Seewölfe Paket 28. Roy Palmer
auf die Mittagsstunde zu – in Masquat fand nach wie vor der lärmende Basar statt. Doch es tauchten keine Gestalten auf, die mit finsteren, blutrünstigen Mienen zum Kai marschierten.
Auch näherten sich keine Boote der „Santa Barbara“, von denen aus wütende Kerle das Feuer auf die Arwenacks eröffneten. Alles blieb ruhig. Silvestro Moravia, so schien es, ließ erst einmal seinen größten Zorn verrauchen und erholte sich von den Folgen des Profoshammers.
„Ich schätze, die Kerle warten die Dunkelheit ab“, brummte Carberry mit einem nachdenklichen Blick zum Hafen. „Dann rücken sie an. Sie wären ja dumm, wenn sie am hellichten Tag angreifen würden.“
„Wo Hasard und die Zwillinge bloß bleiben“, sagte Ferris Tucker. „Ich finde, sie sind schon viel zu lange da oben.“
Dan O’Flynn spähte durch einen Kieker zum Palast des Sultans.
„Da tut sich was“, sagte er. „Ein Reiter nähert sich. Er führt ein zweites Pferd mit sich.“
„Da haben wir die Bescherung“, sagte der alte O’Flynn. „Sie haben Hasard und die Jungen in Ketten gelegt, und jetzt erscheint so ein Mufti und stellt uns ein Ultimatum.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Ben Brighton.
Sehr wohl war aber auch ihm nicht zumute. In dieser Stadt gab es zu viele Dinge, die nicht geheuer erschienen. Ja, das beste wäre wohl doch gewesen, wieder in See zu gehen und weiterzusegeln.
„Es ist Philip junior“, sagte Dan.
„Na, da staune ich aber“, sagte Big Old Shane. „Welche Nachrichten bringt er uns wohl?“
Die Männer schwiegen und beobachteten Philip, der in den Hafen preschte. Einige Araber mußten dem jungen Mann ausweichen. Einer fluchte hinter dem Reiter her und schüttelte zornig die Faust.
Dann war Philip bei Luke und Bob. Er sprang aus dem Sattel und berichtete, was vorgefallen war. Luke blieb als Wächter bei den Pferden. Bob und Philip junior pullten zur „Santa Barbara“. Flink enterten sie an der Jakobsleiter auf, und Philip erzählte den Mannen von dem blutigen Zwischenfall im Palast.
„Ein Mörder?“ sagte Ben. „Das ist ja nicht zu fassen. Gibt es noch Chancen für die Frau?“
„Offenbar ja“, erwiderte Philip. „Dad will, daß der Kutscher sie untersucht. Der Sultan hat es genehmigt.“
„Kutscher!“ rief Ben. „Du hast es gehört!“
„Aye, Sir! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Der Kutscher eilte in die Kombüse und holte seine Tasche mit den Wundarztgeräten. Mac und Higgy schleppten eine Kiste mit den übrigen Utensilien und den Arzneien hinter ihm her.
„Du kommst mit!“ rief der Kutscher mit einem Blick zu Mac, als er sich zum Abentern anschickte. „Ich brauche dich!“
„Ich trau’ mich nicht“, sagte Mac.
„Halt keine dummen Reden“, sagte der Kutscher ärgerlich. „Jeder Augenblick ist kostbar.“
So enterten der Kutscher, Philip junior, Bob und Mac in das Boot ab. Die Feldschergeräte wurden verstaut, und in größter Eile pullten sie zur Pier zurück. Luke half ihnen beim Ausladen. Philip und der Kutscher kletterten in den Sattel des einen Pferdes, Mac schwang sich auf den Rücken des anderen Tieres. Irgendwie kriegten sie auch die Tasche und die Kiste mit – und ab ging’s.
„Wir halten euch auf dem laufenden!“ rief Philip noch Luke und Bob zu, dann waren die Reiter zwischen den weißen Häusern von Masquat verschwunden.
Dan verfolgte wenig später ihren Weg hinauf zum Palast durch den Kieker. Er sah, wie das Tor von Wächtern geöffnet wurde. Der Kutscher, Philip und Mac ritten hindurch. Das Tor schloß sich wieder – wie von Geisterhand.
„Hoffentlich können sie die Frau retten“, sagte Ben Brighton.
„Zwei Morde, ein Mordanschlag“, sagte Ferris Tucker. „Wer könnte der Täter sein?“
„Wie sollen wir das wissen, wenn der Sultan nicht einmal selbst einen Verdacht hat?“ entgegnete Don Juan de Alcazar.
„Möglich, daß es einer der Portugiesen ist“, meinte Carberry. „Vielleicht Moravia.“
„Das glaube ich nicht“, sagte der alte O’Flynn.
Die Männer blickten ihn an.
„Was sagt denn das Orakel?“ fragte Shane.
Old O’Flynn würdigte ihn keines Blickes. „Ich sage euch, der Mörder ist ein Einheimischer. Einer, der sich aus irgendeinem Grund am Sultan rächen will.“
„Aber was, zum Teufel, haben wir eigentlich damit zu tun?“ polterte der Profos los. „Mir geht das Ganze höllisch auf den Geist, verflucht noch mal!“
„Wir sind in den Fall hineingestolpert“, sagte Ben. „Und wir können nicht so tun, als ginge es uns nichts an. Willst du die Haremsfrau vielleicht sterben lassen?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Carberry. „Aber die Araber haben auch ihre Heilmethoden und Quacksalberkünste.“
„Ich weiß schon, was du sagen willst“, entgegnete Shane. „Hasard engagiert sich mal wieder zu sehr. Aber wenn du an seiner Stelle gewesen wärst, hättest du dich nicht anders verhalten.“
„Ja, schon gut“, brummte der Profos. „Hoffentlich gibt’s bald eine Spur von diesem Mörderhurensohn. Von mir aus können wir ihn dann gemeinsam jagen. Ein Kerl, der wehrlose Frauen umbringt, gehört meiner Ansicht nach aufgehängt, und zwar dort oben.“ Er wies zur Nock der Großrah.
Die Mannen nickten. Im stillen pflichteten sie ihrem Profos bei. Jedes Bordgericht hätte einen solchen Mörder zum Tode verurteilt.
„Besser noch wäre, den Burschen kielzuholen“, meinte Matt Davies.
„Ja, zweimal“, fügte Batuti hinzu.
Die Männer spähten zum Palast auf der Kuppe des Hügels. Wie würde sich der Fall weiterentwickeln? Keiner von ihnen vermochte es zu sagen. Es gab keine Vorausschau. Alles war vage und ungewiß.
5.
Sultan Quabus bin Said stand mit verschränkten Armen im Park und blickte zu den Männern. Mac und Philip trugen die schwere Kiste, der Kutscher schritt vor ihnen her. Der Seewolf, Hasard junior und Mustafa standen beim Sultan. Plymmie hatte sich auf die Hinterläufe gehockt und betrachtete neugierig den Kutscher.
„Du hast zwei Ärzte?“ fragte der Sultan den Seewolf. Wieder schien Argwohn in ihm aufzukeimen.
„Einen Feldscher und einen Helfer“, erwiderte Hasard.
„Ich weiß nicht, ob ich gestatten kann, daß gleich zwei Ungläubige die Gemächer betreten.“
„Es ist ein Verstoß gegen die Gesetze des Korans“, sagte Mustafa. „Aber ich glaube doch, der Prophet wird ein Auge zudrücken, Herr. Es geht um Nabilas Leben. Und die Europäer haben wirklich bessere Behandlungsmethoden als wir.“
„Ja“, sagte der Sultan leise. „Ja, das sehe ich ein.“ Er gab seinem Berater einen Wink. „Führe die Männer in das Arztgemach. Sie sollen alles tun, was in ihren Kräften steht.“
Mustafa bedeutete dem Kutscher und Mac Pellew, mit ihm zu gehen. Der Kutscher wechselte nur ein paar knappe Worte mit seinem Kapitän, dann folgte er dem hageren Araber. Ein Wächter begleitete die Männer, er schleppte mit Mac zusammen die Kiste. Philip junior gesellte sich zu seinem Vater und seinem Bruder.
„Gibt es Spuren von dem Mörder?“ fragte Philip junior.
„Bisher keine“, erwiderte der Seewolf. „Plymmie hat draußen gesucht. Inzwischen habe ich mit ihr auch den Stall abgeforscht. Nichts.“
„Wir sollten es noch einmal versuchen“, sagte Philip.
„Einverstanden“,