Seewölfe - Piraten der Weltmeere 91. Roy Palmer
äußere östliche Ende erreichte und unter Hasards Kommando wieder anluvte.
Er kehrte auf das Achterdeck zurück und beobachtete von hier aus unausgesetzt die fremden Segler. Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Old O’Flynn hatten sich zu ihm gesellt.
„Kriegsschiffe“, sagte der Seewolf, ohne das Spektiv abzusetzen. „Und ich will einen Besen fressen, wenn es nicht Spanier sind. Sie kreuzen, mal einen Schlag nach Norden, dann wieder einen nach Süden. Zwei Schritte vor, einen zurück.“
„Ich kann ihre Flaggen erkennen!“ rief Dan O’Flynn. „Es sind Dons!“
„Na bitte“, sagte Hasard grimmig. „Entweder haben sie uns schon erkannt oder sie kommen, um uns zu kontrollieren. Ausweichen können wir ihnen nicht. Wir dürfen den schwarzen Segler nicht im Stich lassen.“
„Wäre doch gelacht, wenn wir vor denen auskneifen würden“, sagte der alte O’Flynn. „Was bilden die sich eigentlich ein?“
Hasard ließ den Kieker immer noch nicht sinken. „Ich an deiner Stelle würde nicht so selbstherrlich und vorschnell in meinem Urteil sein. Donegal, das sind zwei bestens armierte Kriegsschiffe. Ich kann ihre Stückpforten noch nicht zählen, aber ich nehme an, jedes trägt mindestens zwanzig Geschütze.“
„Meinst du, die putzen wir nicht weg?“
„Ich meine, daß Siri-Tong gehandikapt und kaum gefechtsfähig ist. Wir stehen dem Gegner allein gegenüber, falls wir kämpfen müssen.“
„Tja“, sagte Old O’Flynn, und das klang schon gar nicht mehr so überzeugt.
„Wir könnten uns als Spanier ausgeben“, schlug Shane vor. „Ich weiß, das schwarze Schiff läßt sich schlecht tarnen, es verrät uns. Aber wenn die Rote Korsarin alle blonden, nordischen Typen unter Deck versteckt, könnte es klappen. Die Dons werden in erster Linie mit uns palavern, an den Viermaster kommen sie wegen des Tangs nicht heran. So werden sie also gar keine Gelegenheit finden, unsere Freunde als Piraten zu entlarven.“
„Stimmt, und wir haben uns ja schon öfter als Spanier ausgegeben – mit Erfolg“, sagte Ben Brighton. „Warum sollte es nicht auch dieses Mal hinhauen?“
„Also gut, wir versuchen es“, erwiderte Hasard. „Alle blonden Männer verstecken sich. Pete, Stenmark, das gilt in erster Linie für euch! Ferris, auch du mit deinem roten Schopf verziehst dich am besten unter Deck. Dan, du bleibst im Großmars, zeigst dich nach Möglichkeit aber nicht, verstanden?“
„Aye, aye!“ Dan O’Flynn setzte sich hin. Arwenack tat das gleiche, und damit waren sie hinter der Segeltuchverkleidung ihres luftigen Postens verschwunden.
„Ed“, sagte Hasard vom Achterdeck aus zu seinem Profos. „Paß auf, wenn du die Kommandos auf Spanisch erteilst. Du weißt ja, daß du noch einen starken englischen Akzent hast. Und achte auf Sir John. Daß er sich bloß nicht verplappert.“
„In Ordnung, Sir“, erwiderte Carberry. Er grinste, pflückte sich Sir John, den roten Aracanga, von der Schulter und stopfte ihn sich einfach in die Tasche. Sir John beherrschte die gesalzensten und längsten Carberry-Flüche, aber nur auf Englisch.
„Heißt Flagge“, ordnete Hasard an. „Nehmt die schönste, die wir an Bord haben – die des spanischen Königs mit den Wappenzeichen von Kastilien und León. Damit werden wir genügend Eindruck schinden.“
Während sie weiter an dem Tangfeld entlangsegelten und alle erforderlichen Vorbereitungen für das Täuschungsmanöver trafen, hielt Hasard wieder Umschau. Auf dem schwarzen Schiff war Unruhe eingetreten. Siri-Tong und ihren Männern waren die beiden spanischen Kriegsschiffe natürlich auch nicht entgangen. Da die Schiffe mit ihren langwierigen Kreuzschlägen langsam, aber beständig auf sie zuzuhalten schienen, zerbrach sich auch die Korsarin den Kopf darüber, was wohl am besten zu tun sei.
Hasard ließ ihr signalisieren und teilte ihr in groben Zügen seinen Plan mit. Danach spähte er wieder zu den Spaniern.
Der Wind hatte noch etwas zugenommen und blies jetzt frisch bis handig aus Westen. Die beiden Feindsegler hatten den Kurs gewechselt und segelten jetzt einen Kreuzschlag nach Süden.
Dabei geriet die Walschule praktisch zwischen beide Parteien. Die Tiere ließen sich durch die Schiffe jedoch nicht stören, sie vollführten weiterhin ihre kühnen Sprünge. Vielleicht waren sie noch nie in ihrem Leben einem menschlichen Wesen begegnet.
„Muttertiere mit Kälbern und den dazugehörigen Ammen“, sagte Hasard zu seinem Bootsmann und Ersten Offizier. „Und der Anführer wacht über sie alle. Ich nehme an, sie kommen aus den kalten, südlichen Zonen und ziehen in wärmere Gefilde, damit die Weibchen in Ruhe und Geborgenheit ihre Jungen zur Welt bringen können.“
„Hasard.“ Ben Brighton wies zu den fremden Schiffen hinüber. „Ich habe eben die Stückpforten gezählt. Es sind fünfzehn an jeder Schiffsseite.“
„Dreißig Geschütze also auf jedem Schiff“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Und jeder wiegt gut und gern seine 600 Tonnen. Das sind harte Brocken, Ben. Ich hoffe nur, sie fallen auf unseren Trick herein wie all die anderen Dons, die wir bisher damit hereingelegt haben.“
„Das Führungsschiff signalisiert uns!“ rief der junge O’Flynn über ihren Köpfen – auf Spanisch, der Vorsicht halber, denn die Spanier waren inzwischen auf weniger als eine Meile Distanz heran. Der Wind trug ihnen den Schall entgegen. „Wir sollen uns zu erkennen geben!“
„Hat der Tomaten auf den Augen?“ knurrte Old O’Flynn. „Sieht der unsere schöne weiße Spanier-Fahne nicht?“
„Dahinter steckt was anderes“, meinte Hasard. „Verdammt noch mal, wir haben es mit einem ganz Mißtrauischen zu tun. He, Dan!“
„Ich höre!“
„Signalisiere dem Kommandanten des Flaggschiffes da drüben, wir hätten unsere Nationalitätszeichen bereits gehißt – und außerdem heiße Don Diego de Almirante, der Kapitän dieses Schiffes, ihn herzlich willkommen.“ Er sprach jetzt ebenfalls spanisch – vorsichtshalber.
„Diego de Almirante?“ wiederholte Shane gedämpft. „Wo hast du denn den Namen her?“
„Er ist mir eben eingefallen“, erwiderte der Seewolf.
Dan tat, was Hasard ihm aufgetragen hatte, und in derselben Zeit gingen die spanischen Kriegssegler wieder über Stag, um einen neuen Kreuzschlag nach Norden zu fahren. Sie zogen dicht an der Walschule vorbei. Die Tiere verlagerten ihren Platz ein wenig näher zur „Isabella“ hin. Allmählich gerieten sie in eine Art Kessel zwischen den beiden so unterschiedlichen Verbänden.
Dan war mit dem Signalisieren fertig. Hasard wartete auf die Antwort der Spanier. Er lief mit seiner „Isabella“ immer noch am Ostrand des Tangfeldes entlang, hatte also Parallelkurs zu den Gegnern.
Plötzlich luvte drüben das Führungsschiff an. Hasard beobachtete es deutlich durch das Spektiv. Überlegend kaute er auf der Unterlippe. Was hatte der fremde Kommandant vor?
„Sollten wir nicht doch lieber gefechtsklar machen?“ sagte der alte O’Flynn.
„Das muß die Burschen noch argwöhnischer stimmen“, erwiderte Ben Brighton. „Wenn sie dichter heransegeln, sehen sie unsere schußbereiten Kanonen und wissen, was wir mit dem ‚herzlichen Empfang‘ in Wirklichkeit meinen.“
„Hölle und Teufel, das ist auch wieder wahr.“
Hasard sah als erster drüben bei dem Flaggschiff eine weiße Qualmwolke hochpuffen.
„Deckung!“ rief er. „Los, hinlegen, verdammt noch mal!“
Erst jetzt erreichte der Geschützdonner ihre Ohren. Sie ließen sich auf die Decksplanken fallen, auf der „Isabella“ wie auf dem schwarzen Schiff. Die feindliche Kugel heulte heran, schlug seitlich versetzt in Bugnähe der „Isabella“ in den Riesenseetang und jagte eine baumhohe Fontäne in die Luft.
Als sie wieder in sich zusammenfiel, richtete der Seewolf