Seewölfe - Piraten der Weltmeere 509. Roy Palmer
beiden Oberhalunken dem Gefängnisdirektor Cámpora übergeben.
Cámpora hatte nicht lange gefackelt. Es war seine Entscheidung gewesen, de Escobedo und Bastida sofort zu hängen. Der Tod der beiden Rädelsführer hatte seine nachhaltige Wirkung auf die übrigen Strolche gehabt. Sie hatten das Weite gesucht. Die Belagerung der Residenz war aufgehoben. Die Bürger waren frei und konnten in ihre Häuser zurückkehren.
Don Luis Marcelo schöpfte nicht den geringsten Verdacht, daß mit dem deutschen Handelshaus irgend etwas nicht stimmte. Er war voll des Lobes, bewunderte die Deutschen und sicherte Arne von Manteuffel seine Unterstützung zu.
Cámpora war ebenfalls begeistert von diesen „Teufelskerlen“, ohne deren Hilfe Havanna gewiß gefallen wäre. Besser hätte es für die Faktorei und den Bund der Korsaren nicht enden können. Alles, was der Seewolf und sein Vetter am Tisch im Kontor der Faktorei geplant hatten, war in die Tat umgesetzt worden.
Der Vorsicht halber verließen die vier Schiffe noch in der Dunkelheit den Hafen. Hasard zog es vor, die Bucht westlich der Stadt als Ankerplatz aufzusuchen. Allein der Anblick der „Isabella“, der „Golden Hen“, der „Le Griffon“ und der „Empress“ hätte die Spanier am Morgen argwöhnisch stimmen können. Es war besser, dieses Mißtrauen erst gar nicht zu wecken.
Gewiß, die Schiffe hätten auch sofort zum Stützpunkt an der Cherokee-Bucht zurückkehren können. Aber klüger war es, noch abzuwarten. Erst wenn man ganz sicher war, daß Arne und die anderen in Havanna keiner Gefahr mehr ausgesetzt waren, konnte der Rückzug endgültig erfolgen.
Ausharren also – aber es hatte Zwischenfälle gegeben. Die Männer an Bord der vier Schiffe waren alarmiert worden, als im Dickicht nahe der Bucht die ehemaligen Leibwächter des Gonzalo Bastida, Cuchillo und Gayo, ihren Kumpan Sancho töteten. Carberry, Dan O’Flynn und Gary Andrews setzten mit einer Jolle über und töteten Cuchillo und Gayo im Duell.
Das war an diesem Abend passiert. Doch damit nicht genug. Ein Trupp Soldaten unter dem Kommando des jungen Teniente Denaro war erschienen und hatte den Tod der drei Leibwächter festgestellt. Denaro hatte die Beutesäcke mitnehmen lassen. Weit war der Trupp auf dem Rückweg nach Havanna nicht gelangt. Er war auf della Rocca und dessen Piratenmeute gestoßen, was einen mörderischen Kampf zur Folge hatte.
Hasard, Dan und Batuti wurden Zeugen dieses Handgemenges. Später erfuhren sie von einem der sterbenden Kerle der Della-Rocca-Bande, wen sie vor sich hatten.
Den „Perlen-Wolf“ – aha! Und der Stützpunkt der Piraten befand sich in einer Bucht auf der Nordwestseite der Insel Cozumel. Diese wichtigen Informationen hatten die Männer sich einprägen können – dann war der Pirat gestorben.
Sie hatten den Kerl und die anderen Toten in der Grube, in der sich die von della Rocca geborgene Truhe befunden hatte, begraben. Dann wurde an Bord der „Isabella“ kurz beratschlagt.
Der Seewolf war fest entschlossen, den Hundesöhnen unter dem Kommando des della Rocca auf der Spur zu bleiben. Deshalb ging er mit der „Isabella“ und der „Empress“ unverzüglich ankerauf, um der „Bonifacio“ zu folgen.
Jean Ribault und Edmond Bayeux blieben vereinbarungsgemäß in der Ankerbucht zurück, um in dieser Nacht Arne von Manteuffel über das letzte Ereignis zu berichten. Arne würde seinerseits per Brieftaube wiederum die Freunde im Stützpunkt über Hasards neues Vorhaben unterrichten können. Sollte bei Arne von Manteuffel sonst alles in Ordnung sein, dann konnten die „Golden Hen“ und die „Le Griffon“ zur Cherokee-Bucht zurückkehren. Mit dieser Vereinbarung hatte man sich getrennt.
Dan O’Flynn hatte in dieser Nacht den Posten des Ausgucks im Hauptmars der „Isabella“ übernommen. Immer wieder spähte er mit dem Spektiv voraus. In der Optik herrschte tintenschwarze Finsternis, und doch gab Dan die Hoffnung nicht auf, irgendwann die Hecklaterne des Piratenseglers zu entdecken.
Auf der „Empress“ waren es die Zwillinge, die als Ausguck die Augen offenhielten. Die „Empress“ lag schräg Steuerbord achteraus von der „Isabella“. Die Schiffe segelten über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen fast vorm Wind, der aus Nordosten wehte. Sie liefen beide gute Fahrt. Aber die Männer kannten die „Bonifacio“ als Schiff nicht näher. War die Galeone ein ganz normal beschaffenes Schiff, oder hatte della Rocca sie zu einem Schnelläufer mit langen Rahen und großer Segelfläche umgebaut? Möglich war alles – und man mußte auch mit dem Unmöglichen rechnen.
Bald aber war es Dan, der seinen Kameraden ein Zeichen gab.
„Da ist das Schiff!“ meldete er.
Soeben hatte er die Piratengaleone an der Grenze der nächtlichen Sichtweite entdeckt.
„Sehr gut“, sagte Hasard. „Wir haben sie also eingeholt.“
„Und das ist schon mal sehr beruhigend“, meinte Ben Brighton. „Wir hängen uns in das Kielwasser der Galeone und lassen sie nicht mehr aus den Augen.“
Somit waren alle Zweifel ausgeräumt, die die Bauart und Schnelligkeit der Piratengaleone betrafen. Della Roccas „Bonifacio“ war eine ganz normale Dreimastgaleone. Hasard und seine Mannen waren ziemlich sicher, daß es sich um ein gut armiertes Schiff handelte, wie es bei Freibeuterseglern im allgemeinen der Fall war.
Aber die vielen Kanonen, die der Bande im Gefecht gegen Handelsgaleonen einen unschätzbaren Vorteil sicherten, machten das Schiff nicht gerade leichter. Somit war auch die Geschwindigkeit durch die Last der Stücke beeinträchtigt.
Für Piratenführer wie della Rocca war es besser, ein gut bewaffnetes Schiff zu haben als einen wendigen Schnellsegler. Mit seiner Galeone konnte er es mit jedem Spanier aufnehmen, zumal die Spanier selbst auf schnelle Schiffe ohnehin keinen großen Wert legten. Ihre Galeonen waren plump und behäbig, die Karavellen zwar besser manövrierbar, jedoch nur leicht armiert. Della Rocca brauchte also kaum einen Gegner zu fürchten. Nur vor Kriegsschiffen mußte er Respekt haben, und denen würde er tunlichst ausweichen.
Kleinere Schnapphahnbanden der Karibik bevorzugten zwar immer noch Schaluppen und Pinassen, um Beuteschiffe zu kapern, doch della Rocca hatte eine zu große Meute. Im übrigen wollte er, so hatte es den Anschein, ganz sichergehen.
Die „Bonifacio“ war eine schwimmende Festung und nicht so leicht einzunehmen. Man konnte kleinere spanische Stützpunkte angreifen und war außerordentlich beweglich. Jederzeit konnte della Rocca mit seinem Schiff beispielsweise den Atlantik überqueren und zur Alten Welt übersetzen – wenn es ihm in diesen Gefilden zu heiß wurde. Und er brauchte kaum einen Sturm zu fürchten.
Alle diese Überlegungen beschäftigten Hasards Geist, während er mit der „Isabella“ in das Kielwasser der „Bonifacio“ steuerte. Als Führungshalter hing die „Isabella“ nun hinter der Piratengaleone. Della Rocca konnte sie nicht mehr abschütteln.
Doch vorerst schien er nicht zu registrieren, was hinter seinem Schiff vor sich ging. Und auch seinen Kerlen waren offenbar weder die „Isabella“ noch die „Empress“ aufgefallen. Man hatte die beiden Verfolger noch nicht gesichtet.
An Bord der „Bonifacio“ schien es hoch herzugehen. Johlen und Lachen tönten zu den Schiffen des Bundes der Korsaren. Keiner der Piraten ahnte etwas von den Verfolgern.
„Na, die scheinen sich ja gut zu amüsieren“, meinte Big Old Shane, der sich soeben zu Hasard und Ben gesellt hatte.
„Sie haben zu tun“, sagte Ben.
Ferris Tucker und Roger Brighton traten ebenfalls zu den drei Männern an die Querbalustrade des Achterdecks. Sie spähten voraus und konnten im Dunkeln die „Bonifacio“ wie einen Schemen vor sich erkennen.
„Irgendwie scheinen die Kerle abgelenkt zu sein“, sagte Ferris Tucker. „Na, großartig. Um so größer ist für sie die Überraschung, wenn sie uns sichten.“
Roger Brighton lachte leise. „Klar. Für uns ist es auf jeden Fall gut, schon mal zu wissen, daß wir unserem möglichen Gegner an Geschwindigkeit überlegen sind.“
„Was bei der ‚Isabella‘ und erst recht bei der ‚Empress‘ gegeben