Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
gestaut. Die angeblich nach Deutschland gehen sollen“, sagte Hesekiel sanft. „Wir schlagen ein paar schwere Taljen am Bug der Karavelle an und ziehen sie zu den breitstämmigsten Kiefern Hinüber. Aber vorerst leichtern wir das Schiff und nehmen alles von Bord. Die anderen haben ihre Beiboote schon abgefiert und werden alle kräftig mit anpacken.“
Jean Ribault sah zu den Kiefern hinüber. Da gab es eine, die ganz besonders ins Auge fiel, eine sehr hohe Kiefer, die auf einem Hügel der Halbinsel stand. Sie hatte eine dichte und breit gefächerte Krone.
„Bevor wir anfangen“, sagte Jean, „sollten wir einen Ausguck einrichten. Ich denke dabei an die Kiefer dort drüben. Dort kann ein Mann bequem in der Krone sitzen und Ausschau halten, ohne daß er selbst gesehen wird. Das könntest du für die ersten paar Stunden übernehmen, Roger“, sagte er. „Grand Couteau kann dich später ablösen, aber der Ausguck ist wichtig, dafür müssen wir zuallererst sorgen.“
„Ich möchte wetten“, sagte Roger nachdenklich, „daß uns die anderen Kameraden nicht einmal sehen, wenn sie hier vorbeisegeln, so gut geschützt sind wir von der Halbinsel.“
Kurz darauf brachte ihn eine Jolle zum Strand. Er war mit einem Spektiv bewaffnet und stieg in die Kiefer, wo er es sich in der breiten Krone gemütlich einrichtete und seinen Posten bezog. Von hier aus konnte er alles überblicken und war selbst vor den Blicken anderer vorzüglich geschützt.
Mit den Arbeiten wurde auf der „Golden Hen“ auch sogleich begonnen, nachdem alle Schiffe ihre Jollen abgefiert hatten.
Als Roger Lutz seinen Ausguck bezogen hatte, begann man damit, die Schatzbeute der beiden Schnapphähne Caspicara und Flores auszuladen und an Land zu bringen. Die Männer von O’Brien und Renke Eggens kamen mit den Jollen längsseits und brachten Truhen, Kisten und Fässer an Land.
Mit einer anderen Jolle wurden ebenfalls Pallhölzer zum Strand gebracht und gestapelt.
Danach begann die Plackerei mit den schweren Geschützen, die mühsam abgefiert wurden. Den Männern lief bereits der Schweiß in Bächen über die Körper.
Von den Schiffen des Geleitzuges, der nach Porto Bello unterwegs gewesen war, hatten sie noch Fässer voller Schießpulver und Wein, die ebenfalls an Land gebracht werden mußten.
Eine Stunde nach der anderen verrann mit harter Arbeit. Und noch war kein Ende abzusehen.
2.
Der einzige, den die emsige Betriebsamkeit überhaupt nicht zu stören schien, war Old O’Flynn. Er hatte die „Empress“ in die Bucht verholt und aus den Augenwinkeln wahrgenommen, daß es hier „ganz herrlich“ war, aber damit hatte es sich auch schon.
Na fein, dann lagen sie eben in einer geschützten Bucht und nicht mehr auf dem Präsentierteller. Auf der „Golden Hen“ kamen sie auch ohne ihn aus, Leute waren ja genug da, und so hockte Old Donegal an diesem herrlichen Vormittag an Bord seines Schiffes und grübelte, wie er schon zuvor gegrübelt hatte.
Er sah und hörte nicht, was um ihn herum vorging, denn durch seinen Schädel geisterten pausenlos Ideen, eine immer besser als die andere. Allerdings plagten ihn mitunter auch ganz abstruse Ideen, aber das entsprach eben der O’Flynnschen Persönlichkeit. Schließlich mußte man alle Möglichkeiten durchgehen.
Was den alten Knurrhahn beschäftigte und woran er sich in Gedanken so ergötzte, war der Bau einer neuen Kneipe.
Kneipe? Gott bewahre, eine „Rutsche“ mußte es sein, ähnlich wie jene auf der untergegangenen Schlangen-Insel, der er immer noch lebhaft nachtrauerte.
Hm, allerdings war das hier ziemlich schlecht, überlegte er und räusperte sich ärgerlich. Am Nordufer war ja wohl nichts mit der Errichtung einer Rutsche, das hatten die anderen Kerle bereits mit der „Golden Hen“ vereinnahmt. Außerdem war es da ziemlich flach. Wie, zum Teufel, sollte man da eine Rutsche bauen?
Der Alte hockte neben der Pantry, stierte auf die Planken und merkte nicht, daß sein Bootsmann Martin Correa schon die ganze Zeit über am Grinsen war. Heute spinnt O’Flynn wieder mal einen unsichtbaren Faden, dachte Martin. Da war er nicht ansprechbar, nicht einmal seine liebe Mary konnte ihm da ein Wort entlocken, obschon sie offenbar etwas auf dem Herzen hatte.
Ein paar Male hatte sie schon zum Sprechen angesetzt, um Old O’Flynn mit leuchtenden Augen etwas zu verklaren. Doch der hockte da und stierte weiterhin Löcher in die Luft.
„Wirklich herrlich hier“, sagte Martin, wobei er versuchte, den Alten ein wenig aus der Reserve zu locken.
„Hm, ja“, war alles, was er zu hören kriegte.
O’Flynn nahm ein Stückchen Holzkohle und zeichnete ein paar Striche auf die sauberen Planken. Nachdem er das Gekraxel ausgiebig betrachtet hatte, wischte er es wieder weg. Und weil die Holzkohle ein bißchen schmierte, gab es einen entsprechend dunklen Fleck auf den Planken.
Wieder erschien die rothaarige Mary. Sie lächelte und blickte auf ihren alten Brummbär. Ihre Zähne blitzten, doch gerade als sie etwas sagen wollte, zog Old Donegal voller Andacht und Emsigkeit neue Striche.
Auf Marys Stirn erschien eine steile Falte des Unmuts.
„Was schmierst du da ständig auf den Planken herum?“ fragte sie. „Ist das eine neue Art, den Tag zu vertrödeln? He, ich habe dich etwas gefragt, Mister O’Flynn!“
„Ja, herrlich hier“, knurrte der Alte, der überhaupt nicht zugehört hatte, „und auch schön warm.“
Sie redeten aneinander vorbei, denn Old O’Flynn hörte wieder nicht zu. Er gab lediglich nichtssagende und banale Antworten, um seine Ruhe zu haben.
„Herrlich hier und auch schön warm!“ fauchte Mary. „Was sind denn das für dämliche Antworten?“
„Ja, genau“, brummte Old O’Flynn freundlich.
Martin Correa feixte noch mehr, als Mary kopfschüttelnd mit dem Finger an die Stirn tippte. Aber es sah ganz so aus, als bahne sich bald ein handfester Ehekrach an, denn die resolute Mary ließ sich auf die Dauer nicht mit faulen Antworten abspeisen. Martin kannte das, denn die Snugglemouse konnte ziemlich heftig explodieren, und mitunter ging ihr Temperament mit ihr durch.
Aber noch beherrschte sie sich, wenn auch kopfschüttelnd. Zähneknirschend enterte sie wieder in die Pantry ab, wo sie mit Pfannen und Töpfen hantierte.
Old O’Flynn brabbelte etwas, wischte erneut die Striche aus und vergrößerte den Fleck zu einem schwarzen Gebilde. Nicht einmal die Sauerei auf den Planken störte ihn.
Etwas später lehnte er sich ein wenig zurück, starrte zuerst geistesabwesend in den Himmel und kratzte sich dann ausgiebig das Kinn.
Dann schien er aus einem Traum zu erwachen und sah sich um. Das tat er ziemlich lange und wirkte dabei erstaunt, als sei er total überrascht, in dieser Bucht zu liegen.
„Sieht ja alles ganz anders aus“, murmelte er.
„Wie meinst du das?“ fragte Martin verwirrt.
„Na – diese komische Halbinsel.“
„Aber – wir haben doch vor einer halben Stunde verholt.“
„Ach ja, richtig“, brummte Old Donegal. „Hatte ich fast schon vergessen. Klar, wir haben zur Rutsche verholt.“
„Zur Rutsche?“ fragte Martin fassungslos. Jetzt geht es bei Old Donegal wohl endgültig los, dachte er, jetzt fängt es im Gebälk an zu bröseln und zu bröckeln.
„Äh, zur Bucht natürlich. Laß mich Joch mit deinem Scheiß in Ruhe, ich habe zu tun.“
„Ich habe ja auch nichts gesagt“, brummte Martin, der mit den Schrullen und Marotten des Alten bestens vertraut war. Aber heute schien er im Kopf nicht ganz richtig zu sein.
Old Donegal sah sich jetzt aufmerksam um. Klar, sie hatten verholt, er hatte gar nicht mehr daran gedacht. Er dachte nur