Seewölfe - Piraten der Weltmeere 128. Fred McMason
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-452-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Man schrieb den 11. Januar 1586. Ein schwacher Wind blies aus Nord und trieb die „Isabella VIII.“ nur langsam über die glatte See. Die Sicht war miserabel, denn dichter Nebel umgab seit Tagen das Schiff. Man konnte kaum vom Achterkastell aus noch den Hauptmast sehen. Entsprechend war die Stimmung an Bord.
Der Seewolf stand auf dem Achterdeck neben Pete Ballie, dem Rudergast. Die mächtigen Pranken des stämmigen, untersetzten Engländers lagen auf dem Ruderrad, und auch seine Miene wirkte düster.
„Verdammter Mist!“ stieß er hervor. „Seit Tagen diese Suppe, kein Aas weiß, wo wir sind. Wir steuern fast genau Kurs Süd, aber das Wasser ist so tief, daß das Lot keinen Grund kriegt. Dabei müßten wir uns den verdammten Karten nach längst dicht unter Land befinden. Ben ist auch dieser Meinung. Und wenn der Fockgast plötzlich Land entdecken sollte, dann brummen wir auch schon auf!“
Der Seewolf sah Pete aus seinen eisblauen Augen an.
„Stimmt alles, Pete, aber sollen wir vielleicht die Segel einholen und uns treiben lassen? Viel Fahrt läuft die ‚Isabella‘ sowieso nicht, und einmal muß dieser Nebel zu Ende sein. Dann werden wir schon herausfinden, wo wir sind.“
Pete Ballie, der das wabernde Grau, das über dem Schiff lag, genauso dick hatte wie alle anderen an Bord, brabbelte irgend etwas vor sich hin. Natürlich konnten sie sich nicht einfach treiben lassen. Sie befanden sich in absolut fremden Gewässern, und da mußte man sowieso auf der Hut sein. Hinzu kam auch noch, daß die Wasservorräte zur Neige gingen, und mit den Nahrungsmitteln verhielt es sich nicht anders. Der Kutscher tat zwar, was er konnte, aber Wunder konnte auch er nicht vollbringen.
Dem Seewolf war das alles nicht entgangen. Er wußte, daß die Stimmung unter seinen Männern so schlecht war wie selten. Tägliche Reibereien, hier und da auch mal eine Schlägerei, die Ed Carberry, der Profos, meist abrupt beendete. Aber Hasard maß alledem keine übertriebene Bedeutung zu. Solange das nicht ausuferte und sich im Rahmen hielt, bestand für ihn kein Anlaß, einzugreifen.
Er verließ das Achterdeck und turnte die wenigen Stufen zum Hauptdeck hinunter. Dort stieß er auf Ben Brighton, seinen ersten Offizier und Stellvertreter.
„Ben, ich will mir noch mal die Karten ansehen. Wenn wir unsere letzten Positionen noch einmal sorgfältig durchgehen und dann nachrechnen, wie viele Meilen wir seit Beginn des Nebels zurückgelegt haben können, dann müßte sich zumindest unsere ungefähre Position ermitteln lassen. Immerhin hat der Wind fast beständig aus Nord geblasen. Das einzige, was wir nicht wissen, ist, ob es hier Strömungen und damit starke Abdriften gibt.“
Ben Brighton grinste.
„Offenbar hast du dir auch das Gemaule von Pete anhören müssen. Ich weiß nicht, was in Pete gefahren ist, aber er ist seit Beginn des Nebels übelster Laune.“
„Wie alle an Bord, Ben. Ich kann unsere Männer sogar verstehen. Und im übrigen hat Pete recht. Wir laufen tatsächlich Gefahr, ganz plötzlich Land vor uns zu haben, falls die Karten der Dons stimmen. Sehen wir also mal nach, ob wir wenigstens unsere ungefähre Position ermitteln können.“
Die beiden Männer verschwanden hinter der dicken Bohlentür, die an Steuerbord in das Achterkastell der „Isabella“ führte. Der Seewolf ging voran, knapp zwei Schritte hinter ihm Ben Brighton. Sie hatten seine Kammer jedoch noch nicht erreicht, da passierte es.
Undeutlich vernahmen sie an Deck ihres Schiffes ein Mordsgeschrei. Die gewaltige Stimme Ed Carberrys dröhnte über Deck, und der Profos schien Kommandos zu brüllen, die aber weder der Seewolf noch Ben Brighton im Innern des Achterkastells verstehen konnten.
Hasard blieb abrupt stehen und sah seinen ersten Offizier an.
„Zurück an Deck, Ben, rasch. Da oben ist der Teufel los, wir müssen …“
Weiter gelangte er nicht. Die „Isabella“ traf ein Stoß, der sie weit nach Steuerbord überholen ließ. Der Seewolf und Ben Brighton hörten das Geschrei der Männer, hörten Planken brechen und schweres Poltern an Deck. Durch die Wucht des Stoßes wurden sie gegen die Wand des Ganges geworfen, in dem sie sich befanden. Ben Brighton strauchelte, fing sich aber im letzten Moment und knallte mit dem Schädel gegen die wie wild hin und her schwingende Öllampe, die den Gang zu Hasards Kammer spärlich beleuchtete.
Wieder knirschte und krachte es. Wieder polterte etwas an Deck – und irgendwo wurde geschossen.
Der Seewolf lief los, hinter sich Ben Brighton. Aber als er die schwere Bohlentür aufstoßen wollte, ging das nicht. Irgend etwas blockierte sie.
Die beiden Männer warfen sich mit aller Macht gegen die Bohlen. Vergeblich, die Tür, die zum Hauptdeck führte, gab nicht nach.
„Durch meine Kammer, rasch!“ sagte Hasard und jagte auch schon los. Ihm war klar, daß sich die „Isabella“ in Gefahr befand. Irgend etwas mußte geschehen sein, womit niemand gerechnet hatte.
Ben und er erreichten die Kammer des Seewolfs in Sekunden. Hasard entriegelte die Tür, die zur Heckgalerie hinausführte, und stieß sie auf. Dann blieb er einen Moment lang wie erstarrt stehen, denn er sah den riesigen Schatten, der durch den fast undurchdringlichen Nebel neben der „Isabella“ aufragte.
Der Seewolf verlor keine überflüssigen Worte, sondern lief die Heckgalerie entlang bis zum Ende. Er wußte, daß es möglich war, von dort auf das Achterdeck zu gelangen. Doch noch bevor er dort anlangte, dröhnte eine der siebzehnpfündigen Culverinen der „Isabella“ auf. Der Schein des Mündungsfeuers zuckte durch den Nebel. Wüste Schreie und Flüche wurden laut, Musketen entluden sich, und irgendwo krachte eine Drehbasse.
Der Seewolf hörte Carberry etwas brüllen, dann vernahm er die Stimme Ferris Tuckers, der sich offenbar auf dem Achterdeck befand.
„Ferris!“ Hasard brüllte, so laut er konnte, während er bereits dabei war, sich von der Heckgalerie aus an Deck zu schwingen. Ben Brighton versuchte ihm dabei zu helfen.
Ein Schatten tauchte über dem Seewolf auf.
„Hasard?“ Die Stimme des Schiffszimmermamms dröhnte über ihm auf, dann packten die Pranken des rothaarigen Hünen zu und rissen den Seewolf mit einem einzigen Ruck zum Achterdeck der „Isabella“ hoch. Im nächsten Moment folgte Ben Brighton.
„Irgend so ein verdammter Idiot hat uns gerammt, Hasard. Glaube ich wenigstens – und jetzt machen sich die Kerle auch noch mausig und wollen uns entern. Der Teufel soll die ganze verdammte Brut holen. Habt ihr eine Waffe? Die Kerle schlagen und stechen um sich, daß es eine Art hat. Los, nach vorn, Ed hat sie dort mit Batuti und noch ein paar Mann zusammengedrängt, Al Conroy hat ihnen eine volle Ladung aus einer unserer Culverinen in den Rumpf gebrannt, und ich denke, es wird nicht die letzte sein. Da, der Feuerzauber geht schon wieder los!“
Ein lautes Kommando ertönte auf dem Geschützdeck. Gleichzeitig entluden sich mit ohrenbetäubendem Krachen vier oder fünf der Culverinen. Im Feuerschein