Seewölfe - Piraten der Weltmeere 91. Roy Palmer
Es brachte das Schiff zum Stoppen.
Entsetzt sahen der Boston-Mann, Juan, die fünf Wikinger und die anderen Besatzungsmitglieder auf das treibende Geschlängel, das sich da rund um ihren Segler abspielte. Cookie zog sich vorsichtshalber aus Flanagans Nähe zurück, weil er befürchtete, der Mann könne ihm auch hierfür die Schuld in die Schuhe schieben.
Als der Riesentang sich schmatzend um das Ruderblatt des schwarzen Schiffes legte, war es endgültig aus mit der Manövrierfähigkeit.
„Bei Odin!“ brüllte Thorfin Njal. „Aus diesem Schlamassel kommen wir vorerst nicht wieder ’raus!“
„Wir müssen ein Loch in das Zeug schießen!“ schrie Juan. „Das muß irgendwie zu drehen sein!“
„Wir könnten unsere Brandsätze in den Tang feuern“, entgegnete Siri-Tong. „Aber sie müßten sehr tief angesetzt werden und dicht neben oder vor dem Schiff einschlagen. Wir könnten uns selbst gefährden. Nein, warten wir noch.“
Arne schaute plötzlich auf und stieß einen verblüfften Laut aus. Er befeuchtete rasch einen Finger, streckte ihn hoch in die Luft und wies dann auf die Takelage. „Da kann man doch verrückt werden! Der Wind bläst immer noch aus Westen, aber er hat wieder zugenommen. Und wir hocken hier im Tang und haben nichts davon.“
Es stimmte, der Wind hatte aufgefrischt und schob die „Isabella“ rascher vor sich her. Sie beschleunigte zusehends. Hasard konnte sich darüber aber nicht recht freuen.
Er schaute wieder zum schwarzen Schiff und sagte: „Teufel, sie bewegen sich auch, aber der Tang haftet an ihnen und schleift mit. Das sieht ja fast wie Hexerei aus.“
Er wandte sich um. Nur Ben Brighton befand sich dicht hinter ihm und hatte seine Worte gehört. Darüber war Hasard froh. Ben war kein sehr abergläubischer Mann. Die anderen aber hätten allein das Wort Hexerei wieder mit ihren Unkereien und Spökenkiekereien interpretieren können.
„Anluven“, befahl der Seewolf. „Ruder Backbord, wir gehen auf Nordkurs und dann über Stag – wir umkreisen den schwarzen Segler!“
Und so umrundete die „Isabella VIII.“ den Viermaster wie ein großes Tier, das seinem Artgenossen helfen möchte und es doch nicht kann. Beide Schiffe wurden dabei vom Wind immer weiter nach Osten gedrückt.
Das Tangfeld hatte riesige Ausmaße. Hasard konnte nicht einmal auf Rufweite an das schwarze Schiff heran. Wagte er sich zu dicht an die glitschigen grünen Gebilde, dann riskierte er, ebenfalls gepackt zu werden.
„Wir müssen was unternehmen“, sagte er zu Ben Brighton. „Wenn wir das schwarze Schiff einfach so treiben lassen und darauf hoffen, daß eine günstige Gegendrift den Tang wieder davonträgt, besteht die Gefahr, daß Siri-Tong irgendwo aufläuft. Die Inseln sind nach meinen Berechnungen nicht mehr fern.“
„Was tun wir also?“ erwiderte Ben Brighton. „Können wir nicht ein Tau zum schwarzen Segler hinüberbefördern – etwa so wie in der Treibsand-Lagune? Wenn Big Old Shane präzise zielt, dürfte durch den Pfeil, der die Leine trägt, drüben auf dem Viermaster keiner verletzt werden.“
„Ben, die Entfernung ist zu groß für einen solchen Schuß.“
„So ein Mist aber auch.“
„Also“, sagte jetzt Ferris Tucker zum Seewolf, „ich habe doch diese Handbomben gebastelt – Flaschen, die mit Nägeln, Blei und Pulver gefüllt sind. Damit könnten wir eine Bresche in den verfluchten Tang treiben.“
„Ich glaube, das hat wenig Zweck“, erwiderte Hasard. „Genausogut kannst du versuchen, ein Feuer auszuspucken. Wo du ein Loch in den Tang sprengst, schließt sich die Lükke in Sekundenschnelle wieder.“
„Aber wir könnten es doch wenigstens probieren“, sagte der rothaarige Riese beharrlich.
„Ja. Ich schätze, es ist unsere einzige Möglichkeit.“
„Gut, ich hole die Flaschen“, sagte Ferris.
In diesem Augenblick meldete sich wieder Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Männer, die Augen nach Westen. Wale! He, ho, ich krieg zuviel, das ist eine ganze Schule!“
Sie befanden sich inzwischen wieder an der südlichen Flanke des Riesentang-Feldes, segelten also mit achterlichem Wind nach Osten. Hasard verließ das Achterdeck und lief mit seinem Spektiv über die Kuhl zur Back, um einen besseren Ausblick zu haben. Er klomm den Steuerbordniedergang hoch, stellte sich neben Smoky und Al Conroy ganz vorn an die Balustrade und spähte durch die Optik.
Es war eins der gewaltigsten Schauspiele, dem ein Mensch beiwohnen konnte, vergleichbar vielleicht nur mit einem Seebeben oder der Geburt einer Vulkaninsel. Schätzungsweise zwei Seemeilen vor den beiden Schiffen brach die See an mehreren Stellen auf, als müsse sie Blähungen entlassen. Das gischtete und sprudelte, das schäumte und brodelte, und dann schnellten zunächst zwei Riesenleiber mit urwüchsiger Kraft aus den Fluten hervor und gleich darauf noch einer. Ja, sie vermochten sich bis in die Luft hinauszukatapultieren. Danach tauchten sie kopfüber wieder ein, ein gewaltiger Hieb mit der Schwanzfluke noch, und jeder von ihnen verschwand in den Tiefen, um seinen Artgenossen Platz für den nächsten akrobatischen Salto zu schaffen.
„Das ist ja phantastisch“, sagte Hasard.
„Kaum zu glauben“, pflichtete Smoky ihm bei. Er stand links neben ihm und hatte ebenfalls das Fernrohr ans Auge gehoben. „Ich habe schon ein paarmal Wale beobachtet, aber so herrliche Sprünge habe ich noch nicht gesehen.“
„Hasard, wie viele hast du gezählt?“ rief Dan von oben. Er hatte sich aufgerichtet und blickte angestrengt durch den Kieker. „Fünf, sechs, Mann, ich verliere den Überblick!“
„Es sind mehr als zehn Tiere“, antwortete der Seewolf. „Und zwar Humpbacks, Buckelwale. Ihr Anführer scheint der größte von allen zu sein – der, der die kühnsten Sprünge ausführt. Ja, er muß der Leitbulle sein.“
„Wir halten genau auf sie zu“, sagte Al Conroy.
„Ja.“ Hasard war fasziniert. Er konnte sich nicht sattsehen an dem Getummel und der Ausgelassenheit der gewaltigen Tiere. „Buckelwale sind die Artisten unter den Walen. Sie werden nicht so groß und schwer wie die Blau- und Pottwale, aber sie leisten ganz Erstaunliches – wie diese Sprünge über die Wasseroberfläche hinaus. Sie tragen Höcker auf dem Kopf, haben einen schwarzen Rükken, einen weißen Bauch und lange Brustflossen, die beim Jumpen wie Windmühlenflügel rotieren.“
„Wie du das alles weißt“, sagte Smoky. „Was meinst du, wie lang ist das Leittier wohl?“
„Fünfzehn Yards oder noch länger.“
„Warum jagen wir ihn nicht?“
Hasard setzte das Spektiv ab und sah seinen Decksältesten verwundert an. „Jagen? Wie kommst du darauf?“
„Wir könnten doch Fleisch-Nachschub gebrauchen. Walfleisch soll wie Rind schmecken, hab ich gehört.“
„Das ist auch so“, entgegnete Hasard. „Aber ich hätte nie ernsthaft daran gedacht, so einen Brocken zu erlegen und dann hier auf dem Deck der ‚Isabella‘ auszuweiden. Erstens sind wir keine Fachleute auf dem Gebiet, Smoky. Zweitens liegt es mir irgendwie nicht, einen Wal zu töten. Sie sollen kluge Burschen sein, diese Giganten, und ich habe Respekt vor ihnen.“
„Das heißt, wir lassen die Schule in Ruhe?“
„Ja.“
Smoky bedauerte das. Hasard konnte seinem Gesichtsausdruck deutlich das Jagdfieber entnehmen, das ihn gepackt hatte. Er konnte es ihm nicht verübeln. Der Wunsch, ein großes Tier zu besiegen, war als Instinkt in jedem Menschen verwurzelt. Und je größer das Wesen war, desto mächtiger wurde dieses Bestreben.
„Ho!“ brüllte Dan O’Flynn unvermittelt wieder los. „Wir kriegen noch mehr Besuch. Sieh mal zur südöstlichen Kimm, Hasard!“
Hasard folgte der Aufforderung. Wenig später hatte er den „Besuch“ entdeckt.
Es