Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
alle blickten zur Großrah, wo Sir John sich aufplusterte und krächzende Laute von sich gab.
„Mann, wie war das nur möglich?“ stammelte Matt Davies, der es immer noch nicht glauben konnte, aber er hatte die Eier selbst gesehen, das war keine Täuschung gewesen.
„Ich entsinne mich jetzt, daß Sir John ein paarmal an Land flog“, sagte Gary Andrews nachdenklich. „Da gab es ja immerhin genügend Papageien. Und die werden schon gemerkt haben, daß er kein Männchen, sondern ein Weibchen ist.“
„Richtig, da waren auch weiße Papageien mit gelben Hauben dabei“, sagte Smoky. „Das gibt bestimmt so eine Mischung wie zwischen Negern und Weißen. Na, auf die Jungen bin ich gespannt.“
„Geht weg, er will in sein Nest!“ rief der Profos. „Mich wundert, daß er die Eier nicht ständig bebrütet.“
„Vielleicht will er sich nur den Hintern kühlen“, meinte Blacky.
„Sie – meinst du wohl“, korrigierte Carberry.
„Ja, da muß man total umdenken“, murmelte Blacky verstört.
Sir John stürzte sich aufs Vordeck, landete auf den Planken und stolzierte zu „seinem“ Käfig. Wie eine bunte Ente watschelte er hinein und verschwand in dem dämmerigen Kasten.
Draußen erhitzten sich unterdessen die Gemüter. Die Seewölfe liefen zusammen, staunten und konnten es nicht fassen.
Und der alte O’Flynn sagte: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht kapieren. Mir kam das Vieh schon immer so seltsam vor. Er, sie, meine ich, benahm sich nämlich direkt weiblich.“
„Du hast natürlich wieder den totalen Durchblick“, sagte Ed. „Hinterher weißt du immer alles besser als die anderen, du Seegurke!“
Auch die Zwillinge erschienen mit großen erstaunten Augen, aber der Profos scheuchte sie weg.
„Laßt euch ja nicht in seiner Nähe blicken“, warnte er. „In ihrer Nähe, meine ich. Und stellt mir nichts mit den Eiern an, habt ihr das verstanden?“
„Stimmt das denn wirklich?“ fragte Hasard junior skeptisch.
„Klar stimmt das, wir alle haben es gesehen. Später, wenn sie wieder auf der Rah hockt, um sich den Achtersteven zu kühlen, dürft ihr mal einen Blick in das Nest werfen.“
Mit hochroten Köpfen blieben die Zwillinge erwartungsvoll stehen. Aber Sir John blieb noch eine ganze Weile in dem Käfig. Erst nach einer halben Stunde flatterte er wieder heraus und schwang sich auf die Rah.
Das seltsame Gebaren des Vogels kapierte zwar niemand so richtig, denn von einem Vogel wußte man allgemein, daß er tagelang ohne Pause auf seinen Eiern hockte. Aber Papageien bildeten da vielleicht eine Ausnahme. Schließlich mußte Sir John das ja besser wissen als die Seewölfe, und sie konnten ihm da keine Vorschriften machen.
Schließlich erfuhren auch der Seewolf und Ben Brighton davon.
Sie ließen es sich von Carberry berichten, und der Profos sprach dabei in rührenden Tönen von einer liebevoll besorgten Mutter und daß es nicht mehr lange dauern würde, dann hätten sie drei weitere Papageien an Bord.
Selbst der Seewolf war fassungslos.
Carberry ordnete an, daß für die brütende Mutter ab sofort Trinkwasser in einer Muck dicht beim Käfig aufgestellt wurde. Dann befahl er den Zwillingen, sich immer rechtzeitig um Früchte und Leckerbissen bei dem Kutscher zu bemühen, damit es Sir John ja auch an nichts fehle.
Hasard und Philip versprachen das, und später durften sie auch einen Blick auf das kunstvoll gebaute Nest werfen.
„Donnerwetter“, sagten beide wie aus einem Mund. „Das hätte ich niemals gedacht.“
Der eierlegende Sir John war und blieb die Hauptattraktion, und an Bord wurden lange Debatten darüber geführt, ob man den Namen nicht ändern solle, denn einen brütenden Sir gab es nicht, daher schlug der Moses Bill vor, man solle den Vogel doch von nun an einfach Lady John nennen.
„Du spinnst wohl“, sagte Carberry. „Lady John war doch die Stiefmutter des Seewolfs. Das geht nicht.“
„Vielleicht Ladybird“, schlug Matt Davies vor, aber auch da winkte der Profos ab.
„Daran kann ich mich nicht gewöhnen“, erklärte er.
Die Gemüter erhitzten sich weiter, denn die Sache mit Sir John war tatsächlich die größte und einzige Abwechslung auf dieser Reise gen Norden.
Immer wieder schlich der Profos zu seinem Liebling, hockte auf allen vieren auf den Planken, kontrollierte, ob der Vogel auch genug zu fressen hatte und seine Leckerbissen regelmäßig erhielt, und fand alles in bester Ordnung.
Bis auf eine Kleinigkeit allerdings, und die berührte den stumm dasitzenden Carberry fast peinlich.
Sir John nämlich fraß sich dick und voll, zernagte die Leckerbissen und schielte nur ab und zu mal neugierig nach den Eiern. Meist rollte er sie mit dem großen Schnabel im Nest herum, beglotzte sie andächtig und widmete sich dann seinen Körnern, dem Mais und den Sonnenblumenkernen.
„Wie du das schaffst, ist mir egal“, knurrte Ed. „Aber wenn du die Eier nicht richtig ausbrütest, drehe ich dir den Kragen rum! Ich kann nur für dich hoffen, daß du eine gute Mutter bist!“
Daraufhin stieß der Aracanga wieder einen seiner lästerlichen Flüche aus, spazierte O-beinig aus dem Käfig und schwang sich auf die Großrah, verfolgt von Carberrys äußerst besorgten und auch leicht mißtrauischen Blicken.
Der Profos, besorgt über seinen Liebling, ging zum Kutscher, dem Feldscher an Bord, der lange Jahre bei Sir Freemont gedient hatte und sich selbst nur der Kutscher nannte. Angeblich hatte er keinen anderen Namen.
„Hör mal, Kutscher“, sagte Ed und lehnte sich ans Kombüsenschott. „Wie lange brütet ein Papagei eigentlich? Du bist doch ein gelehrter Mann, oder du tust jedenfalls immer so!“
„Bist du etwa hergeschlichen, um mich zu beleidigen?“ fragte der Kutscher sauer.
„Nein, nein, so darfst du das nicht auffassen. Wie lange also?“
„Hm, schwer zu sagen.“ Der Kutscher zog unbehaglich die Schultern hoch.
„Wenn ich von einem Huhn ausgehe …“
„Verdammt, Sir John ist kein Huhn“, unterbrach Ed.
„Na, ich schätze, so ungefähr gut zwei Wochen.“
„Genau weißt du es aber nicht, wie?“
„Nein, ich habe noch keinen brütenden Papagei beobachtet, und ich hocke auch nicht ständig mit dem Hintern auf den Planken, um das zu begaffen. Du wirst es schon selbst merken, wenn eines Tages drei häßliche nackte Viecher in dem Nest liegen.“
„Du tust doch immer so, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen“, sagte Ed. „Dabei weißt du nicht einmal, wie lange ein Papagei brütet.“
„Das hat doch mit Intelligenz nichts zu tun!“ schrie der Kutscher und reckte kampfeslustig die magere Brust vor.
„Klar hat es das“, versicherte der Profos. „Aber einwandfrei. Wer so was nicht weiß, ist einfach bescheuert!“
Damit ließ er den verblüfften Kutscher stehen, der ihm erbittert nachfluchte, und ging wieder nach vorn.
Dort belauerte er Sir John, der sich um seine drei gelegten Eier kaum kümmerte, aber desto mehr den Lekkerbissen zusprach und sich seinen gefiederten Ranzen erbarmungslos vollstopfte.
Irgend etwas stimmte mit dem Vogel nicht, fand Ed, aber das würde er noch herausfinden.
Die „Isabella“ segelte weiter nach Norden bei gutem Ostwind und einem azurblauen Himmel.
3.
Die