Seewölfe - Piraten der Weltmeere 127. Roy Palmer
zwölf Stunden in die Vorpiek, wenn es auch nur noch einer wagt, irgendwas von sich zu geben, was nicht Hand und Fuß hat. Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“
„Zähne des Windes“, sagte der Seewolf. „So nennen die Eingeborenen Afrikas diese Tierchen, Ed. Als Geißel Allahs pflegen die Araber sie zu bezeichnen.“
Carberry schwieg, trat näher und beugte sich mit zerknirschter Miene über das Wesen in Hasards Hand. „Und wie sagen wir zu so was?“
„Wüstenheuschrecke, Ed.“
„Danke, Sir. Wie haben sich diese Viecher — diese Heuschrecken — bis zu uns verirren können?“
„Das kann ich dir im Moment auch nicht sagen.“
Der Kutscher hatte sich an dem offensichtlich völlig verwirrten Gambia Neger vorbeigeschoben und nahm die Heuschrecke nun ebenfalls in Augenschein.
„Ich habe mal gehört, daß man die Tiere in siedendem Öl backen kann“, sagte er. „Sie sollen dann so gut wie Krabben schmecken.“
„Wo hast du das gehört, Kutscher?“ fragte Carberry drohend.
„Ich kann mich nicht genau entsinnen …“
„Etwa im Reich der Mitte, wo sie Schlangen, Würmer, Nester, faule Eier und Hunde fressen?“
Bevor der Kutscher hierauf etwas entgegnen konnte, sagte der Seewolf: „Warum denn nicht? Kutscher, sammle die Heuschrecken ein und versuche dein Glück. Vielleicht stellen sie eine willkommene Abwechslung in unserer Bordküche dar.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick rollte ein dumpfes Geräusch über See, das keiner weiteren Erläuterung bedurfte. Die Männer der „Isabella“ kannten es nur zu gut.
Kanonendonner.
2.
Behäbig hob und senkte sich der klobige Rumpf des einmastigen Schiffes in der Dünung vor dem Inselufer. Die mit Minjar-Grasmatten gedeckte Hütte, der offene Lehmherd am Bug und der leicht zum Vorsteven geneigte Mast wiesen den Segler unverkennbar als Baggala aus, als die omanische Form der Dhau.
Der schwere Stockanker war an seiner Trosse ausgerutscht, das Beiboot war ausgebracht und bemannt worden. Kapitän Abdrahman hatte selbst die Heckducht des Bootes eingenommen, um mit sechs abenteuerlichen Gestalten seiner Besatzung auf dem Eiland zu landen.
In der Spätnachmittagssonne nahm sich die Insel mit ihren weiten Sandstränden, ihren Palmenwipfeln und Mangroven wie der Inbegriff des Paradieses aus, aber Abdrahman und seine Begleiter hatten sehr schnell feststellen müssen, daß es eher die Umkehrung dessen war – zumindest für sie.
Sie hatten das Ufer fast erreicht und warteten schon darauf, daß sich der Bootsbug knirschend auf den Sandstrand schob, da brachen sie aus dem Gebüsch zwischen den Palmen- und Mangrovenstämmen hervor: gut zwei Dutzend schwarzer Gestalten, nackt bis auf Lendengurte, mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen sowie einfachen, bemalten Schilden bewaffnet.
Sie stimmten kein Geschrei an, schwärmten nur aus und hasteten in strategischer Formation auf das Boot zu. Es war eine fast gespenstische Szene in der nahenden Dämmerung.
Abdrahman erhob sich von der Heckducht. Ein wallender weinroter Kaftan umhüllte seine hagere Gestalt, er hob beide Hände und sah wie ein Prediger aus.
„Salam alai!“ rief er. „Friede sei mit euch! Wir sind gekommen, um mit euch zu verhandeln, nicht, um mit euch zu kämpfen. Allah akbar, Allah ist mächtig, Allah ist stark, er bestimmt unser Schicksal.“ Da er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden, führte er die Handflächen vor der Brust zusammen und beugte sein Haupt in Demut und zum Zeichen der Friedfertigkeit.
Aber in den Gesichtern der wilden Inselbewohner zeigte sich keine Regung, die auf ein Begreifen hindeutete. Vielmehr waren diese Mienen von bedenklicher Starre, und während die muskulösen Gestalten auf dem leicht schimmernden Strand verharrten, hoben sich die Arme mit den Waffen.
„Wartet“, sagte Abdrahman zu seinen Rudergasten. „Ich steige aus und gehe zu ihnen. Sie werden es als Beweis unserer Harmlosigkeit werten, Inschallah, so hoffe ich jedenfalls.“
„Wartet“, erwiderte einer der bunt gekleideten, turbantragenden Männer. „Das ist zu gefährlich. Diese Kerle sind unberechenbar. Es macht ihnen nichts aus, einen Wehrlosen niederzustrecken.“
„Was für ein Narr du bist“, sagte Abdrahman abfällig. „Du begreifst nicht, daß auch diese simplen Menschen die gleichen Regungen verspüren wie wir, Furcht, Kummer und Hoffnung kennen und an eine überirdische Gerechtigkeit wie die Allahs glauben. Ich will mit ihnen sprechen und hören, ob sie etwas über Sajids Verbleib wissen.“
„Vielleicht haben sie ihn auf dem Gewissen“, sagte leise ein anderer Mann, während er unter dem Kaftan nach dem Krummsäbel tastete.
„Schweigt“, sagte Abdrahman. Er setzte einen Fuß aus dem Boot und tauchte mit diesem in das Flachwasser nahe des Ufers, wodurch das Boot ein wenig ins Schwanken geriet.
Im selben Augenblick flog der erste Speer. Einer der Schwarzen, ein hünenhafter Bursche, hatte ihn geschleudert. Er stieß einen Schrei aus, der wie ein Warnlaut klang. Dicht vor dem Bootsbug stach der Speer ins Wasser und blieb vertikal im Grund stecken, so daß der Schaft wie eine Mahnung aus dem Naß aufragte.
„Hört auf“, stieß der Kapitän der Dhau beschwörend hervor. Er zog das zweite Bein aus dem Boot, stand nun im Wasser und gestikulierte. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wir werden euch Geschenke übergeben, wunderbare Geschenke, wie ihr sie noch nie zuvor gesehen habt, wenn ihr mich nur aufnehmt und auf meine Fragen antwortet!“
Die wilden Männer standen in haßvollem Schweigen und senkten nicht ihre Waffen.
„Kehrt in das Boot zurück“, drängte ein dritter Mann der kleinen Besatzung den Kapitän. „Ihr richtet auf diese Weise ja doch nichts aus, Abdrahman.“
Abdrahman tat statt dessen noch einen watenden Schritt voran. An Mut mangelte es ihm nicht. Er war bereit, kühn bis vor die Barriere feindseliger Gestalten zu treten, und hoffte, die schwarzen Männer dadurch zu beeindrukken.
Aber wieder schickten die Bewohner der Insel eine tödliche Botschaft zu dem Boot herüber. Ein Pfeil schwirrte drüben von einer Bogensehne ab, beschrieb einen flachen Bogen durch die Luft und hätte Abdrahman zweifellos getroffen, wenn dieser nicht gedankenschnell ausgewichen wäre.
Abdrahmans Miene verfinsterte sich.
„Elende Hunde“, stieß er aus. „Verfluchte Giaur, wie könnt ihr mich derart beleidigen? Ich werde euch zeigen, welches die Sprache des Propheten ist, wenn er Zorn verspürt …“
Die Männer im Boot schrien auf und stießen Flüche aus, denn jetzt rückten die Eingeborenen in geschlossener Front vor und sandten einen Hagel von Pfeilen herüber.
Abdrahman kletterte in das Boot zurück. Er hatte seine Steinschloßpistole gezückt, spannte jetzt den Hahn und legte auf die Eingeborenen an. Während vier seiner Männer durch heftiges Pullen trachteten, das Boot in tieferes Wasser zu bugsieren und zu wenden, Distanz zwischen sich und die Wilden zu legen, zückten die beiden anderen ebenfalls ihre Schußwaffen und zielten auf die Horde an Land.
Einem dieser beiden steckte ein Pfeil plötzlich bis zum Schaft im Hals. Er röchelte, knickte in den Knien ein, sank nach hinten auf die Duchten zurück und feuerte doch noch seine Pistole ab. Donnernd brach der Schuß, er fuhr in den rötlich-düsteren Himmel hinauf und strich hoch über die Köpfe der heulenden Eingeborenen weg.
Abdrahman schoß, dann drückte auch der andere Schütze ab. Zwei Kugeln rasten auf die Wilden zu, die eine grub sich dem Hünen in die Schulter, der den Speer geschleudert hatte, und dies hatte zumindest zur Folge, daß die schwarzen Kerle stockten.
Die Araber pullten, so schnell sie konnten. Abdrahman ließ sich von den vier Rudergasten die Pistolen aushändigen und reichte zwei davon an den