Seewölfe - Piraten der Weltmeere 293. Frank Moorfield
Schiffen Gegenstand vieler Gespräche und Debatten. Alle waren froh darüber, daß es ihnen gelungen war, Yves Grammont, dem Handlanger der spanischen Spione, eine weitere vernichtende Niederlage zugefügt zu haben. Aber sich so richtig darüber freuen – nein, das konnte im Augenblick niemand.
Das, was insbesondere den Seewölfen an Bord der „Hornet“ an die Nieren ging, war das ungewisse Schicksal Paddy Rogers. Die Unklarheit über das, was mit dem bulligen Mann mit den roten Haaren und der gemütlichen Knollennase geschehen würde, schwebte wie ein dunkler Schatten am Horizont.
Und alle Gespräche und Diskussionen dienten letztlich nur dazu, die Nervosität und die bange Erwartung dessen, was vielleicht eintreten könnte, zu überdecken. Die Gedanken aller kreisten immer wieder um das, was zur Zeit in einer stillen Kammer des Achterdecks geschah.
Dort würde sich das weitere Schicksal Paddys – zwar nicht grundlegend, aber doch zu einem großen Teil – entscheiden.
Paddy Rogers lag schwer atmend auf einem langgestreckten Tisch. Die Musketenkugel, die Lucio do Velho, der Anführer der spanischen Spione, ohne Vorwarnung auf ihn abgefeuert hatte, war ihm in die Brust gedrungen. Paddy war zwar am Leben geblieben, aber bis zur Stunde wußte niemand, welche inneren Verletzungen das Geschoß herbeigeführt hatte. Im Augenblick sah es schlimm um ihn aus.
In der Achterdeckskammer brannten mehrere Talglampen, denn ausreichende Sicht war eine Grundvoraussetzung für das Gelingen einer Operation. Niemand durfte den Raum betreten außer denjenigen, die dem Kutscher zur Hand gehen sollten. Der Seewolf, als Kapitän der „Hornet“, hatte natürlich ebenfalls Zutritt.
Abgesehen von dem Verletzten, war der Kutscher jetzt die Hauptperson, denn er war nicht nur ein ausgezeichneter Koch, sondern auch ein hervorragender Feldscher. Da niemand seinen richtigen Namen kannte, wurde er nur „der Kutscher“ genannt, weil er als solcher vor Jahren in den Diensten von Sir Anthony Freemont, einem Arzt in Plymouth, gestanden hatte. Dort hatte er sich auch seine guten Kenntnisse der Heilkunst angeeignet, denen es heute mancher verdankte, daß er noch unter den Lebenden weilte.
Mac Pellew, der von Philip Hasard Killigrew aus dem Schuldturm von Plymouth freigekauft worden war, in dem er wegen eines Kreditwucherers schuldlos gesessen hatte, würde dem Kutscher bei der Operation assistieren.
Auch er, ein Mann mit ewig griesgrämigem und sauertöpfischem Gesicht, verstand eine ganze Menge von solchen Dingen. Nicht umsonst war er schon vor vielen Jahren auf der „Marygold“ unter Sir Francis Drake als Koch und Feldscher gefahren. Aus dieser Zeit war er auch dem Seewolf bekannt. Außerdem war er ein absolut zuverlässiger Mann, mit dem in jeder Situation etwas anzufangen war.
Seit seiner „Befreiung“ aus dem Schuldturm gehörte der alte Mac, wie er oft genannt wurde, zur Seewölfe-Crew. Und er fühlte sich verdammt wohl in dieser rauhen, aber anständigen und fairen Mannschaft.
Doch außer Mac Pellew hatte der Kutscher noch Philip und Hasard junior, die zwölfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, zum Achterdeck beordert, natürlich im Einvernehmen mit ihrem Vater. Schließlich sollten die beiden fixen Burschen, die der Profos meist in rauher Herzlichkeit als „Rübenschweinchen“ bezeichnete, auch etwas lernen. Der Anblick, der mit einer Operation zwangsläufig verbunden war, wirkte zwar nicht unbedingt erquickend, doch die beiden Jungen hatten sich bis jetzt immer als recht beherzt erwiesen. Und erlebt hatten sie in ihrem jungen Leben auch bereits eine ganze Menge.
Damit war das Team der Knochenflicker eigentlich komplett, wenn man von dem einzigen „Zaungast“ absah, den der Kutscher im Logis duldete. Es handelte sich um Jack Finnegan, den besten Freund Paddys. Er war damals gemeinsam mit Paddy Rogers aus dem Mittelmeer gefischt worden, und beide gehörten seitdem zur Crew.
Von Jack, einem harten und intelligenten Burschen, war in dieser Situation zwar keine Hilfe zu erwarten, aber der Kutscher hatte ihm dennoch erlaubt, weiter hinten im Raum auf einer Holzbank Platz zu nehmen, weil er nicht mehr mit ansehen konnte, wie sich Jack immerzu nervös und schwitzend die Hände rieb.
Der Kutscher versuchte seinen Patienten zu beruhigen.
„Es gibt Schlimmeres, Paddy“, sagte er. „Ein Kerl wie du wird das bißchen Gepikse verkraften. Außerdem bleiben dir sämtliche Arme und Beine dran, und das ist auch was wert, nicht wahr?“
Paddy Rogers, der manchmal kurz aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, schien tatsächlich leicht zu nikken. Dann drang ein schwaches Stöhnen aus seinem Mund.
Der Kutscher nickte Mac Pellew zu.
„Gib ihm einen anständigen Schluck, Mac. Vielleicht macht ihm die Sache dann sogar Spaß.“
So aufgekratzt, wie sich der Kutscher gab, war er in Wirklichkeit nicht. Im Gegenteil, er hegte noch immer ernste Bedenken, und er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie die Sache für Paddy ausgehen würde. Die Musketenkugel steckte im Herz-Lungen-Bereich, und das war eine verdammt heikle Gegend innerhalb des menschlichen Körpers.
Mac Pellew nutzte den wachen Moment Paddys aus und setzte ihm die Rumflasche an die Lippen. Er trank, wenn auch nur mühsam und in winzigen Schlucken.
Der Kutscher schnallte inzwischen dem Verletzten Arme und Beine mit einem speziell dazu angefertigten Ledergurt fest. Dann wandte er sich an die Zwillinge.
„Wie sieht’s bei euch aus?“ fragte er. „Ist genug heißes Wasser da? Und habt ihr auch an die sauberen Leinentücher gedacht?“
„Aye, Sir, es ist alles da!“ erklärte Philip junior.
„Auch das Messingbecken mit den glühenden Holzkohlen“, ergänzte Hasard.
Der Kutscher nickte zufrieden und betrachtete den Inhalt seiner Instrumentenkiste, die er auf einer der Holzbänke abgestellt hatte.
„Soll ich noch eine Flasche öffnen?“ fragte Mac.
Der Kutscher schüttelte den Kopf.
„Das reicht, Mac. Zuviel Rum ist der Sache auch nicht gerade förderlich. Außerdem ist Paddy kein zartes, junges Kätzchen, sondern ein ausgewachsener Kleiderschrank. Er wird es verkraften!“
Immer wenn der Kutscher seine „Marterwerkzeuge“ auspackte, verfolgten die Zwillinge den Vorgang mit gemischten Gefühlen, auch wenn es nicht das erste Mal war, daß sie ihm bei einem solch unliebsamen Geschäft zur Hand gingen.
Die kleinere Kiste mit den Flaschen und Töpfen, die so manche geheimnisvolle Arznei enthielten, war noch das harmloseste.
Viel aufregender sahen die anderen Instrumente aus, die der Feldscher nebeneinander auf das saubere Leinentuch ordnete, das er über eine Bank geworfen hatte. Alles war da vertreten – Messer, Zangen, Lanzetten, Krummskalpelle in verschiedenen Größen, außerdem Bohrer, Scheren, Nadeln und Pinzetten. Auch das beilartige Kauterium, ein Brenneisen zum Ausbrennen und Ausätzen von Wunden, sowie die berüchtigte Amputationssäge fehlten nicht. Letztere würde der Kutscher, dem Himmel sei Dank, bei Paddy nicht verwenden müssen, denn seine Knochen und Glieder waren heil geblieben.
Paddy Rogers kriegte die Vorbereitungen nicht mehr mit, denn eine weitere Bewußtlosigkeit sowie der Rum, den Mac ihm verabreicht hatte, taten ihre Wirkung.
Hasard junior warf seinem Bruder einen prüfenden Blick zu.
„Du wirst grün im Gesicht“, sagte er mit leiser Stimme.
„Ich?“
„Ja, du!“
„Bei dir nistet wohl ’ne Möwe unter der Schädeldecke!“
Aber Jung Hasard beharrte auf seiner Feststellung. „Und doch bist du grün im Gesicht!“
Philip junior ballte bereits eine Hand.
„Wenn du blaßgesichtiger Stint das noch ein einziges Mal behauptest, dann …!“
Der Kutscher fuhr dazwischen.
„Donnerwetter!“ schimpfte er. „Wenn ihr beiden grünen Heringe nicht sofort eure Futterluken abschottet, werde ich eure Hinterteile mal mit dem Brandeisen tätowieren!“
„Jawohl“,