Seewölfe - Piraten der Weltmeere 27. Roy Palmer
damit man die Besatzungen aus dem Wasser ziehen kann, bevor sie von den Haien aufgefressen werden.“ Er lächelte, wie das nur ein Franzose seines Kalibers konnte. „Mon ami, wir befinden uns gewissermaßen in einem aufgescheuchten Hornissennest!“
Hasard blickte sich um. Im Hafen herrschten Mordsgeschrei und ein Wirbel, als würde jeden Augenblick die ganze Stadt in die Luft fliegen. Schritte trappelten auf dem Kopfsteinpflaster der Straßen und Gassen und des freien Platzes vor der Mole, Männer brüllten und fluchten, Frauen, kreischten, irgendwo weinte ein Kind, bellte ein aufgescheuchter Hund.
„Weg hier“, sagte Hasard. „Wir suchen uns woanders einen Kahn.“
Sie liefen von der Nebenpier und forschten nach einem Boot. Die Degen, die sie während des Banketts im Gouverneurspalast so erfolgreich zum Einsatz gebracht hatten, hielten sie nun wieder in den Fäusten. Denn jeden Moment konnten die Dons zur Stelle sein, die ihnen aus dem Gouverneurspalast gefolgt waren. Alfonso de Roja, der Hafenkommandant, den sie so hervorragend geblendet hatten, der Polizeipräfekt Miguel de Villanueva und der Gouverneur de Avila verspürten nicht übel Lust, ihnen eigenhändig die Köpfe abzureißen. Sicherlich würden ihre Leute nicht lange fackeln, wenn sie die Flüchtigen aufstöberten. Ganz gewiß hatten sie die Anweisung, sie auf der Stelle umzubringen.
Hasards Rolle als stolzer spanischer Capitan Diaz de Veloso war geplatzt. Er brauchte nicht länger zu schauspielern. Der Polizeipräfekt von Panama, de Villanueva, kannte den wirklichen Kapitän der ehemaligen „Valparaiso“ – den Mann, dem Hasard und seine Crew seinerzeit mittels dessen eigenem Schießpulver eine so schmähliche Niederlage beigebracht hatten. Der Seewolf und Jean Ribault hatten an dem Festbankett des Gouverneurs von Panama teilgenommen, da war de Villanueva auf der Szene erschienen und hatte Hasard sozusagen entlarvt.
Hasard und Jean hatten für Krach gesorgt, daß die Wände wackelten, dann hatten sie ihr Heil in der Flucht gesucht. Mit allem hatte der Seewolf gerechnet – nur nicht damit, daß ihnen der Weg auf diese Art abgeschnitten wurde! Alles Fluchen nutzte ihnen nichts. Sie fanden kein Boot, mit dem sie sich absetzen konnten. Sie stahlen sich von den Piers fort und schlüpften in eine winzige, unbeleuchtete Gasse. Hier drückten sie sich in einen Hauseingang und verschnauften erst einmal. Rundum tönten die Stimmen der Spanier, hallten Schritte. Aus irgendeinem Fenster über ihren Köpfen ertönte das monotone Gebet einer Frau, die allem Anschein nach glaubte, der Tag des Jüngsten Gerichtes sei gekommen.
„Parbleu, wir sitzen in der Falle“, stellte Jean Ribault so nüchtern fest, als spräche er über die tägliche Proviantverteilung an Bord der „Isabella“.
„Du fällst mir langsam auf die Nerven, Franzose“, gab Hasard zurück.
„Das ändert nichts an den Tatsachen.“
„Also schön. Was unternehmen wir?“
„Wir könnten zu Fuß gehen.“
„Deine blöden Witze sind wirklich unangebracht.“
Jean grinste. „Ich meine es todernst.“
Hasard verzog das Gesicht. „Wenn wir an der Küste entlangmarschieren, weißt du, wie lange wir da brauchen? Auf dem Wasserweg sind es dreizehn Seemeilen bis zur Insel Chepillo. Aber auf dem Landweg müssen wir Buchten hinter uns bringen und Flußmündungen umgehen oder durchschwimmen.“
„Kein erfreulicher Gedanke.“
„Eben. Ich schlage vor, wir verstekken uns. Ist der schlimmste Trubel vorüber, verdrücken wir uns in aller Gemütsruhe.“
„Hm.“
„Was soll das heißen – hm? Irgendwann müssen die Boote ja zurückkehren. Wir nehmen dann eins in Beschlag. Wahrscheinlich wird erst in der nächsten Nacht etwas daraus, aber so lange müssen wir uns eben gedulden.“
„Da liegt das Problem nicht“, erwiderte der Franzose leise. „Wir müssen ein geeignetes Versteck finden. Die Phillips werden doch alles nach uns absuchen, werden jeden Kistendeckel ein paarmal umdrehen, um ja keinen Platz auszulassen, an dem wir uns verkrochen haben könnten. Wir müssen hundertprozentig auf Nummer Sicher gehen. Aber wie? Wo? Kennst du dich so gut in Panama aus?“ Er blickte nach oben, um herauszufinden, hinter welchem Fenster die Frau betete.
Hasard schüttelte den Kopf. „Da nicht. Das hat keinen Sinn. Sie würde schreien, ganz egal, was wir ihr androhen. Außerdem habe ich was dagegen, unschuldige Leute in diese Geschichte zu verwickeln.“
„Das ist edel.“
„Das ist normal“, entgegnete Hasard. „Los, komm jetzt, wir haben schon genug Zeit mit Sprücheklopferei verloren.“ Er lief voraus, tief in das Dunkel der Gasse hinein. Er wußte auch nicht, wie er die Bedenken des Franzosen zerstreuen sollte, aber er vertraute ganz einfach auf die glückliche Hand, die er in Aktionen wie dieser immer wieder bewiesen hatte. Kein Raid, war er auch noch so genau geplant, konnte ausschließlich aus kühl berechneten Zügen und nüchternem Kalkül bestehen, es gehörte schon eine gute Portion an Ungewißheit und tödlichem Risiko dazu, und letztere ließen sich nur durch Tollkühnheit und eine gewisse Selbstüberzeugung meistern. Hasard war nie überheblich gewesen, und er war es auch jetzt nicht. Aber im Gegensatz zu Jean, der mit einem Mal zu zweifeln begann, war er überzeugt, etwas Passendes zum Unterschlüpfen zu finden. Das Schicksal ergab sich nicht immer, es wollte bisweilen auch manipuliert werden.
Fast stießen sie mit einem Trupp bis an die Zähne bewaffneter spanischer Soldaten zusammen. Hasard sichtete sie, als er eine trübe beleuchtete Straßenecke passierte. Er bewies Kaltblütigkeit. Zurückziehen konnte er sich nicht mehr, sie hatten ihn gesehen. Zurückweichen, das war in diesem Moment gleichbedeutend mit einem selbstunterschriebenen Todesurteil.
Hasard lief weiter. Dem Franzosen, der hinter ihm aus der Gasse trat, rief er auf spanisch zu: „Nun, beeil dich endlich, hombre. Die beiden Ingleses, die Schweinehunde, die gesucht werden, sollen sich an den Hafenpiers versteckt haben!“
Ribault, alles andere als ein Langsamdenker, schaltete sofort. „Dann nichts wie hin, ich will dabeisein, wenn sie zusammengeschossen werden.“
Wie zwei Schatten huschten sie vor dem Trupp Soldaten vorüber. Der Anführer riß seinen Degen hoch und kommandierte: „Zum Hafen, zum Hafen, bewegt euch, Leute!“ Und während der Seewolf und Jean Ribault in der gegenüberliegenden Gasse untertauchten, trappelten die Schritte der Soldaten hinter ihnen vorbei und verloren sich in dem allgemeinen Lärm. Dem Anführer fiel es nicht weiter auf, daß die beiden Männer, die doch angeblich auch zum Hafen unterwegs waren, einen Umweg nahmen. Und auch sonst hegte er keinerlei Verdacht. Es war ihm eben nur gemeldet worden, daß zwei verwegene Burschen gesucht würden, die das Festbankett im Gouverneurspalast gestört hätten. Wie die aussahen, hatte man ihm offensichtlich noch nicht näher beschrieben. Eben dies war eine glückliche Fügung des Schicksals. Sie gewährte Hasard und Jean Ribault den zeitlichen Aufschub, den sie so dringend benötigten, um sich in Sicherheit zu bringen.
Sie überquerten einen winzigen Hinterhof und stahlen sich in einen Gang, der so schmal war, daß sie die beiderseits aufragenden Mauern mit den Schultern berührten. Eine Katze stob vor ihnen davon. Hasard pirschte bis an den Auslaß vor; er führte auf eine etwas breitere Straße. Hasard streckte den Kopf vor und konnte plötzlich bis zur Hafenmole gucken.
Jean war hinter ihm. „Nun? Was siehst du?“
„Eine Menge Leute“, raunte Hasard ihm zu. „An der Piers herrscht Wuhling, als sei ein Aufstand losgebrochen. Noch einen Schritt weiter, und wir werden garantiert entdeckt.“
Als hätte er es mit seinen Worten heraufbeschworen, näherten sich in diesem Augenblick harte Schritte – aus Richtung Hafen. Hasard und Jean wichen etwas zurück und drehten sich so, daß sie mit den Rücken zur Mauer standen. Sie hielten sich dagegengepreßt und wünschten sich inständig, so platt wie Schollen zu sein. Schätzungsweise ein Dutzend Soldaten marschierte vorüber. Die Kerle hatten grimmige Mienen und hielten die Waffen gezückt. Warf auch nur einer einen Blick in den schmalen, finsteren Gang, mußte er die wie gelähmt stehenden Gestalten zumindest schemenhaft erkennen.
Der Trupp eilte davon. Ribault,