Seewölfe - Piraten der Weltmeere 584. Fred McMason
war es höllisch riskant, gerade diesen Hafen anzulaufen, denn die Gefahr der Entdeckung wurde immer größer.
So ähnlich mochte auch Ben Brighton denken, der die Stirn in Falten gelegt hatte und zur Hafeneinfahrt blickte. Er sah die Einfahrt gar nicht, er fixierte lediglich einen imaginären Punkt davor.
Die Unterhaltung an Bord der Schebecke wurde nur noch auf Spanisch geführt, damit die Dons keinen fremden Brocken aufschnappten und noch mißtrauischer wurden.
Hasard blickte aus den Augenwinkeln zu Old O’Flynn. Der Alte stand da wie aus Eisen gegossen, und in seinem Blick lag soviel Hochnäsigkeit, wie der Seewolf sie an ihm noch nie gesehen hatte. Wie ein spanischer Grande stand er da in seiner weißen Halskrause und dem kaschierten Holzbein, das unter dem Gewand nicht zu erkennen war. Sie hatten es dementsprechend ausgepolstert.
Old O’Flynn schien über alles erhaben zu sein. Er sah hochmütig und hoheitsvoll über die Dons hinweg, die ihn heimlich musterten und nicht einzuordnen vermochten.
Der Blick des Seewolfs kehrte zu den Schiffen zurück. Da waren drei große Brocken, die unglaublich stark armiert waren. Das Flaggschiff des Generalkapitäns, die „El Lucifero“, dann die „Nuestra Señora de Flores“ und schließlich der große Brocken „Virginidad“.
Jungfräulichkeit, dachte Hasard, das paßt zu diesem Feuerspucker wie die Faust aufs Auge.
Eine grobe Stimme riß ihn aus seinen Betrachtungen.
Der Teniente von der Schaluppe brüllte: „Sie legen dort an der Pier an, Steuerbordseite! Dort vertäuen Sie! Keiner verläßt das Schiff!“
„Verstanden“, sagte Hasard ruhig.
Die „El Lucifero“ nahm Kurs auf eine lange hölzerne Pier, die „Virginidad“ vertäute dicht dahinter, und die „Nuestra Señora de Flores“ ging dicht hinter der Hafeneinfahrt vor Anker. Mit ihrer Breite versperrte sie den größten Teil der Einfahrt.
Karavellen und Schaluppen nahmen ebenfalls Kurs auf die kleineren Piers, wo sie vertäuten.
Die Seewölfe brachten die Schebecke vierkant an die Pier. Ein paar Soldaten nahmen schweigend die Leinen wahr und belegten sie an den hölzernen Pollern.
Der Teniente mit dem dünnen Bart verließ die Schaluppe und brüllte ein paar Befehle.
Daraufhin traten zwölf mit Musketen bewaffnete Spanier vor und nahmen Aufstellung. In zackiger Formation marschierten sie von Bord. Der blasierte Teniente ging wichtigtuerisch voran. Ihm folgte der Corporal mit dem Nußknackergesicht, dann die Soldaten. Ihre Schritte dröhnten laut auf den Holzbohlen.
Vor der Schebecke der Arwenacks hielt der Trupp an.
„Auf der Pier verteilen!“ schrie der Teniente. „Die Musketen sind schußbereit zu halten! Es wird sofort geschossen, sobald einer der Kerle ohne Sondererlaubnis das Schiff verläßt! Dafür haften Sie, Corporal, verstanden?“
Der Corporal hatte verstanden. Er tat das kund, indem er ebenfalls laut brüllte und die zwölf Kerle anpfiff.
Mit der fürchterlichen Drohung „Sie hören noch von mir!“ wandte sich der Teniente ab und ging zur Schaluppe zurück. Mit den Worten hatte er Hasard gemeint. Der Seewolf gab jedoch keine Antwort.
Er sah, wie die zwölf Kerle ihren Posten bezogen und sich auf der Pier verteilten. Der Corporal hockte auf einem Poller und stierte Schiff und Leute an. Hin und wieder gähnte er ungeniert.
Die meisten Arwenacks zogen sich auf die andere Schiffsseite zurück, wo sie ungestört miteinander reden konnten, ohne von den Soldaten gehört zu werden.
„Jetzt sitzen wir zwischen zwei Stühlen“, sagte Hasard, „und dazu noch sozusagen in der Schwebe.“
„Noch hat dich keiner erkannt, Sir“, sagte Dan O’Flynn. „Es sieht auch nicht so aus, als würden sie Verdacht schöpfen. Der Bart verleiht dir ein völlig anderes Aussehen.“
„Ich dachte weniger an mich, es geht um Juan. Wenn sie ihm die Frage stellen, wo er als angeblicher Gast zugestiegen sei und an mich die gleiche Frage richten, erhalten sie zwei verschiedene Antworten. Für so dämlich halte ich die Dons nicht, daß ihnen das nicht auffällt.“
„Es wird noch mehr Ungereimtheiten geben“, sagte Dan. „Sie brauchen unsere Leute nur einzeln zu verhören, dann sitzen wir hoffnungslos in der Patsche. Wir sollten uns wenigstens jetzt noch absprechen, solange wir Gelegenheit dazu haben. Jeder muß einen gewissen Part übernehmen, damit es keine Unstimmigkeiten gibt.“
„Gut, dann holen wir das jetzt nach, aber perfekt können wir nicht sein, dazu sind wir zu viele Männer.“
Eine halbe Stunde lang wurden Einzelheiten besprochen, doch es war einfach zu viel, was da auf jeden einzelnen einstürmte. Zwar konnte sich jeder seinen neuen Namen merken, doch die der anderen war schon ausgesprochen schwierig.
Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne schien immer noch freundlich und warm vom Himmel.
Die Arwenacks hätten jetzt mit Kurs auf den Atlantik gelegen und wären nach England gesegelt.
Doch das Bild hatte sich grundlegend geändert. Sie waren inmitten schwimmender Festungen gefangen und konnten keinen einzigen Schritt an Land tun.
„Lassen wir es uns nicht verdrießen“, sagte der Kutscher. „Es gibt Mittagessen, und danach sehen wir weiter.“
Eine halbe Stunde nach dem Essen, das sie an Deck einnahmen, erschien der Teniente. Er blickte den Seewolf verkniffen und überheblich an.
„Der Generalkapitän, Don Miguel de Salamanca, will Sie sprechen“, sagte er unfreundlich. Sein Blick wanderte weiter und blieb an Old O’Flynn hängen. „Und Sie möchte er auch sehen.“
Old O’Flynn blickte sehr hochnäsig zu dem Teniente.
„Ich wüßte nicht, was ich mit dem Generalkapitän zu besprechen habe“, erklärte er blasiert. „In meinen Kreisen ist es nicht üblich, daß man mich einfach abkommandiert. Richten Sie das dem Generalkapitän gefälligst aus. Wenn er mich zu sprechen wünscht, dann soll er mir eine Eskorte oder eine Sänfte schicken. Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben, Sie Schnösel!“
Hasards Gesicht wurde ausdruckslos und starr. Am liebsten wäre er laut herausgeplatzt, aber er behielt sich in der Gewalt.
Er sah, wie der Teniente wegen des „Schnösels“ zusammenzuckte, den Alten verärgert musterte, die Beleidigung aber ohne weiteren Kommentar schluckte. Dann salutierte er kurz.
„Ganz nach Ihren Wünschen“, schnarrte er und drehte ab.
Als er weg war, sah Hasard den kauzigen Alten entgeistert an.
„Sag mal, wen, um Himmels willen, willst du eigentlich darstellen? Du kannst doch hier nicht so großkotzig auftreten.“
„Warum nicht?“ fragte Old O’Flynn gelassen. „Immerhin bin ich der legitime Sohn des Fernando Alvarez de Toledo, spanischer Feldherr und Oberbefehlshaber der Heere Kaiser Karls des Fünften, wenn’s genehm ist.“
„Um Gottes willen“, murmelte Hasard erschüttert. „Das nimmt dir doch kein Mensch ab. Du, und der Sohn des Herzogs von Alba! Hatte er denn überhaupt einen?“
„Na klar“, versicherte der Alte unerschütterlich. „Warum sollte er keinen gehabt haben?“
„Und wenn diesen Sohn zufällig jemand kennt?“
„Dann bin ich der zweite Sohn. Dieser Affenarsch von Generalkapitän soll mir erst einmal das Gegenteil beweisen.“
„Jetzt ist ohnehin alles egal“, murmelte Hasard. „Die Widersprüche werden sich gleich häufen. Warten wir es ab. Und von wo aus bist du auf der Schebecke mitgesegelt?“
„Das geht den Salamander, oder wie der Kerl heißt, einen Scheiß an“, murmelte Old O’Flynn. „Der soll nur wagen, einen spanischen Granden auszufragen. Dem werde ich was flöten.“
Die