Seewölfe Paket 29. Roy Palmer
wie als Taschendieb.
Und noch drei Langfinger waren am Werk – Achmed Ali, der Messerwerfer, Muzaffer, der Jongleur, und der fischige Hassan, der seinerzeit so eine Art Mädchen für alles gewesen war. Mit ihm hatten die Zwillinge damals in ständiger Fehde gelegen. Er hatte sie herumkommandiert beim Zeltauf- und -abbau, beim Packen der Requisiten, beim Bekochen der Truppe, beim Holzsammeln, bei der Versorgung der Tiere, beim Putzen von Gemüse – kurz bei allem, was den Tagesablauf der Gauklertruppe irgendwie betraf.
Sie waren Handlanger, Putzer und Laufburschen gewesen, und der fischige Hassan hatte sie beaufsichtigt. Und er hatte jede Gelegenheit wahrgenommen, ihnen die Ohren langzuziehen, sie zu piesacken und zu verdreschen.
Ihn entdeckten Hasard und Philip ganz zuletzt, und da beklaute er gerade einen alten blinden Mann, der am Straßenrand saß, bettelte und vier oder fünf Münzen in dem Fez zwischen den Beinen hatte, der ihm als Almosenschale diente.
Der fischige Hassan klaute die Münzen aus dem Fez und durchforschte anschließend die Taschen des Blinden, wo er jedoch bis auf einen Kanten Brot nicht weiter fündig wurde. Das Brot warf er achtlos in die Gosse, wo es von einem streunenden Hund aufgeschnappt wurde.
„Dieser dreckige, hundsgemeine Bastard“, knurrte Philip zwischen den Zähnen, „dem schlag ich die. Fischklüsen dicht!“
„Ruhig Blut, Phil“, mahnte Bruder Hasard, „ich glaube, er hat uns entdeckt und wird sich bei uns anpirschen!“
Tatsächlich wilderte der fischige Hassan am Rande des Geschehens und außerhalb des Zuschauerrings um die Plattform.
Hasard und Philip schlugen die Kragen ihrer Gewänder hoch und zogen sich die Turbane über die Augen.
3.
Der fischige Hassan – von den Junioren so wegen seiner kalten Fischaugen genannt – schlich sich von hinten an und blieb hinter Hasard stehen.
Philip stand rechts von seinem Bruder. Als er aus dem linken Augenwinkel sah, daß Hassans rechte Hand im Gewand Hasards verschwand, fuhr er wie der Blitz um einhundertachtzig Grad nach rechts herum, den rechten Arm in Gesichtshöhe angewinkelt, die Hand straff ausgestreckt.
Aus der Bewegung heraus landete er einen kurzen Handkantenschlag am Hals Hassans. Der schnaufte kurz, verdrehte die Augen und sackte in sich zusammen.
Noch bevor er ganz zu Boden ging, unterfingen sie ihn geschickt links und rechts und marschierten mit ihm ab. Er hing in ihrer Mitte wie ein Betrunkener, dessen Füße nicht mehr so recht wollen. Es fiel überhaupt nicht auf. Ein paar Leute, die sie passierten, grinsten verständnisinnig.
Einer sagte auf türkisch: „Total besoffen, was?“
„Bis unter die Haare“, erwiderte Philip in derselben Sprache, die sie von kleinauf gelernt hatten und genausogut beherrschten wie die arabische und englische Sprache – nicht zu vergessen die spanische. Sie hatten immer gut gelernt, diese beiden Killigrew-Söhne. Sie hatten lernen wollen, das war’s.
Auch den Nahkampf hatten sie gelernt, jenen mit Fäusten und Handkanten – samt der Schläge auf gewisse empfindliche Körperteile, die zu zeitweiligen Bewußtseinsstörungen oder Lähmungen führen. In der Kunst der Selbstverteidigung war Dan O’Flynn ihr Lehrmeister gewesen, der wiederum bei den Mönchen auf Formosa der beste Schüler gewesen war.
Oh, was hatten sie alles in ihren siebzehn Lebensjahren gelernt! Ja, sicher, auch die Taschenspielerkünste eines Kaliban, aber genauso – und das viel eifriger – die Seemannschaft von der Pike auf, den Umgang mit den Waffen, die Kunst, auf gefährliche Situationen richtig und schnell zu reagieren.
Sie waren jung – und doch schon mit allen Wassern gewaschen.
Im Handumdrehen verfrachteten sie den fischigen Hassan ohne viel Aufsehen hinter ein verfallenes Gemäuer am Hafen. Dort empfing dieser Mensch, der sich nicht scheute, einen alten blinden Mann zu bestehlen, noch eine kräftige Kopfnuß, die dafür garantierte, daß er noch für längere Zeit im Land der Träume verweilen würde.
Als dann förderten sie zutage, was dieser Hundesohn alles an diesem Tage bereits vereinnahmt hatte. Es war in einem ledernen Sack versammelt, den der Fischäugige unter seinem Gewand vorm Bauch verzurrt hatte.
Er mußte schon tagsüber bei den Basaren gewildert haben, denn außer den Münzen befanden sich unter dem Diebesgut Ketten, Ringe, Broschen und sogar zwei Diamanten nicht unbeträchtlicher Größe sowie einige Edelsteine. Vielleicht stammte der Rubin im Bauchnabel der Fatima sogar aus einem dieser Raubzüge.
Vom rechten Bein des Fischäugigen schnallten die Junioren mit grimmiger Miene eine Lederscheide mit einem Stilett ab. Und unter der linken Achsel am linken Unterarm fanden sie ein Wurfmesser, das wie das Stilett in einer Lederscheide steckte und mit Lederriemchen am Oberarm festgebunden war.
„Mann-Mann“, murmelte Hasard, „das ist doch nicht zu fassen.“ Er starrte auf den Ledersack und die beiden Scheiden mit den Messern. „Was sollen wir mit dem Zeug, verdammt noch mal?“
„Vereinnahmen“, sagte Philip lakonisch, „das heißt, dem Blinden packen wir davon einiges in den Fez.“ Er richtete sich auf und spähte über das Gemäuer. „Bis jetzt hat keiner was gemerkt“, sagte er über die Schulter. „Ah, Fatima hat mit ihrem Bauchgewackel aufgehört, Kiki kassiert jetzt … He! Was soll das denn? Schau dir das an, Hasard!“
Hasard glitt hoch und neben den Bruder. Und da sah er es.
Es war eine Wiederholung dessen, was Mac und Old Donegal berichtet hatten.
Kiki beschimpfte einen Mann, der verdattert dastand und seine Taschen umkrempelte. Und Baobab, der Riesengorilla, walzte heran und baute sich vor dem Mann auf. Der schüttelte den Kopf und beteuerte offenbar, er wolle ja gerne zahlen, und er habe auch Geld bei sich gehabt, aber das sei verschwunden, wie aus seinen leeren Taschen hervorgehe.
Hasard und Philip konnten zwar aus der Entfernung zu dem Mann nicht verstehen, was er genau sagte, aber aus seinen Gesten war deutlich zu erkennen, was er meinte.
Und was tat der Riesengorilla?
Der langte sich den Mann, klopfte ihn durch – aber wie! – und warf ihn mal eben so durch die Gegend. Was er dabei brüllte, war nun wiederum bis zu den beiden Junioren deutlich zu verstehen, Baobab hatte eine sehr laute Stimme.
Er brüllte: „Faule Ausrede! Hier wird nicht gestohlen! Dafür passen wir auf. Aber du willst Fatima beglotzen und dich dann davor drücken, dafür zu bezahlen!“
Erstaunliches passierte.
Eingeschüchtert von dieser Gewaltdemonstration, beeilten sich die Schaulustigen, schleunigst ihren Obolus an den grinsenden Liliputaner zu entrichten. Auch Batula, der Tamburintrommler, war am Einsammeln. Und von nun an wurde von den Gauklern großzügig übersehen, daß sich einige davon stahlen, nämlich jene, die inzwischen festgestellt hatten, daß auch ihre Taschen leer waren.
Bei den Gauklern – so man sie als solche überhaupt noch bezeichnen konnte – rollte der Rubel, wie man in Rußland zu sagen pflegt. Hier waren es Piasterchen, Altiliks, Beschliks und Paras.
Es klingelte Münzen – und das für eine Darbietung, die aus nichts weiter als ein bißchen Bauchwackeln bestand. Früher hatte Fatima Schleiertänze aufgeführt und war am Schluß bar aller Hüllen von der Bühne gehüpft, allerdings mit dem Rücken zum Publikum. Sie hatte nur ihren Popo gezeigt. Die Zeiten waren vorbei.
Kalibans Gauklertruppe hatte sich in eine Gilde von Langfingern verwandelt.
Hasard und Philip waren erbost, und die Galle stieg ihnen hoch. Sie durchschauten das üble Spiel, das hier betrieben wurde. Früher zu ihrer Zeit wurde dem Publikum immerhin etwas geboten. Kaliban hatte ein buntes Programm aufgebaut, und jedes Mitglied der Truppe war mit seiner Darbietung sehenswert gewesen. Man hatte ehrliche Arbeit geleistet, auch wenn zum Beispiel Kalibans Zauberkunststückchen aus faulen Tricks bestanden. Aber die mußte man ja erst einmal erfinden, entwickeln und immer wieder üben bis