Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
knurrte etwas Unverständliches. Da nur ihre Hände gefesselt waren, konnten sie dem Befehl folgen. Vor den Musketen, die Barbusse und der Burgunder auf sie richteten, marschierten sie über den Niedergang an Deck, und dort blieben sie stehen und warfen einen raschen Blick in die Runde.
Auf der „Isabella“ herrschte Aufbruchstimmung.
Jacko, Valerio und der fette Tomaso fierten bereits das zweite Boot ab, die Männer hatten sich mit Säcken und Seekisten bewaffnet: Behältnisse, die offenbar dafür bestimmt waren, das legendäre Maya-Gold zu transportieren.
Dan O’Flynn unterdrückte ein abfälliges Grinsen. Für seine Begriffe war es mehr als fraglich, ob die Kerle in der grünen Hölle dort drüben auch nur einen Schimmer von Gold finden würden. Dabei hätten sie nur die Augen zu öffnen und die gute alte „Isabella“ etwas genauer zu untersuchen brauchen, um direkt vor ihren Füßen unzählige Kostbarkeiten zu entdecken.
Sie hatten es nicht getan, und das war auch gut so. Dans Blick wanderte zum Achterkastell hinauf, wo der Bretone die Hände auf die Schmuckbalustrade stützte. Für ein paar Sekunden kreuzten sich ihre Blicke, und Jean Morro zog die Lippen von den Zähnen und lächelte.
„Hört zu“, sagte er hart. „Ich habe darauf verzichtet, euch kielholen zu lassen, weil ich jede Hand brauche. Wir haben einen langen Marsch vor uns, und ihr werdet so bepackt werden, daß euch sämtliche dummen Gedanken vergehen. Wer unterwegs quertreibt, erhält ein paar Kugeln in die Beine und wird zurückgelassen. Und diesmal ist es mir Ernst, darauf könnt ihr euch verlassen. Haben wir uns verstanden?“
„Du kannst mich“, sagte Dan. Er wußte, daß sie so oder so keine Chance mehr kriegen würden, also sah er auch keinen Grund, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten.
Der Bretone grinste nur.
„Wir werden sehen“, sagte er trokken. „Schneidet ihnen die Fesseln durch! Und dann ab in die Boote!“
Ein paar Sekunden später hatten Batuti und Dan die Hände frei.
Allerdings zielten immer noch zwei Musketen auf sie. Sie wußten, daß es völlig sinnlos war, jetzt loszulegen. Vielleicht ergab sich später eine Möglichkeit, wenn sie durch den Urwald marschierten. Die grüne Hölle war dicht und undurchdringlich, und wenn in dieser Wildnis erst einmal jemand verschwand, würde es verdammt schwer sein, ihn wiederzufinden.
Der blonde Mann und der hünenhafte Neger wechselten einen Blick.
Dan drehte fast unmerklich den Kopf in Richtung Küste. Batuti nickte, genauso unmerklich. Sie hatten sich verstanden, und sie wehrten sich nicht, als sie jetzt zum Schanzkleid hinübergestoßen wurden, wo die Piraten eine Jakobsleiter belegt hatten.
Nur drei Männer blieben zurück: Valerio, Tomaso und ein spindeldürrer Bursche, der sich den Fuß verstaucht hatte und nicht laufen konnte.
Die beiden Boote legten ab. Batuti hockte im vordersten, Dan in dem zweiten Fahrzeug, das von dem Bretonen geführt wurde. Eine ganze Menge an Ausrüstung war zusammengekommen, und Dan fluchte lautlos, weil er bereits ahnte, daß sich Jean Morros Piratenbande nicht überanstrengen würde.
Er sollte recht behalten.
Er und Batuti wurden wie Maultiere bepackt. Jean Morro stand mit gezogener Pistole dabei, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. Dan grinste ihn so unverschämt an, als habe er sein ganzes Leben lang nichts arideres getan, als Lasten durch den Urwald zu schleppen.
„Viel zu schwer für kleines O’Flynn“, murmelte Batuti grollend.
„Quatsch mit Soße!“ fauchte Dan. „Die lahmarschigen Kakerlaken werden sich umschauen, wenn sie glauben, daß einer von uns schlappmacht. Schau dir die Idioten doch an! In einem Urwald ist von denen noch keiner gewesen.“
Er hatte recht: Jean Morros Piraten hatten keine Ahnung von den Tükken des tropischen Regenwaldes. Der feuchten Hitze suchten sie dadurch zu begegnen, daß sie Jacken und Hemden ablegten. Ein paar von den Männern schienen sogar die Absicht zu haben, ihre Stiefel bei den Booten zurückzulassen, aber Jacahiro, der Maya, schüttelte den Kopf.
„Sitegel gegen Schlangen“, sagte er mit seiner dunklen, kehligen Stimme. „Und Kleider gegen Stechmükken.“
„Quatsch“, brummte Pepe le Moco. „Ein paar Mückenstiche werden uns ja wohl nicht schaden.“
„Mückenstiche nicht. Aber Insekten legen Eier in Wunden. Maden fressen Haut. Viel Eiter, viel Schmerzen.“ Der Maya wies mit dem Kopf auf Dan und Batuti, die sich so weit wie möglich vermummt hatten. „Sie kennen Urwald. Sie wissen.“
Pepe le Moco schnitt ein ziemlich zweifelndes Gesicht. Dan und Batuti schwiegen, ihnen war es völlig gleichgültig, ob sich ihre Gegner mit entzündeten Wunden würden herumschlagen müssen. Jean Morro traf die Entscheidung. Der Maya kenne das Land, meinte er, also habe man sich gefälligst nach seinen Ratschlägen zu richten.
Eine Viertelstunde später war die Kolonne abmarschbereit – dreizehn Männer, die in den dichten Dschungel von Chiapas eindrangen. Jacahiro übernahm die Führung und richtete sich nach der Karte, die der alte Valerio dem Bretonen überlassen hatte. Der Maya kannte das Land, er kannte auch die Legende von dem sagenhaften „Schatz der Götter“. Ohne ihn hätten sich die Piraten wahrscheinlich niemals auf die Suche begeben, sondern Valerios Karte und sein Geschwätz über das Maya-Gold als Humbug abgetan.
Dan O’Flynn erschien es zumindest sehr zweifelhaft, daß Valerios Schatzkarte echt war.
Während Batuti dem Schluß der Kolonne zugeteilt worden war, marschierte Dan O’Flynn, bewacht von Pepe le Moco und Esmeraldo, direkt hinter dem Bretonen. Noch war der Wald ziemlich licht, da es in der Nähe der Küste Felsen gab, die ein allzu üppiges Wuchern der Vegetation verhinderten. Aber weiter im Landesinneren schlossen sich Baumriesen, Unterholz und ein Gewirr von Schlingpflanzen zu dichten Wänden zusammen. Trotz aller Tükken und
Gefahren hatte diese Wildnis auch eine Ausstrahlung von dunkler, unwiderstehlicher Lokkung.
Das Land der Maya!
Es war genauso geheimnisvoll wie das legendäre El Dorado, das Goldland der Inkas, das die Seewölfe entdeckt hatten. Bei aller Wut auf Jean Morros Halsabschneider mußte Dan sich eingestehen, daß ihm das Abenteuer dieser Schatzsuche beinahe Spaß zu bereiten begann.
3.
Daß der Maya auf dem schmalen Urwaldpfad nicht bewußtlos war, wurde Hasard erst klar, als er ihn an der Schulter packte und umdrehte.
Der Mann versteifte sich. Aus aufgerissenen Augen starrte er den Seewolf an, dann die anderen, dann wieder den schwarzhaarigen Riesen mit den eisblauen Augen. Der Indianer schien damit zu rechnen, in der nächsten Sekunde umgebracht zu werden.
Hasard hob rasch beide Handflächen zu der uralten, in jeder Sprache verständlichen Geste des Friedens.
„Wir sind Engländer“, sagte er auf Spanisch. „Ingles! Kannst du mich verstehen?“
Der Maya nickte stumm. Hasard reichte ihm die Hand und half ihm auf die Beine. Dabei lauschte er auf das Geschrei und die Geräusche von brechenden Ästen und trampelnden Schritten, die sich näherten.
„Spanier?“ fragte er knapp.
„Spanier.“ Die Stimme des Maya klang dunkel und kehlig, der Blick seiner eigentümlich sanften braunen Augen bohrte sich in die eisblauen des Seewolfs.
„Ich heiße Yuka“, sagte er überraschend flüssig. „Sie wollen mich hängen, weil ich einen Spanier getötet habe. Ich mußte ihn töten. Er wollte ein Mädchen schänden, das fast noch ein Kind war.“
„Und du konntest fliehen?“
„Sie sind hinter mir her. Sie werden mich töten, aber ich werde viele von ihnen mitnehmen.
Mit einer stolzen Geste warf der Maya den Kopf zurück. Daß er unbewaffnet war, schien er im Moment völlig vergessen zu haben. Hasard lächelte.
„Ich