Seewölfe - Piraten der Weltmeere 293. Frank Moorfield
Schmerzen bereitete.
Da aber sah er, was geschehen war.
Die vier Engländer, die mit Terry an Bord gewesen waren, schienen sich verholen zu wollen. Jedenfalls waren sie über Bord gesprungen und schwammen mit weit ausholenden Bewegungen auf die Insel zu – wahrscheinlich, um sich dort zu verkriechen.
Grammont spuckte verächtlich auf die Planken.
„Feiges Pack!“ brüllte er. „Paßt auf, daß euch die vollen Hosen nicht nach unten ziehen!“
Im ersten Moment verspürte er das Verlangen, sich ein Tromblon zu holen und den feigen Burschen einige Ladungen gehacktes Eisen und Blei nachzuschicken, dann aber verzichtete er darauf. Sollten sie doch abhauen! Mit diesen Mistkerlen war sowieso nichts mehr anzufangen.
Er trat an die zerfetzte Schmuckbalustrade des Achterkastells und warf einen Blick auf die fünf Männer aus seiner Bande.
„Und ihr?“ brüllte er. „Wollt ihr auch die Ärsche zukneifen und verschwinden?“
Die verludert aussehenden Kerle, die alle irgendwelche Verletzungen abgekriegt hatten, blickten sich einen Atemzug lang irritiert an.
Dann brüllte einer von ihnen zurück: „Sind wir vielleicht Engländer, he?“
Über das Gesicht Grammonts huschte seit langer Zeit das erste Grinsen.
„Gut so!“ rief er zurück. „Wir geben noch lange nicht auf! Und wir werden eine Gelegenheit finden, uns an den englischen Bastarden zu rächen!“ Schweren Schrittes stapfte er ins Achterkastell und suchte dort seine Kapitänskammer auf.
Aber dort wartete eine neue Überraschung auf ihn, und zwar eine verdammt böse Überraschung.
In der Kammer sah es aus, als hätten die Vandalen gehaust. Selbst eine Kanonenkugel hätte kein größeres Durcheinander anrichten können. Es hatte hier ganz offensichtlich ein Kampf stattgefunden. Aber warum gerade in der Kapitänskammer? Alles lag kreuz und quer übereinander. Schapps und Spinde waren aufgerissen worden, ihr Inhalt lag verstreut auf den Bodenplanken. Selbst die Koje hatte man auseinandergenommen.
Erst als der Blick Grammonts auf das Brettergeviert seiner Koje fiel, begriff er, was hier tatsächlich geschehen war.
„Das Gold!“ murmelte er vor sich hin. „Bei allen Teufeln und Heiligen – das Gold ist weg!“ Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag und ließ ihn für einen Augenblick sämtliche Schmerzen vergessen.
Hastig arbeitete sich Grammont an die Koje heran, schleuderte die aufgestemmten Bretter zur Seite und griff in die Nische, in der er eine Schatulle voller Goldmünzen versteckt hatte.
Er hatte sich nicht getäuscht. Das Versteck war leer, die Schatulle war weg.
Es handelte sich zwar nicht um unermeßliche Reichtümer, aber dennoch hatte er dort einen recht erheblichen Anteil von den Geldern versteckt, die er bis jetzt von den Spionen des spanischen Hofes für seine Störaktionen gegen englische Schiffe erhalten hatte.
Yves Grammont richtete sich mit irrem Blick auf. Aus seiner Kehle löste sich ein Schrei, der die wracke Galeone bis in die letzten Verbände erzittern ließ. Und die Flüche, die sich diesem Schrei anschlossen, ließen mit Sicherheit nicht nur alle Heiligen, sondern auch sämtliche Dämonen der Hölle erblassen.
Der Piratenführer wankte wie ein Betrunkener aus der Kapitänskammer. Den Verlust von Schiffen und Menschen – den ertrug er gerade noch. Aber das Verschwinden einer großen Schatulle, angefüllt mit Münzen aus purem Gold, das konnte auch einen Mann wie Yves Grammont aus den Stiefeln heben.
„Der Himmel hat sich gegen mich verschworen“, stammelte er. „Alle lichten und dunklen Mächte müssen sich gegen mich zusammengerottet haben!“
Er hatte gar nicht so unrecht mit diesen finsteren Vermutungen, denn das Schicksal hielt an diesem schwarzen Tag noch weitere Überraschungen für ihn bereit.
Die nächste begegnete ihm bereits, als er das Achterkastell verlassen wollte. Das leise, aber anhaltende Zischen, Gurgeln und Plätschern entging ihm nicht. Und er registrierte auch, daß diese Geräusche aus dem Inneren der gemächlich dahintreibenden „Louise“ drangen, genauer gesagt: aus den unteren Schiffsräumen.
„Was ist los mit dir? Warum hast du so laut gebrüllt?“ fragte Saint-Jacques, der sich in der Zwischenzeit ebenfalls wieder aufgerafft hatte und Grammont mühsam zum Achterkastell gefolgt war.
Aber der Bandenführer bedachte ihn statt einer Antwort mit einem Blick, der Wut, Haß und Entsetzen zum Ausdruck brachte. Wortlos deutete er mit dem Zeigefinger nach unten.
Da hörte auch Saint-Jacques das Plätschern und Gurgeln. Seine tiefliegenden Augen weiteten sich vor Schreck, dann stützte er sich auf die Reste der Schmuckbalustrade, während Grammont unter Deck verschwand, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Als der Piratenkapitän zurückkehrte, strahlte sein Gesicht eine geradezu unheimliche Ruhe aus. Und Saint-Jacques wußte augenblicklich, daß es die Ruhe vor dem großen Sturm war. Er wagte jetzt nicht, eine Frage zu stellen, sondern blickte dem Kapitän der „Louise“ lediglich stumm entgegen.
„Die Stunden der ‚Louise‘ sind gezählt“, sagte Grammont mit fast tonloser Stimme. „Das Wasser in den unteren Räumen steigt unaufhaltsam. Selbst wenn wir hundert Mann an Bord hätten, könnten wir die Lecks nicht mehr rechtzeitig abdichten.“
„Aber – warum Lecks?“ stammelte Saint-Jacques, dem jetzt kalte Schauer über den Rücken jagten. „Wir haben doch keinen Treffer unterhalb der Wasserlinie abgekriegt!“
Grammont nickte.
„Das nicht. Aber bevor die Hunde das Schiff verließen, haben sie es angebohrt! Und glaube mir, sie haben ganze Arbeit geleistet!“
Für einen Augenblick schien es, als habe sich Yves Grammont resigniert in sein Schicksal gefügt. Aber Saint-Jacques kannte ihn, er wußte instinktiv, was noch folgen würde.
Und es folgte.
Urplötzlich, wie der Ausbruch eines gewaltigen Sturmes, brüllte Grammont auf, fuhr herum und trommelte mit den Fäusten gegen die Wände des Achterkastells. Er schrie, spuckte, tobte und raste wie ein Irrsinniger. Dabei stieß er mit dem Kopf gegen das Holz, als müsse er ganze Mauern einrennen. Vor seinen Mund trat Schaum, und sein unheimliches Gebrüll erinnerte an eine Ochsenherde, die man zur Schlachtbank führt.
Saint-Jacques, der schon manchen Tobsuchtsanfall Grammonts miterlebt hatte, wich entsetzt zurück, denn jetzt – jetzt packte ihn tatsächlich die nackte Angst.
2.
Der Dreierverband, der mit achterlichem Wind auf das bretonische Hafenstädtchen Concarneau zusegelte, sah rein äußerlich recht harmlos aus.
Die beiden englischen Dreimastgaleonen „Hornet“ und „Fidelity“ wirkten wie Handelsschiffe. Aber genau das waren sie nicht. Entsprechend dem Geheimauftrag der englischen Königin, der seinen geheimen Charakter durch den Verrat Easton Terrys längst verloren hatte, waren die Segler hervorragend armiert. Beide waren mit je zwanzig Culverinen und sechs Drehbassen bestückt, wenn man von den Schleudervorrichtungen absah, mit denen man hochgefährliche Flaschenbomben auf die Reise schicken konnte.
Die „Hornet“ segelte unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs, und die „Fidelity“ stand unter der Befehlsgewalt von Jerry Reeves, der den verräterischen Easton Terry als Kapitän abgelöst hatte.
Das dritte Schiff, eine merkwürdige Mischung aus Galeone und fernöstlicher Dschunke, mit schwarzem Rumpf und ebenso schwarzen Segeln, trug den poetischen Namen „Eiliger Drache über den Wassern“, wurde aber meist nur der Schwarze Segler genannt. Er stand unter dem Kommando Thorfin Njals, des Wikingers, der dem Seewolf und seinen Männern sehr eng verbunden war.
Die „Hornet“, bei deren Kapitän die Leitung des ganzen Unternehmens lag, fuhr als Flaggschiff, die „Fidelity“ und der Schwarze