Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
Etwas krachte von oben auf seinen Schädel. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, sein Kopf fliege auseinander, dann fühlte er überhaupt nichts mehr.
Als er wieder zu sich kam, lag er bäuchlings auf den Planken der „Isabella“, und jemand bearbeitete seine Rippen mit Fußtritten.
„Rabenaas, verdammichtes!“ hörte er eine vertraute Stimme. „Wenn kleines O’Flynn umbringen, Batuti macht Picadillo aus dir …“
„Kleines O’Flynn, kleines O’Flynn!“ äffte Pepe le Moco wütend. „Dein kleines O’Flynn wird kielgeholt, du schwarzer Bastard!“
„Mistiges Hund! Sohn von verlaustes Wanderhure und triefäugiges Ziegenbock, du …“
Der nächste Tritt krachte in Batutis Rippen. Dan stöhnte vor Wut. Als er die Augen öffnete, sah er die hochgewachsene Gestalt von Jean Morro, der das Achterkastell verließ, und gleichzeitig sah er die Bewegung, mit der Pepe le Moco von neuem zutreten wollte.
Dan O’Flynn federte schneller hoch, als irgend jemand denken konnte.
Mehr war allerdings nicht drin, da sich sofort ein paar Mann an seine Arme hängten und ihm fast die Schultern auskugelten. Dan warf den Kopf in den Nacken. Er konnte hören, wie der Tritt in Batutis Rippen krachte. Mit einer wilden Bewegung spuckte der blonde O’Flynn Jean Morro an und fauchte erbittert, weil er nicht getroffen hatte.
„Mann!“ sagte der Bretone. Es klang beinahe anerkennend. „Dich müssen sie wirklich auf einer Kanonenkugel gezeugt haben.“
„Worauf du dich verlassen kannst, du feiger Bastard!“ fauchte Dan, dem jetzt alles egal war.
Der Bretone schüttelte den Kopf. Ein paar von seinen Leuten zerrten Batuti auf die Füße – oder besser, sie verhinderten, daß er auf die Füße und gleich auch noch Jean Morro ins Gesicht sprang. Der schwarze Herkules sah furchterregend aus. Eine tiefe Wunde klaffte an seinem Kopf, Blut lief über sein Gesicht. Es war ein Wunder, daß er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.
Pepe le Moco taumelte keuchend gegen das Schanzkleid.
Er hatte ebenfalls einiges abgekriegt, stellte Dan zufrieden fest. Wut und Rachsucht flackerte in den blutunterlaufenen Augen des Piraten wie ein Feuer.
„Auf was warten wir noch?“ schrie er. „An die Rah mit den Bastarden!“
„An die Rah! Zieht ihnen die Hälse lang!“
„Wer gibt hier eigentlich die Befehle?“ fuhr der Bretone dazwischen.
Pepe le Moco knirschte mit den Zähnen. „Du, Jean! Willst du sie etwa nicht aufknüpfen oder kielholen lassen?“
„Nein“, sagte der Bretone.
„Aber – aber du kannst doch nicht …“
„Nein!“ wiederholte Jean Morro schneidend. „Sperrt sie in die Vorpiek! Der nächste, der etwas an meinen Befehlen zu mäkeln hat, kriegt die Neunschwänzige zu spüren!“
Dan O’Flynn war immer noch ziemlich verdattert, als das Schott der Vorpiek hinter ihnen dichtgerammt wurde.
Er wurde nicht schlau aus dem Bretonen.
Aber er begann zu ahnen, daß sie den Kerl wohl irgendwie nicht ganz richtig eingeschätzt hatten.
Die Strahlen der Morgensonne tanzten über das Wasser wie glitzernde Pfeile.
Der schwarze Viermaster und die ranke Karavelle segelten dicht unter Land nach Nordwesten. Die Küste lag querab: Palmen, leuchtende Strände, wie ein dunkelgrüner Gürtel dahinter die üppige tropische Vegetation des Urwalds, und noch weiter landeinwärts die steil ansteigenden Berge, deren Gipfel bereits hinter Hitzeschleiern verschwammen.
Hasard stand am Steuerbord-Schanzkleid des Achterkastells und suchte die Küstenlinie mit dem Spektiv ab. Vor einer knappen Stunde hatte Siri-Tong die Fahrt des Viermasters verlangsamt und der aufsegelnden Karavelle signalisiert, auf Rufweite heranzudrehen.
In der tropischen Hitze waren sämtliche Wasservorräte des schwarzen Seglers verdorben. Die Rote Korsarin und der Wikinger wollten Frischwasser an Bord nehmen, möglichst bevor sie auf die „Isabella“ stießen und vielleicht in unvorhersehbare Verwicklungen gerieten. Das war vernünftig. Hasard fand es überdies ganz nützlich, sich an Land umzusehen und die Gegend ein wenig kennenzulernen, bevor es ernst wurde.
Jetzt luvte der schwarze Segler an und drehte auf die Küste zu.
Sein Bugspriet zielte auf eine Stelle, wo die Palmen zurückwichen. Hasard hatte den schmalen Einschnitt ebenfalls entdeckt, konnte jedoch noch nicht erkennen, um was es sich handelte. Aber wenn es eine Bucht war, die dem schwarzen Segler Platz bot, würde die kleine Karavelle es ebenfalls schaffen.
Der Seewolf setzte das Spektiv ab. „Klar zum Anluven! Dichter holen die Rahen! Gei auf Groß- und Marssegel! Ruder hart über!“
„Hart über!“ bestätigte Pete Ballie.
„Hoch mit den Lappen, ihr Säcke!“ rief der Profos, und „Aye, aye“, ertönte die Bestätigung von den Männern an Geitauen und Brassen.
Die „Santa Monica“ ging an den Wind und blieb unter Fock und Besan im Kielwasser des „Eiligen Drachen“.
Auch auf dem schwarzen Schiff wurden Segel weggenommen. Die Donnerstimme des Wikingers dröhnte über das Wasser, das Bugspriet des Viermasters verschwand im undurchdringlichen Grün des Dickichts.
Etwas wie ein gigantischer Rachen schien das Schiff zu verschlingen, aber das täuschte. Über den dunklen Buckeln des Buschwerks konnte Hasard die Mastspitzen des schwarzen Seglers sehen, dem Stand der Flögel, die wie kleine Wimpel über dem Gebüsch schwebten und sich tiefer ins Landinnere bewegten. Platz bot die Bucht offenbar genug. Auch der Bugspriet der Karavelle zielte jetzt auf den grün schimmernden Rachen, und Hasard ließ das Ankergeschirr klarlegen.
Minuten später glitt die „Santa Monica“ sanft durch die Einfahrt der Bucht.
Die Segel begannen sofort zu killen, da der Wald die Bucht wie mit dunkelgrünen Wänden umgab und den Wind wegnahm. Platz war genug: das ruhige Wasser lag schimmernd in der Sonne wie ein riesiger kreisrunder Spiegel.
Der schwarze Segler war mit der letzten Fahrt nach Steuerbord gelaufen, die Karavelle wandte sich nach Backbord. Pete Ballie legte Ruder, und die „Santa Monica“ beschrieb einen sanften Bogen, bis von See her allenfalls noch ihre Mastspitzen zu sehen waren.
„Fallen Anker!“ rief Hasard über Deck.
„Aye, aye“, erfolgte Ben Brightons Bestätigung.
Die Ankertrosse rauschte aus, und Minuten später lag die Karavelle wie ein Klotz auf dem Wasser.
Hasard ließ ein Faß im Boot verstauen, da er ebenfalls die Gelegenheit wahrnehmen wollte, die Wasservorräte zu ergänzen. Er nahm acht Mann mit, schwer bewaffnet: die Gegend sah zwar friedlich und ruhig aus, aber das konnte täuschen.
Auch auf dem schwarzen Segler wurde ein Boot abgefiert, und schließlich war es eine ziemlich starke Gruppe, die an der Ostseite der Bucht an Land ging und die beiden Fahrzeuge auf den schmalen Uferstreifen zog.
Siri-Tongs Mandelaugen leuchteten flüchtig auf, als sie dem Seewolf zulächelte. Thorfin Njal und die vier anderen Wikinger waren bereits dabei, den Waldsaum abzusuchen, dieses grüne, dampfende, vom ohrenbetäubenden Konzert der Vögel und Affen erfüllte Dickicht, das gerade die fünf Nordmänner ganz besonders verabscheuten.
Hasard mußte lächeln, als er Thorfins grimmig verzogenes Gesicht sah. Der bärtige Hüne murmelte etwas, das sich wie „dreimal verdammter Scheiß-Wald“ anhörte.
Und der Stör, der die Angwohnheit hatte, ständig die letzten Worte seines Kapitäns nachzuplappern, konnte es natürlich auch diesmal nicht lassen.
„Dreimal verdammter Scheiß-Wald!“ sagte er mit Inbrunst.
„Recht hat er“,