Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
mit einem gehörigen Schreck davongekommen, als die erste 4-Pfünder-Serpentinenkugel ganz in ihrer Nähe in die Fluten getaucht war. Es hatte eine Wasserfontäne gegeben, die sie naßgespritzt hatte. Anselmo hatte Corona, den er dort oben auf den Hügeln vermutete, in die Hölle verdammt für diesen verfluchten „Fehlschuß“.
Jetzt griff Anselmo die spanische Galeone an. Auch El Grullo, Josefe und die vier anderen waren mit der zweiten Schaluppe heran, um die „Gran Duque“ zu beschießen und ihr Heck zu entern.
Aber jetzt donnerten die Kanonen der „Gran Duque“ los und wenig später auch die der „Isabella“. Eine Kugel knickte der. Pinasse den Mast weg, aber restlos war es um Anselmos Fassung geschehen, als er merkte, daß er eingekesselt war. Von achtern krachte jetzt nämlich wieder das Feuer der Serpentinen, und die Einschläge lagen bedrohlich nah.
Hasard und seine neun Männer hatten auch die anderen drei Serpentinen gefunden. Sie hatten die beiden ersten mittlerweile nachgeladen und zündeten alle fünf Geschütze jetzt fast gleichzeitig. Die Pinasse und die Schaluppe waren unter dem Mondlicht gut zu erkennen. Beim vierten und fünften Schuß hatten Hasard und Ferris als Geschützführer die Eigenschaften der Serpentinen so gut kennengelernt, daß es ihnen gelang, sowohl der Pinasse als auch der Schaluppe je einen Treffer beizubringen.
Ben Brighton hatte die „Isabella“ zwei Strich westlich leicht an den Wind gedreht. Sie steuerte jetzt auf die Schaluppe zu, die dem Heck der „Gran Duque“ bedrohlich nahe war. Der Bug der Schaluppe war zwar durch die 4-Pfünder-Kugel zu Bruch gegangen, aber sie sank noch nicht und war immer noch manövrierfähig. El Grullo, Josefe und drei andere Piraten lebten noch, nur einen von ihnen hatte es erwischt. El Grullo und Josefe schickten sich allen Ernstes an, die spanische Galeone zu entern.
Carberry hatte die nächste Höllenflasche in der Faust. Er zählte bis drei, dann war die Lunte so weit weggebrannt, daß die Ladung sofort hochgehen mußte, wenn die Flasche in der Schaluppe landete. Da blieb dann keine Zeit mehr für die Piraten, das Höllending etwa aufzuheben und ins Wasser zu befördern.
Carberry warf.
Die Flasche polterte in die Schaluppe. Ihr Glas war dick genug, daß sie nicht zerbrach. Donnernd explodierte sie. Der Feuerblitz warf sein zuckendes Licht auf Carberrys wüstes Narbengesicht. Fette Rauchschwaden stiegen von der Stelle auf, an der die Schaluppe sank. Sie hüllten auch das Heck der „Gran Duque de Almeria“ zu einem Teil ein. Soviel konnten die Männer der „Isabella“ aber sehen: Die Achterpartie der Galeone war durch die Explosion nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
Philip und Hasard, die Zwillinge, konnten sich jetzt nicht mehr zurückhalten. Sie standen am Schanzkleid der Kuhl und hatten alles genau verfolgen können.
Sie stießen begeisterte Pfiffe aus, und Philip rief: „Ein Meisterwerk, Mister Carberry!“
Arwenack, der Schimpanse, hockte neben ihnen an Deck, fletschte die Zähne zu einer Art Grinsen und klatschte eifrig in die Vorderpfoten. Sir John, der karmesinrote Aracanga, flatterte, um das Bild zu vervollständigen, krächzend über den Köpfen der drei herum.
„Maul halten, ihr Kakerlaken“, sagte Carberry in seiner freundlichsten Art. „Ihr habt nur zu reden, wenn ihr gefragt werdet, verstanden?“
Wieder feuerte die „Gran Duque“. Ihre Steuerbordgeschütze spien Tod und Verderben gegen die Pinasse der Piraten aus. Anselmo rettete sich gerade noch rechtzeitig, bevor die Kugeln einschlugen, durch einen Sprung ins Wasser.
Er schwamm zum Ostufer, kroch schweratmend an Land und lief auf das Dickicht zu. Er sah den Mann, der gleich in der ersten Buschreihe kauerte, nicht. So lief er in das Messer, das ihm plötzlich entgegenzuckte, blindlings hinein. Mit einem Schrei stürzte er auf den weißen, körnigen Sand. Hier hauchte er sein Leben aus.
Luis Benavente, der Messerwerfer, wandte sich ab und arbeitete sich tiefer ins Dickicht.
„Narr“, murmelte er. „Ich werde auch deine Kumpane, die es überlebt haben, töten. Einen nach dem anderen – bis diese Insel mir gehört.“
Er hatte es vorgezogen, von Bord der „Gran Duque“ zu fliehen, als sich ein günstiger Moment dafür ergeben hatte. Man mußte die Zeichen der Zeit erkennen und das Beste aus seiner Lage herausholen. Kapitän Don José Manuel Ramos hätte aufgrund von Andrés Nortes de Checas Aussagen gewiß noch herausgekriegt, welche krummen Touren sein Waffenmeister versucht hatte. Um eine Bestrafung wäre er, Benavente, also nicht herumgekommen. So zog er es vor, sich heimlich davonzustehlen.
Vielleicht, dachte er, vielleicht glauben sie ja, ich sei im Kampf getötet worden und in die Bucht gestürzt. Es wäre das Beste für alle.
Die „Isabella“ war bei der „Gran Duque de Almeria“ längsseits gegangen. Hasard, der sich mit seinen Männern und dem Mädchen Florinda inzwischen von den Hängen zurückgezogen hatte, ließ sich mit einer Jolle zu seinem Schiff übersetzen.
Wenig später erschien Don José persönlich an Bord der „Isabella“, um sich für die Hilfe zu bedanken.
Nachdem er Hasard die Hand geschüttelt hatte, sagte er: „Ich muß ehrlich gestehen, ich hatte Sie verkannt, Senor Killigrew. Aber Sie werden mir das sicher nachsehen.“
„Sicher tue ich das. Ich bin sogar sehr stolz darauf, einer spanischen Schiffsbesatzung aus der Patsche geholfen zu haben. Merken Sie sich, daß wir Engländer nicht die Teufel sind, als die wir meistens hingestellt werden, Don José.“
„Wissen Sie was?“ erwiderte der spanische Kapitän. „Ich halte sowieso nichts von hoher Politik. Ich bin ein Kaufmann zur See, mein lieber Freund, und für jede Unterstützung, die ich erhalte, dankbar – gleich, von wem sie kommt. Das versteht sich doch von selbst.“
„Eine kleine Gegenleistung erwarte ich aber von Ihnen“, sagte Hasard. „Und zwar bitte ich Sie, dafür zu sorgen, daß die gefangenen Piraten, die wir im Lager eingesperrt und am Fuß der Hänge zurückgelassen haben, auf einer der Nachbarinseln ausgesetzt werden. Dort können sie weniger Schaden anrichten.“
„Selbstverständlich übernehme ich das“, versicherte Don José. „Sie wollen so schnell wie möglich die Azoren verlassen, nehme ich an. Das kann ich gut verstehen.“
„Auf einer Insel der Karibik warten bereits Freunde auf mich, Senor.“
„Dann halten Sie sich wegen uns nicht länger auf …“
„Da wäre aber noch etwas, Don José.“
Der Spanier zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Betrifft es etwa – das Mädchen?“
„Erraten. Wir haben Florinda vor einem schrecklichen Schicksal bewahren können. Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, verzeihen Sie ihr und ihrem Geliebten Andrés. Die beiden lieben sich wirklich, Sie können es mir glauben. Sie haben nichts Arges im Schild geführt. Florinda mußte sich gegen Benavente wehren, als dieser zudringlich wurde, und dabei kippte die Öllampe um.“
„Dieser verdammte Hundesohn …“
„Als blinder Passagier auf einem Segelschiff mitzureisen, ist zwar eine schlimme Sache“, fuhr Hasard fort. „Aber das Paar sah keinen anderen Weg, die Fahrt in die Neue Welt zu bewältigen – und dahin wollen die beiden nun mal. Können wir es ihnen verübeln? Ich bezahle den beiden die Reise, wenn Sie wollen. Nur vergeben Sie ihnen, und nehmen Sie sie mit nach Amerika. Vielleicht bringen Sie auch Ihren rauhen Kerlen bei dieser Gelegenheit bei, daß nicht jedes Mädchen eine Hafenhure ist.“
„Senor“, sagte der Spanier. Er holte tief Luft und schwankte einen Augenblick zwischen Empörung und Nachgiebigkeit. Dann hatte er seine innere Barriere überwunden. „Also gut, Senor Killigrew, ich willige ein. Lassen wir Gnade vor Recht ergehen. Ich verspreche, daß Andrés Nortes de Checa aus der Vorpiek befreit wird und er mit Florinda zusammen in der Neuen Welt abgesetzt wird. Ich persönlich sorge dafür, daß ihnen keiner ein Härchen krümmt.“
Hasard lächelte und winkte Florinda zu, die sich die ganze Zeit ihrer Unterredung über auf dem Achterdeck bei Old O’Flynn im Ruderhaus versteckt gehalten hatte.
Sie