Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
Er preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch zwei schmale, kaum sichtbare Striche waren.
Es war jetzt dunkel, und diese Zeit gedachte de Zavallo gründlich auszunutzen, um die Kerle auf Trab zu halten. Diesem alten Burschen wollte er schon zeigen, wie militärischer Drill aussah.
„Bootsmanöver“, sagte er knapp. „Ich gehe davon aus, daß ein Mann über Bord gefallen ist. Bringen Sie das den Kerlen bei – mit allem, was dazu gehört.“
Dagegen läßt sich nichts einwenden, dachte Torres. Die Mannschaft mußte einexerziert werden, wenn ein Notfall eintrat. Dazu waren natürlich auch Segelmanöver erforderlich.
Er gab den Befehl weiter, und schon bald darauf herrschte eine unglaubliche Hektik an Bord. Die zehn Gepreßten wußten nicht, wo sie zugreifen mußten, und das gab logischerweise anfangs ein heilloses Durcheinander.
Wer müßig oder unwissend herumsprang, dem half der Profos augenblicklich mit der Neunschwänzigen nach und zog ihm erbarmungslos eins über. Die ersten Schreie schmerzhaft getroffener Männer waren zu hören.
Für Zavallo war das Musik. Zeugte es doch davon, daß zumindest der Profos sein Handwerk verstand und die Halunken an die richtigen Plätze trieb.
Auch Torres war ein alter Fuchs, der jeden Handgriff im Schlaf beherrschte, aber das erkannte der Capitán kaum an. Schließlich war der Kerl ja Bootsmann, was sonst!
Dabei mußte natürlich die Fahrt unterbrochen werden, und etliche Manöver waren notwendig. Halsen oder wenden, Segel bergen, Boote aussetzen, Treibanker ausbringen – das alles wurde den Kerlen jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eingebleut. Und immer waren der aufmerksam lauernde Profos und sein Steckenknecht zur Stelle, wenn etwas nicht klappte.
Natürlich war de Zavallo mit den Manövern höchst unzufrieden, und hatte an allem etwas auszusetzen, als die Kerle total erschöpft dastanden und fertig waren. Die Gepreßten waren diese Arbeiten nicht gewohnt, höchstens die Fischer verstanden sich darauf.
Der Scherenschneider und der Besenbinder jammerten, denn sie kapierten auch dann nicht, als der Profos ihnen zum Tänzchen aufspielte.
Sie spürten nur, daß drei Schläge höllisch weh taten und sie fast umbrachten.
Kaum war das Manöver beendet, da befahl de Zavallo die Seesoldaten und Artilleristen an die Kanonen. Auch die Gepreßten mußten kräftig mitanpacken, Kugeln und Pulver mannen und Messingtöpfe mit glühender Holzkohle bereitstellen.
Wieder setzte es Hiebe, wenn dem Profos etwas nicht paßte.
„Das geht alles viel zu langsam“, nörgelte der Kommandant nach einer Stunde, als die Männer schwitzend und keuchend an den Stücken hantierten. „Das Ganze noch einmal von vorn.“
So verrann eine Stunde nach der anderen, während mehrmals die Fahrt unterbrochen wurde. Kaum hatten sie die Kanonen ausgerannt oder gewischt, da ertönte der Ruf: „Mann über Bord!“
Wieder begannen die Strapazen. Und wieder ging der Profos mit der Neunschwänzigen dazwischen.
Nach Mitternacht waren die Männer fix und fertig und total abgeschlafft. Sie konnten nicht mehr. Sie wollten nur noch schlafen, denn sie schliefen schon fast im Stehen ein.
„Faules Pack!“ brüllte der Capitán. „Was sind das für Waschlappen, die sich nach ein paar Übungen kaum noch auf den Beinen halten können! Lassen Sie die Kerle mal richtig exerzieren, Señor Torres.“
Der Profos nahm lauernd Aufstellung. Ihm tat schon der Arm weh vom vielen Zuschlagen.
„Wie soll das Exerzieren vor sich gehen?“ fragte Torres. Er hielt die Segelmanöver für angemessen, das Exerzieren empfand er jedoch als reine Schikane, weil es nichts einbrachte. Das konnte er dem Capitán aber unmöglich sagen. Offenbar war der Kerl ein Sadist, den es freute, wenn er andere nach Lust und Laune schikanieren konnte.
„Sie haben das wohl noch nie gelernt, was? Die Kerle sollen auf der Kuhl Aufstellung nehmen und dann Rechts-Um, Links-Um, Kehrtwendung und Ausrichten üben. Ich entscheide, wann es genug ist.“
Inzwischen brannten überall auf der „Goldenen Henne“ Laternen, die die nächtliche Szenerie beleuchteten.
Die erschöpften Männer nahmen Aufstellung. Der Profos belauerte jede ihrer Bewegungen. Aber auch vom Achterdeck aus beobachtete de Zavallo die Männer. Er war scharf darauf, ein paar arme Kerle zu finden, an denen er ein Exempel statuieren konnte.
Dann ging es los mit: „Augen geradeaus! Augen rechts! Die Augen links!“
Der Silhouettenschneider kapierte von allem immer nur die Hälfte.
Als „Rechts-um“ gebrüllt wurde, trabte er geradeaus und latschte einem Seesoldaten in die Hacken. Der brüllte auf, weil seine Laune sowieso am Nullpunkt angelangt war, und drehte sich erbost nach dem Mann um.
„Das Ganze halt!“ brüllte de Zavallo vom Achterdeck aus. „Ich verbitte mir diese Disziplinlosigkeit. Profos, ziehen Sie den beiden Kerlen jeweils sechs Hiebe über, wegen Unbotmäßigkeit und lascher Befolgung von Befehlen.“
Der Profos trat wieder in Aktion. Er war selbst sauer und verärgert über das stundenlange Exerzieren. Daher legte er auch seine ganze Wut in die Hiebe.
Der Silhouettenschneider brüllte sich die Lunge aus dem Hals und kreischte wie ein Tier, als die neun Striemen ihn trafen.
Torres kniff die Lippen zusammen, als der Seesoldat ausgepeitscht wurde und zusammenbrach. Dieser Kommandant ist der reinste Satan in Menschengestalt, dachte er. Kein Wunder, daß er jetzt schon von allen gehaßt und gefürchtet wird.
Erneut ging es los. De Zavallo setzte noch einen drauf, indem er die Männer in Marschformation und Dreier-Kolonne antreten ließ.
Jetzt mußten sie im Karree traben, im Viereck, und dabei rannten sie sich fast gegenseitig über den Haufen.
„Der reinste Terror ist das“, sagte einer der Soldaten haßerfüllt.
Torres überhörte das, er verstand die Kerle nur zu gut. Aber der Profos hatte scharfe Ohren und meldete es sogleich hämisch zum Achterdeck.
„Raus mit dem Kerl!“ brüllte de Zavallo. „Das ist aufrührerisches Gerede, Verweigerung von Gehorsam. Statuieren Sie ein Exempel an dem Halunken, Profos! Er soll fünfzigmal um den Fockmast laufen, danach erhält er ein Dutzend Hiebe und wird in die Vorpiek gesperrt.“
Der Seesoldat mußte antreten und in gebückter Haltung pausenlos um den Fockmast rennen. Wenn er nicht schnell genug lief, trieb ihn der Profos mit der Peitsche weiter.
Dem Mann hing anschließend die Zunge aus dem Hals, er war schweißgebadet und keuchte. Danach erhielt er zwölf Hiebe und wurde in die Vorpiek verfrachtet.
Eine knappe Stunde später erwischte es den nächsten. Auch er landete nach einem Dutzend Hieben in der Vorpiek.
Gegen drei Uhr morgens – es wurde immer noch exerziert, im Kreis gelaufen oder stramm gestanden, waren zwei weitere Männer fällig.
Schließlich landete auch noch der fünfte in der Vorpiek, total erledigt, kaputt und hundemüde.
Alle waren sie zerschlagen und konnten sich kaum noch bewegen, aber de Zavallo trieb sie unermüdlich weiter.
Morgens um vier Uhr ging der Erste Offizier nach achtern.
„Wir haben jetzt fünf Totalausfälle“, meldete er. „Die anderen Leute sind restlos überfordert und erledigt, Señor Capitán.“
„Na und!“ schnappte de Zavallo. „Das sind Weichlinge, Hampelmänner, die nichts vertragen. Muttersöhnchen sind das. Aber sie werden es noch lernen.“
„Ich wollte nur darauf hinweisen“, sagte Torres steif, „daß wir im Ernstfall nicht mehr voll einsatzfähig sind. Sollten noch ein paar Mann ausfallen, sind wir nicht in der Lage, uns wirksam zu verteidigen.“
„Das überlassen Sie gefälligst