Seewölfe - Piraten der Weltmeere 244. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 244 - Roy Palmer


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Sir“, erwiderte der Profos ein wenig verlegen. „Und die Achterlaterne zünden wir wohl auch nicht an, oder?“

      „Sehr richtig.“

      Carberry fuhr wieder zu den Männern auf der Kuhl herum. „Kein Licht anzünden, ihr Himmelhunde!“ zischte er. „Und daß mir ja keiner das Maul zu weit aufreißt, sonst raucht es im Schapp.“

      Blacky, Batuti, Matt Davies und Luke Morgan hatten die Jolle der Steuerbordseite von ihrer Segeltuchhülle und den Zurrings befreit, jetzt begannen sie, sie vom Deck hochzuhieven, außenbords zu schwenken und in Lee abzufieren. Der Rest der Deckswache geite die Segel auf. Rasch verlor die Galeone an Fahrt, und als sie schließlich beigedreht in der See lag, ließ der Seewolf die Jakobsleiter ausbringen und kletterte mit Shane, Ferris, Blacky und Dan in das Boot hinunter.

      Stille herrschte jetzt, unterbrochen nur vom Knarren der Blöcke und Rahen und dem Plätschern des Wassers an den Bordwänden.

      Hasards Vorsicht war begründet. Falls es sich bei den Verfolgern tatsächlich um Lord Henry und Selim handelte, dann waren diese bestimmt hartnäckig genug, die Suche auch in der Nacht fortzusetzen. Vielleicht schoben sie sich näher und näher heran, während die „Isabella“ wegen der Tartane Zeit verlor. Und ein winziger Lichtschimmer oder ein zu laut gesprochenes Wort konnte die Position der Seewölfe verraten.

      Hasard nahm als Bootsführer auf der Heckducht der Jolle Platz und griff nach der Ruderpinne. Ferris drückte das Boot mit Hilfe eines Bootshakens von der Bordwand der „Isabella“ ab, dann nahm auch er auf einer Ducht Platz und begann zusammen mit Shane, Blacky und Dan zu pullen.

      Rasch war die Jolle bei der sanft im Wasser dümpelnden Tartane angelangt. Sie ging längsseits, und Hasard richtete sich von seinem Sitzplatz auf, um einen Blick ins Innere des Einmasters zu werfen. Er glaubte, unter den Duchten eine Gestalt zu erkennen, und schlug alle Warnungen und Ratschläge Old O’Flynns in den Wind – er enterte die Tartane und beugte sich mit besorgter Miene über den Mann, dessen verwittertes Gesicht er jetzt erkennen konnte.

      Seine vier Männer blickten zu ihm hinüber, sie hatten die liegende, reglose Gestalt ebenfalls entdeckt.

      „Ist er tot?“ fragte Shane.

      Hasard hatte an der Brust des alten Mannes gelauscht und nach dessen Pulsschlag gesucht. Jetzt erhob er sich und antwortete: „Nein. Er lebt noch. Man hat ihn übel zugerichtet, aber vielleicht können wir ihn noch retten. Los, bringen wir ihn an Bord der ‚Isabella‘.“

      2.

      Vorsichtig betteten sie den Fremden auf den Boden der Jolle, dann nahmen sie die Tartane in Schlepp und kehrten zur „Isabella“ zurück. Hasard lud sich den Bewußtlosen auf die Schulter und kletterte an der Jakobsleiter hoch. Shane, Ferris, Dan und Blacky brachten die Tartane zum Heck des Schiffs und vertäuten sie dort.

      Die Zeit, die sie dadurch verloren, verstrich an Bord der „Isabella“ mit dem Unterbringen des verletzten, ohnmächtigen Mannes in einer Kammer des Achterkastells. Der Seewolf brauchte den Kutscher, seinen Koch und Feldscher, nicht rufen zu lassen, der Kutscher befand sich bereits im Anmarsch.

      Er untersuchte den alten Mann eingehend, dann schaute er auf und drehte sich zu Hasard und den anderen Männern um, die sich in der Kammer eingefunden hatten.

      „Man hat mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen“, sagte er. „Und ich glaube, er hat auch einen Herzanfall erlitten. Es ist ziemlich schlimm um ihn bestellt, aber ich werde für ihn tun, was in meinen Kräften steht.“

      „Das wird ihm nicht mehr viel nutzen“, brummte der alte O’Flynn. „So, wie er traktiert worden ist, hat er nicht mehr lange zu leben.“

      „Trotzdem versuche ich, ihn durchzubringen“, sagte der Kutscher mit beinah störrischer Miene.

      „Seiner Kleidung nach könnte er ein Fischer sein“, sagte der Seewolf. „Jedenfalls bestimmt kein reicher Mann. Warum ist man über ihn hergefallen?“

      „Blutrache vielleicht“, meinte Smoky. „Die gibt es doch sicherlich auch auf Zypern.“

      „Bestimmt“, sagte Ben Brighton. „Hoffentlich erfahren wir noch von ihm, was der Grund für diese Tat war.“

      „Das hoffe ich auch“, sagte Hasard. „Was mich wundert, ist, daß er sich mit seiner Tartane so weit auf die offene See hinausgewagt hat. Wir befinden uns noch gut vierzig Meilen von Zypern entfernt. Auf diese Entfernung segelt doch normalerweise kein Fischerboot hinaus.“

      „Er gibt uns also ein Rätsel auf.“ Smoky betrachtete den Alten nachdenklich im Schein der Öllampe, die Hasard in der nach außen hin gut abgeblendeten Kammer entfacht hatte.

      „Ich sage, er bringt uns bloß Unglück“, erklärte Old O’Flynn. „Sein Fluch schwebt schon über der ‚Isabella‘.“

      Der Seewolf wandte sich ihm zu. „Donegal, jetzt hör aber auf. Wolltest du den armen Teufel etwa in seinem Boot verrecken lassen? Wäre dir das lieber gewesen?“

      „Das habe ich nicht gesagt. Ich behaupte nur, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmt. Ihr werdet noch an meine Worte denken.“

      Damit ging er hinaus.

      Im Hereinbrechen der Dunkelheit briste es auf. Frischer blies jetzt der Wind aus Nordwesten. Während die Männer der „Isabella“ noch mit dem Vertäuen der Tartane am Heck und dem anschließenden Hochhieven der Jolle beschäftigt waren, nahmen die beiden Schiffe, die auf unverändertem Kurs von Norden heransegelten, mehr Fahrt auf.

      Immer schneller schoben sie sich nach Süden, bald mit sieben, dann mit fast acht Knoten Geschwindigkeit. Wäre es noch Tag gewesen, hätten die Seewölfe ihre Verfolger wieder sichten können – erst nur die hinter der Kimm auftauchenden Mastspitzen, dann die komplette Takelage, dann auch die Rümpfe, deren Bugpartien imposante Wellenberge vor sich her schoben.

      Hasards Vermutungen hätten sich mit einem Schlag bestätigt: Tatsächlich waren es die Galeone „Cruel Jane“ von Lord Henry und Selims Schebecke „Grinta“, die sich auf diese Hetzjagd durch das Mittelmeer begeben hatten. Henrys Ausguck Codfish hatte die „Isabella“ gegen Mittag an der südlichen Kimm entdeckt und anhand ihrer Flögel und des White Ensign, der im Großtopp flatterte, sehr wohl identifiziert.

      Seitdem gab es für Lord Henry nichts anderes mehr als den Gedanken an Philip Hasard Killigrew und an die blutige Rache, die er diesem Mann geschworen hatte. Erbarmungslos knüppelte Henry seine Dreimastgaleone voran, so daß selbst die schnelle und wendige Schebecke kaum noch mithalten konnte.

      Wie der Seewolf vermieden es auch Lord Henry und Selim, Laternen auf den Oberdecks ihrer Schiffe anzuzünden. Es hatte deswegen keiner langen Absprachen bedurft. Selim, der Türke, war selbst ein ausgefuchster und erfahrener Schnapphahn zur See, er wußte, auf was zu achten war.

      Wäre es noch hell gewesen, hätten die Männer der „Isabella“ jetzt ohne Zuhilfenahme ihrer Fernrohre den nahenden Gegner erkennen können, und auch umgekehrt hätten Henry und Selim ihren erklärten Todfeind in aller Deutlichkeit vor sich gesehen – etwas weiter nach Backbord versetzt zwar als angenommen, jedoch schon so nah, daß man mit dem Ausrennen der Geschütze beginnen konnte.

      Doch die Schatten der Nacht waren gefallen, und die schmale Sichel des abnehmenden Mondes konnte die Finsternis nicht erhellen.

      Lord Henry stand auf dem vorderen Bereich des Achterdecks der „Cruel Jane“ und grübelte darüber nach, ob sich die Nacht wohl als sein Verbündeter erweisen würde – oder als Hindernis, das sich zwischen ihn und die „Isabella“ schob und es dem Seewolf gestattete, wieder einmal spurlos zu verschwinden.

      Eine Gestalt näherte sich vom Backbordniedergang, der das Achterdeck mit der Kuhl verband. Dalida erschien, trat mit leisen Schritten auf ihn zu, verharrte neben ihm und griff nach seinem Arm. Sie versuchte, sich an ihn zu schmiegen, doch er wies sie zurück.

      „Laß das“, sagte er schroff. „Du weißt, daß ich dagegen bin. Die Männer würden


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