Seewölfe Paket 29. Roy Palmer

Seewölfe Paket 29 - Roy Palmer


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und drängende Pulks von Menschen in bunter Mischung – Händler mit allen möglichen Waren, Bauern, die auf den Basaren Naturalien verkaufen wollten, Kauflustige von drüben, die auf dieser Seite des Horns die größere Auswahl hatten, Soldaten, Fischer, Wanderhandwerker, Moscheenbesucher oder auch einfach nur Stadtbummler.

      Es ging zu wie in einem Ameisenhaufen.

      Wer zu den Basaren in Hafennähe oder zum Kapali Carsi, dem Großen Basar im Stadtkern wollte, der passierte jenen Platz am Anleger, auf dem das Tamtam eines Tamburins und die Zupfklänge ertönten, zu denen die Blume von Istanbul tanzte.

      Verschleierte Frauen eilten gesenkten Kopfes an dieser Stelle vorbei – was bei ihnen verschleiert war, zeigte Fatima in aller Offenherzigkeit.

      Um so neugieriger verhielten sich die Mannsleute. Sie hingen in dichten Trauben um die etwas überhöhte Rundplattform, trampelten sich gegenseitig auf die Füße und taten ansonsten nur eins: sie glotzten – dies natürlich in verschiedenen Variationen. Die einen grinsten lüstern, andere spitzten die Lippen, wieder andere hatten Augen, die jenen eines Frosches nicht unähnlich waren. Und da gab es auch einige, die empört taten, aber dennoch stierten.

      Hasard und Philip standen etwas abseits „in Luv“ eines emsigen und schwitzenden Mannes, der auf einem Holzkohlenrost kleine Fische grillte und lauthals zum Verkauf anpries. Sein Geschäft ging gut.

      Daß die beiden Junioren „in Luv“ standen, hatte den Vorteil, daß ihnen der Fischbratdunst nicht unmittelbar in die Nase stieg. Außerdem hatten sie durch den Fischbrater und die Käufer ganz gute Deckung zur Plattform hin.

      Sie hatten zwar nur etwas Bestimmtes vermutet oder auch nur geahnt, aber es war doch fast wie ein Keulenschlag gewesen, daß Vermutung und Ahnung zutreffend gewesen waren.

      Sie feierten nach zehn Jahren ein Wiedersehen, nein, kein stürmisches, sondern ein sehr verhaltenes und zurückhaltendes Wiedersehen, von dem die anderen allerdings nichts ahnten. Das Wiedersehen war einseitig.

      Sie waren beide ziemlich erschüttert. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß sie die Jahre ihrer Kindheit – bis sie sieben wurden – bei Menschen verbracht hatten, die plötzlich und unerwartet wieder leibhaftige Wirklichkeit wurden.

      Ende März 1587 in Tanger hatten sie diese Menschen zuletzt gesehen oder zu ihnen gehört. Dort in Tanger war der wohl wichtigste Einschnitt in ihrem jungen Leben erfolgt, denn der Zufall hatte sie wieder mit ihrem Vater zusammengeführt, der durch eine falsche und darum teuflische Information geglaubt hatte, sie wären nicht mehr am Leben. Er hatte nicht gezögert, sie zu sich an Bord der „Isabella VIII.“ zu holen.

      Kurz und gut, die beiden Junioren waren hier am Anleger von Cibali auf Kalibans Gauklertruppe gestoßen, mit der sie einst als Jungen durch die Lande gezogen und in der sie selber mit zum Teil faulen Tricks aufgetreten waren.

      Kaliban, der große Zauberer, hatte ihre verblüffende Ähnlichkeit dazu benutzt, um dem Publikum schier übernatürliche Kunststückchen vorzuführen. Ja, sie waren im wahrsten Sinne des Wortes „benutzt“ worden, nämlich dazu, dem großen Zauberer und seiner Truppe die Kasse zu füllen und zum Wohlleben zu verhelfen.

      Sie hatten bei Kaliban durch eine harte Schule gehen müssen, obwohl der Begriff „Schule“ hier unangebracht ist. Er hatte sie nämlich unter anderem darin unterrichtet, wie man mit spitzen, langen und schnellen Fingern Kleider- und Hosentaschen entleert und darüber hinwegzusehen hat, daß man eine ungesetzliche Eigentumsveränderung vornimmt. Denn anfangs hatten sie sich gesträubt, in die Taschen fremder Menschen zu langen. Da hatte er sie die Knute spüren lassen. Oder – fast noch drastischer – er hatte sie auf eine Hungerration gesetzt.

      Diese kleinen Kerle hatten gelernt, sich durchzubeißen. Eins war Kaliban nicht gelungen, sie nämlich zu verderben. Um zu überleben, hatten sie sich angepaßt. Aber sie waren entschlossen gewesen, eines Tages, wenn sie älter waren, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

      Kaliban hatte ihnen weismachen wollen, ihr Vater zu sein. Auch das war ihm nicht gelungen. Sie hatten lediglich Respekt vor seiner harten Hand – das war ihre einzige Beziehung zu ihm, und die war von einer Sohn-Vater-Liebe weit entfernt.

      Außerdem: Kinder sahen ihren Eltern zumeist irgendwie ähnlich, aber daß sie von diesem Zickenbart mit dem Habichtgesicht abstammen sollten, das wollte ihnen nicht in den Kopf. Es wurmte sie sogar. Sie hatten sich damals oft gefragt, woher sie die blauen Augen hatten – im Gegensatz zu den verschlagenen, dunklen Augen Kalibans. Die Antwort war ihre Begegnung mit ihrem wirklichen Vater gewesen. Vor zehn Jahren.

      Damals hatte die Gauklertruppe ein großes Zelt mit einer Bühne und vielen Requisiten gehabt, und wenn sie von einem Ort zum anderen gezogen waren, hatten sie eine kleine Karawane gebildet.

      Gab es das alles nicht mehr?

      Fatima hatten sie sofort erkannt, allerdings eine Fatima, die sie niemals als „Blume“ ansprechen würden. Sie war damals schlanker und hübscher gewesen. Heute wirkte sie schlampig und heruntergekommen. Ihre Figur war auseinandergegangen. Was Mac an ihr fand, war den beiden Junioren ein Rätsel. Außerdem tanzte sie geradezu ordinär, was jedoch von der Mehrzahl der Kerle begrüßt wurde.

      Im Bauchnabel hatte sie tatsächlich einen Rubin, da war Mac scharfäugiger als Granddad gewesen. Von einer Kirsche konnte überhaupt keine Rede sein. Na ja, und so spitzbusig war sie nun auch wieder nicht. Sie hatte zwar eine Menge zu zeigen, aber damals war das alles straffer und knackiger gewesen.

      Am Rand der Plattform saß Batula und beklopfte das Tamburin. Batula war damals der Feuerschlucker in der Truppe gewesen. Offenbar hatte er den Beruf gewechselt. Das Zupfinstrument bediente Kiki, der Liliputaner mit dem Kretingesicht. Hinterher sammelte er laut Macs und Old Donegals Aussage das Geld ein. Auch er schien einen Berufswechsel vorgenommen zu haben. Früher war er als Männchen mit den Gliedmaßen aus Gummi aufgetreten, hatte sie verbogen und verdreht oder war herumgehüpft und hatte Saltos geschlagen. Auch auf dem Seil war er spazierengegangen wie Hasard und Philip.

      Unübersehbar als mächtige Muskelkolosse ragten Baobab und Mehmed Bulba hinter der Plattform auf, die beiden riesigen Gorillas, die Ketten sprengten, Eisenstangen verbogen oder für Schaukämpfe zuständig waren. Jetzt schienen sie weiter nichts als Aufpasser zu sein. Und vermutlich gingen sie Kiki „zur Hand“, wenn sich einer der Schaulustigen vorm Berappen drücken wollte.

      Kaliban hätten Hasard und Philip nicht auf Anhieb erkannt. Er hatte früher fast nur einen spitzen und hohen Hut, eine Art Tüte, auf dem Kopf getragen. An der Tüte hatten funkelnde Metallplättchen geklimpert und geklirrt. Für die beiden Jungen war das damals ein gewohnter Anblick gewesen – und so existierte Kaliban in ihrer Erinnerung.

      Aber jetzt trug er einen gewöhnlichen Turban, und sein Ziegenbart war grau geworden, etwas kürzer und zerfranster. Er hielt sich auch nicht sehr gerade und mimte auf alter Mann, denn er benutzte einen Krückstock.

      Im übrigen befand er sich mitten zwischen den Schaulustigen, von denen er sich mit Turban und Burnus in nichts unterschied.

      Wenn er damals aus seiner Tüte Tauben gezaubert oder sonstige Zauberkunststückchen vorgeführt hatte, so war auch das ein ferner Traum oder eine Fata Morgana. Hier jedenfalls widmete er sich mit Eifer und Fleiß jener verabscheuungswürdigen Tätigkeit, die darin besteht, in fremde Taschen zu langen.

      Gelernt war gelernt. Er tat es mit jener Unverfrorenheit und Geschicklichkeit, die nun einmal den guten Taschendieb auszeichnen. Er hatte sich einmal in eitler Selbstgefälligkeit als den „König der Taschendiebe“ bezeichnet, und das stimmte wahrscheinlich, denn Hasard und Philip konnten sich nicht erinnern, daß er ein einziges Mal erwischt worden wäre.

      Aus Erzählungen der anderen in der Truppe wußten Hasard und Philip, daß Kaliban der Sohn eines Taschenspielers und Beutelschneiders war. Er war bei seinem Vater schon als Knirps in die Lehre gegangen. Allerdings hatte man den Vater in Beirut um Haupteslänge verkürzt, nachdem er dreimal hintereinander als Taschendieb entlarvt worden war. Das hatte Kaliban noch vorsichtiger werden lassen.

      Weil Taschendiebe geschickt mit den Fingern sind, hatte Kaliban dann das Nützliche mit dem Praktischen verbunden


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