Seewölfe - Piraten der Weltmeere 27. Roy Palmer
Der Profos ließ auf der Backbordseite streichen und auf der Steuerbordseite anrudern, so daß die Pinasse auf der Stelle drehte. Das Heck schwenkte im Wasser herum wie der Hintern einer Ente. Carberry erhob sich und packte mit der einen Faust die Ankertrosse. Mit der anderen Hand führte er den kurzklingigen Schiffshauer, den er sich schon bereitgelegt hatte. Die Schneide trennte das Tauwerk mühelos durch. Es gab einen Ruck. Das eine Ende der Trosse versank im Wasser, das andere baumelte traurig an der Bordwand der Galeone herunter. Der mächtige Schiffsleib begann nach Lee zu treiben.
Zeit für die acht Männer, sich zu verholen! Sie pullten davon und hielten auf eine der nächsten Galeonen zu. Um das Schiff, das eine halbe Kabellänge achteraus der ersten, angebohrten Galeone vor Anker lag, brauchten sie sich nicht mehr zu kümmern.
„Die beiden machen das unter sich selbst ab“, sagte Smoky höhnisch. Er wollte noch etwas hinzufügen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig den drohenden Blick Carberrys. Der besagte, daß jeder Schwätzer an Bord der Pinasse nach wie vor um sein Achterleder zu bangen hatte.
Seit die drei spanischen Galeonen wie ein Spuk aus dem Hafen von Panama verschwunden waren und Gerüchte umliefen, verbrecherische Besatzungsmitglieder hätten sich mit den Reichtümern aus den Frachträumen aus dem Staub gemacht oder es existiere gar ein „Geisterschiff“, das diese Gewässer heimsuche – seitdem waren die Wachen auf den restlichen neun Galeonen verdoppelt und verdreifacht worden. Das bedeutete jedoch noch lange nicht, daß die Mannschaften diesen Dienst nun bereitwilliger versahen.
Zwei Bordwachen standen auf der vorderen Kuhl der in Luv liegenden Galeone. Sehnsüchtig blickten sie zu den beleuchteten Häusern an der Hafenmole hinüber.
„Vayase al diablo“, sagte der eine, ein schlanker Mann mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, ein gutaussehender Typ. „Zum Teufel aber auch! Seit wir hier in dem gottverfluchten Hafen von Panama liegen, bin ich kein einziges Mal von Bord gekommen und habe fast ununterbrochen Wachdienst geschoben, Diego.“
„Wem sagst du das? Der Fluch soll die Schweine treffen, die die drei Galeone versenkt haben. Wäre das nicht passiert, hätten wir längst unseren sauer verdienten Landurlaub genossen, was, Urbano?“ Diego sagte das mit sauertöpfischer Miene. Er war ein untersetzter Mann um die Vierzig und hatte einen etwas kümmerlichen Schnauzbart.
„So ist das.“ Urbano seufzte. „Wenn ich an die vielen schönen Weiber denke, die da auf uns warten, Hombre, wird mir ganz anders. O Dios, endlich wieder ein ordentliches Stück Weiberfleisch in den Händen halten, einen runden Hintern streicheln, einen prallen Busen anfassen ...“
„Du vergißt das Wichtigste“, entgegnete Diego grinsend.
„Erinnere mich bloß nicht daran.“
„Wo wir schon dabei sind ...“
„Wie lange ist es her, daß wir in keinem vernünftigen Hurenhaus mehr waren und wie die Maden im Speck gelebt haben, Diego?“
„Mehr als sechs Monate.“
„Viel zuviel für einen vollblütigen Sohn des Vaterlandes unter seiner Majestät, Philipp II. von Spanien.“ Urbano sandte noch einen entsagungsvollen Blick zu den Hafengebäuden hinüber, dann senkte er plötzlich die Stimme und sagte: „Hör zu, Compadre. Ich habe noch eine volle Flasche echten chilenischen Rotwein unter meiner Koje versteckt liegen. Wenn wir schon enthaltsam wie die Mönche leben müssen, wollen wir die wenigstens auf den Kopf hauen.“
Diego meldete Bedenken an. „Auf einen guten Tropfen hätte ich zwar auch Lust – aber wenn der Erste oder der Capitano was davon erfahren, gibt es dicke Luft.“
„Ach Quatsch.“ Urbano schaute sich um und tastete die Gestalten der übrigen, weiter entfernt auf der Kuhl und dem Achterdeck postierten Wachen mit einem prüfenden Blick ab. „Ich hole jetzt den Vino, dann gehen wir aufs Vorkastell, da sind wir unter uns. Die Hauptsache ist, daß es keiner von den anderen rauskriegt und an einen Offizier weitergibt. Zeigt sich jemand, lassen wir die Pulle rasch hinterm Ankerspill oder sonstwo verschwinden.“
Gesagt, getan. Urbano verschwand kurz unter Deck. Diego blieb auf der Kuhl der Galeone zurück und stand sozusagen Schmiere. Als der Freund wieder den Kopf aus der Luke des Niederganges streckte, gab Diego ihm ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Urbano schob das Holzquerschott ganz auf, kletterte hoch, und sie begaben sich auf das Vorkastell. Unweit des Ankerspills ließen sie sich am Steuerbordschanzkleid nieder.
Urbano entkorkte die Flasche. Er hatte an der Öffnung des Halses geschnuppert, den Inhalt für gut befunden und setzte nun an, um einen kräftigen Schluck zu nehmen, da lief ein Ruck durch den Schiffskörper. Er fiel nicht sehr stark aus, jedoch heftig genug, um den schlanken Spanier aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Der gute Wein ergoß sich über Urbanos Gesicht. Urbano rollte zur Seite, verlor die Flasche und fluchte zum Gotterbarmen. Diego wußte nicht, ob er lachen oder ebenfalls wettern sollte. Ein paar Augenblicke später registrierte er jedoch, daß die Ankertrosse schlaff geworden war. Er kriegte Augen, so groß wie Suppenteller.
Urbano stieß gegen eine Nagelbank und konnte sich abfangen. Er fand auch die Flasche wieder, doch die war bereits leer. Der letzte Rest des kostbaren Nasses hatte sich auf die Decksplanken ergossen und verbreitete süßlichen, süffigen Weingeruch.
„Al diablo!“ Er packte die Flasche am Hals, erhob sich und schleuderte sie über Bord. Auf der Kuhl und auf dem Achterkastell entstand Unruhe, die übrigen Wachen schienen etwas bemerkt zu haben.
Urbano sah, daß Diego am Schanzkleid stand und wie gebannt außenbords starrte. Er trat neben ihn und wollte ihn fragen, was los sei, da sagte der schnauzbärtige Mann bereits fassungslos: „Wir – wir haben den Anker verloren!“
„Wir haben was?“ Urbano sichtete die herunterbaumelnde Trosse erst jetzt. Er schaute etwas auf, und in diesem Moment schien es ihm, als sähe er die undeutlichen Konturen eines größeren Bootes oder einer Pinasse im Dunkeln verschwinden. „Verloren“, wiederholte er entsetzt. „Du spinnst ja. Jemand hat die Trosse gekappt – und wir treiben nach achtern ab.“
Auf der Kuhl wurde inzwischen gebrüllt, sinnlose Kommandos ertönten. Niemand wußte recht, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hatte. Das Steuerbordschott im Achterkastell flog auf, daß es nur so knallte. Der wachhabende Offizier stürzte an Deck.
„Was ist los?“ rief er immer wieder.
Urbano bemerkte eine sprudelnde Bewegung am Bug der Dreimastgaleone – und er begriff. Er riß Diego gewaltsam vom Schanzkleid los und zerrte ihn mit sich fort. Sie flankten über den Querabschluß der Back, landeten auf der Kuhl und stießen einen Kameraden um. Sie rasten förmlich unter Deck.
Sie hatten die Vorpiek noch nicht erreicht, da schossen ihnen bereits die Wassermassen entgegen. Diego schrie auf. Urbano stand plötzlich knietief in den schwärzlichen Fluten und fluchte, daß selbst eine in Ehren ergraute Hafenhure noch rot geworden wäre. Die Unterdecksräume füllten sich gurgelnd mit Wasser. Die beiden Männer begriffen, daß sie allein nicht damit fertig wurden. Sie liefen zurück an Deck und prallten wieder mit einer Wache zusammen.
Diego riß den Arm hoch und wies auf das, was da aus der Finsternis auf sie zuzuwanken schien. „Madre de Dios!“ Die Umrisse der achteraus liegenden zweiten Galeone wurden immer größer und wuchtiger.
Der Offizier schrie mit überkippender Stimme Befehle. Tatsächlich kletterten nun auch ein paar Männer die Wanten hoch, andere griffen nach Schoten und Brassen. Man versuchte mit allen Mitteln, das Schiff in letzter Sekunde zu manövrieren.
Urbano sah als einer der ersten, daß ihre Galeone bereits nach Steuerbord überkrängte. Er lief aufs Achterkastell, griff mit beiden Händen in den Kolderstock und lehnte sich mit dem Körpergewicht dagegen. Die Galeone legte sich schräg, als wolle sie mit der Rahnock des Großsegels die Wasserfläche berühren. Immerhin schwang sie etwas mit dem Heck herum, doch es blieb ein verzweifeltes, letztlich nutzloses Manöver.
Urbano wandte den Kopf und sah die Bugpartie der anderen Galeone buchstäblich auf sich zurasen. Drohend ragte der Bugspriet auf, so, als wolle er