sich an den Vorräten vergriffen hatte, aber der war inzwischen verschwunden.

      Dafür drang gedämpftes Wehgeschrei durch das geschlossene Kombüsenschott.

      Siri-Tong


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