Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
„Und wie lange bist du schon hier, Mac?“
„Das müssen jetzt ungefähr vier Monate sein, vielleicht auch etwas länger, man zählt die Tage ja nicht mehr.“
Nein, man zählte die Tage hier nicht mehr, dachte Hasard wie betäubt. Jene, die hier hockten, zählten gar nichts mehr, denn seit sie mit Mac sprachen, hockten die anderen noch genauso apathisch herum wie vor einer Weile. Nichts interessierte sie mehr, sie waren ohne Hoffnung und dachten nicht mehr an morgen.
„Dann sitzt du hier ja noch bis zur nächsten Steinzeit“, sagte Dan.
„Und noch länger wahrscheinlich, weil das ein verdammter Teufelskreis ist. Die Kerle geben einem ja keine Chance zum Arbeiten. Meinetwegen würde ich Müll durch die Gegend kutschieren, aber sie haben Angst, daß man heimlich verschwindet.“
Das sind nun wahrhaftig mehr als trübe Aussichten, überlegte Hasard. Aus dieser Mühle kam Mac Pellew nie wieder heraus. Wer hier einmal gemahlen wurde, von dem blieb nur noch grobes Schrot übrig.
Hasard wechselte mit Dan O’Flynn einen schnellen Blick. Klar, da gab es gar keine Frage. Einen alten Kameraden ließ man nicht im Schuldturm hängen, schon gar nicht unter diesen üblen Umständen. Sie waren sich schon durch diesen Blick einig. Aber davon hatte Mac nichts mitgekriegt.
„Wir haben unser Schiff verloren“, sagte Hasard. „In einem Kanal liegt es unter Sandmassen begraben. Jetzt haben wir uns nach England durchgeschlagen und legen bei Ramsgate ein neues auf. Das soll natürlich größer und besser werden als die alte ‚Isabella‘, aber es dauert noch eine Weile, bis es fertig ist. Wir haben da ein paar Schwierigkeiten.“
Mac Pellew sah den beiden starr in die Augen.
„Wenn ich euch irgendwie helfen kann“, sagte er zaghaft, „dann würde ich es gern tun. Aber wenn ihr schon Schwierigkeiten habt, wo ihr doch eine Crew aus Eisen seid, da kann ich erst recht nichts ausrichten. Was sind denn das für Schwierigkeiten?“
„Ich glaube du hast mehr am Hals als wir, also später davon. Aber eine Frage wollte ich dir stellen, Mac: Wir könnten einen tüchtigen Mann brauchen, einen, der dem Kutscher in der Kombüse zur Hand geht, denn allein schafft der das bald nicht mehr. Wenn du Lust hast, bei uns zu fahren, dann holen wir dich hier raus.“
„He, Mac, gib Antwort“, sagte Dan. „Oder hast du plötzlich die Sprache verloren?“
Mac gab aber immer noch keine Antwort. Er konnte keine geben, weil in seinem Hals ein gewaltig aufgeblähter Frosch hockte, und der strampelte anscheinend auch noch mit den Beinen, denn Macs Adamsapfel war in wilder Bewegung. Es dauerte sehr lange, bis er wieder einigermaßen ruhig sprechen konnte. Dabei stand ihm aber das Wasser immer noch in den Augen.
„Das wollt ihr wirklich tun?“ fragte er ungläubig. „Ich will das Geld ja auch gern abarbeiten, Tag und Nacht, aber dazu brauche ich ein paar Jahre. Aber fahren würde ich gern mit euch.“
„Du kannst ja ein paar Jahre an Bord bleiben“, sagte Hasard. „Und du zahlst es einfach dann zurück, wenn wir den nächsten Don ausgenommen haben. Früher oder später wird das sicher der Fall sein.“
„Mein Gott“, sagte Mac immer wieder, „mein Gott, womit habe ich das nur verdient?“
„Weil du ein ehrlicher Kerl bist“, sagte Hasard. „Du bist unverschuldet in diese Lage geraten. Jedem kann so was passieren, das ist noch lange keine Schande.“
„Wo muß man dich denn auslösen?“ fragte Dan.
„Bei der Kämmerei“, heulte Mac los und schniefte wieder. „Aber es ist doch so verdammt viel Geld.“
„Klar ist es das“, meinte Dan trokken, „sonst würdest du ja auch nicht hier sitzen. Wir sind gleich wieder zurück, Mac.“
Mac Pellew konnte sein Glück nicht fassen. War das nun Schicksal, ein Wunder oder ein Zufall? überlegte er immer wieder. Er blieb stehen, lehnte sich an das Gitter und schämte sich nicht, daß ihm ein paar Tränen über die Bartstoppeln liefen.
In der Kämmerei bezahlte Hasard bei einem mürrischen Burschen sieben Golddublonen und ließ sich eine Quittung geben.
„Ich weiß nicht, ob Sie da ein gutes Geschäft abgeschlossen haben“, sagte der Mann. „Der Kerl sieht doch aus, als sei er keine halbe Dublone wert.“
„Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gefragt“, erwiderte Hasard eisig. „Hier ist das Geld, und dafür kriege ich den Mann. Alles andere geht Sie einen Dreck an. Bringen Sie den Mann jetzt raus.“
Das war kurz und bündig. Der Büttel schluckte, wollte etwas erwidern, sah aber die eisigen Augen und schwieg lieber. Mit dem schwarzhaarigen Riesen war nicht gut Kirschen essen, das sah man auf den ersten Blick. Und der andere neben ihm sah auch so aus, als könne er kein Wort zuviel vertragen.
Also ging er los, um Mac Pellew zu holen. Der stand verlegen vor ihnen und bedankte sich immer wieder, bis Hasard abwinkte.
„Schon gut, Mac, beruhige dich jetzt wieder und hör auf zu flennen. Und vergiß die vier Monate, wenn du kannst.“
„Danke, Sir“, stammelte Mac tief bewegt.
Während sie hinausgingen, sah der Seewolf den ehemaligen Koch der „Marygold“ noch einmal genau an.
„So kannst du nicht herumlaufen, Mac, du siehst furchtbar aus. Hier hast du etwas Geld. Damit gehst du zu dem Bader da drüben, läßt dir die Haare schneiden und dich rasieren. Wenn du das erledigt hast, gehst du zu dem Leineweber, kaufst dir Hose und Hemd und suchst dir danach bei dem Schuster ein Paar Schuhe aus. Anschließend gehst du in die Kneipe am Marktplatz, in den ‚Red Lion‘. Dort warten wir auf dich und bestellen dir inzwischen ein kräftiges Mittagessen. Dann gehen wir an Bord, und du wirst die anderen wiedersehen.“
„Sir, das kann ich nicht …“
Mac Pellew wand sich vor Verlegenheit, bis Hasard ihn durchdringend ansah.
„Willst du gleich am ersten Tag meutern, Mac?“
„Nein, Sir, aye, aye!“ brüllte Mac, und weg war er.
„Der fühlt sich bestimmt wie neugeboren“, sagte Dan. „Muß schon ein verdammt lausiges Gefühl für den guten Mac gewesen sein. Und den Bauch kann er sich bestimmt auch seit sehr langer Zeit wieder mal richtig vollschlagen.“
„Bin gespannt, was die anderen sagen“, meinte Hasard.
„Die nehmen ihn sicher mit offenen Armen auf“, erklärte Dan. „Sogar mein Alter wird erfreut sein, wenn er die Geschichte hört. Aber ich glaube, er kennt Mac gar nicht. Aber für den Kutscher ist er ganz sicher eine große Hilfe.“
Vor dem „Red Lion“ standen zwei Pferdefuhrwerke. Die Gäule ließen die Köpfe hängen und standen da wie angenagelt. Den beiden Kutschern in der Kneipe ging es nicht viel anders. Sie hatten Humpen mit Dünnbier vor sich stehen und starrten auf die Platte. Nach ihrem stumpfen Blick zu urteilen, waren es schon etliche Humpen.
Hasard bestellte beim eilfertig heranwieselnden Wirt drei kräftige Mahlzeiten, dazu ebenfalls kühles Dünnbier, das der Wirt aus dem Keller holte. Die drei Mahlzeiten für zwei Personen gaben dem Wirt zwar anfangs ein Rätsel auf, doch später begriff er.
Es war, als hätte Mac es gerochen. Kaum stand das Essen auf dem Tisch, erschien er, und diesmal grinste der alte Sauertopf bis über beide Ohren.
Hasard und Dan blickten ihn lange an.
Mac war frisch rasiert, gebadet, hatte die Haare geschnitten, trug ein sauberes Leinenhemd und eine Leinenhose. Dazu hatte er sich ein Paar derbe Lederschuhe gekauft. Sie kannten ihn kaum wieder, so sauber und glatt sah er aus.
„Mann, bist du ein feiner Kerl geworden“, lästerte Dan, um nicht wieder in Macs Danksagungen ersticken zu müssen. „Frisch geplättet, frisch rasiert und keine einzige Laus im Gesicht.“
Mac grinste noch immer, das war bei ihm zwar reichlich ungewöhnlich,