Seewölfe - Piraten der Weltmeere 254. John Curtis
Krachen waren zu hören. Dazwischen erklang Gebrüll, das sie fast taub werden ließ. Dann herrschte ganz plötzlich Ruhe. Ein paar Sekunden später schrien wieder Stimmen durcheinander.
Hasard und Philip waren den Männern nach vorn gefolgt. Die Zwillinge glaubten, eine Horde wilder Teufel befände sich da unten oder Dämonen der Hölle, wie der alte O’Flynn behauptet hatte. Alle beide blieben lauschend stehen.
Das Geschrei verstummte wieder, dann sprach eine Stimme, die zweifellos dem Nubier gehörte. Ein wenig panische Angst sprach aus der Stimme, aber auch verhaltene Wut.
Die Zwillinge sahen sich entsetzt an.
„Hast du auch verstanden, was ich verstanden habe?“ fragte Hasard seinen Bruder.
„Ja, genau“, sagte Philip stotternd.
Carberry sah die beiden drohend an.
„Wollt ihr Würstchen uns vielleicht freundlicherweise an euren Erkenntnissen teilhaben lassen?“ fragte er. „Was, zum Teufel, habt ihr also verstanden, was, wie?“
„Sie haben einen Toten“, sagte Hasard junior ächzend. „Und deshalb wollen sie raus.“
„Ja, das stimmt, so hat sich der Nubier ausgedrückt“, sagte Philip leicht beklommen.
„Verdammt, dann ist der Mann erstickt“, murmelte der Profos. „Wie ich schon fast vermutet habe. Das hat uns gerade noch gefehlt.“
„Deshalb dieser nervtötende Krach“, sagte Matt Davies. „Die sind alle zusammen auf die Gräting gesprungen, und das hörte sich so an, als sei das ganze …“
Carberry hörte nicht mehr zu. Gefolgt von Shane, Batuti und Smoky lief er zum Schott der Piek und fummelte an der schweren schmiedeeisernen Verriegelung.
Dabei drehte er sich um und rief dem Deckältesten über die Schulter zu: „Gut aufpassen, Smoky, und ihr anderen auch!“
Dann schob er den Riegel zurück und blickte in die Finsternis. Eine Sekunde lang drang ihm erbärmlicher Gestank in die Nase, und er hielt unwillkürlich die Luft an.
Er hielt sie auch gleich weiterhin an, denn kaum hatte sich das Schott geöffnet, erhielt auch der gewiefte Profos seine Lehre. Es ging alles so blitzschnell, daß er nicht mehr denken konnte.
Auf seinem Schädel landete krachend und splitternd ein grober Holzprügel, der in Bruchstücken nach allen Seiten davonflog.
Bevor er noch die Hand schützend hochheben konnte, knallte ein zweiter, ebenso harter Prügel auf seinen Schädel. Eine brüllende, tobende, um sich schlagende und drängende Masse begrub ihn unter sich und trampelte auf ihm herum.
Innerhalb einer Sekunde hatten sich ein Dutzend Kerle durch das Schott gequetscht und hieben voller Wut auf alles ein, was in ihrer unmittelbaren Nähe stand.
Big Old Shane stand zwar noch wie ein Fels in der Brandung, aber auch er war dem Ansturm von zwölf um sich schlagenden und verzweifelt kämpfenden Männern nicht gewachsen. Er wurde überrollt, niedergetrampelt, und damit war das Chaos auch schon fast perfekt.
Smoky schlug einmal in einer sensenden Bewegung mit der Spillspake zu und traf einen Wollschädel. Dann droschen ihm Fäuste ins Gesicht, ein harter Schlag lähmte seine Schulter, und in seinem Kopf explodierte ein Fäßchen Schießpulver.
Überganslos befand sich eine brüllende tobende, kreischende und bis zum Äußersten entschlossene Horde Grabräuber an Deck.
Ben Brighton hielt den Radschloßdrehling in der Faust, konnte aber nicht schießen, ohne Gefahr zu laufen, einen der eigenen Leute zu treffen.
Die Grabräuber kämpften, allen voran der riesige Nubier, mit einer beängstigend fanatischen Besessenheit, denn jetzt hatten sie absolut nichts mehr zu verlieren. Was ihnen in den Minen und Bergwerken bevorstand, das hatte Halef ihnen in aller Deutlichkeit und sehr drastisch geschildert. Hier dagegen erwartete sie ein kurzer, aber harter Kampf, so glaubten sie, und dann hatten sie ihre Freiheit wieder.
Selbst Hasard hatte nicht mit dieser fanatischen Entschlossenheit gerechnet, und er wunderte sich sekundenlang, daß die Kerle alle mit Holzprügeln bewaffnet waren.
Dann sah er es und fand auch eine Erklärung für den unglaublichen Krach in der Vorpiek. Die Kerle hatten mindestens zwei der großen Wasserfässer zertrümmert und benutzten die langen Faßdauben jetzt als Waffen, wie die Seewölfe meist auch nach Spaken oder Belegnägeln griffen, wenn eine Holzerei begann.
Hasard konnte das Achterdeck nicht verlassen. Es war auch nicht nötig, denn seine Männer hatten das Überraschungsmoment verdaut, und jetzt begann an Deck wieder mal ein Tänzchen, das für beide Seiten an Härte nichts zu wünschen übrigließ.
Carberry erschien wie ein Rachegott. Sein Zorn war mindestens so groß wie die Beule, die auf seinem Schädel prangte. Er sah so wild und grimmig aus, daß einer der Grabräuber bei seinem bloßen Anblick mit einem Schrei des Entsetzens flüchtete.
Seine Stimme klang so laut vor Wut, daß auch der Nubier Halef zusammenzuckte und erschreckt herumfuhr.
„Ihr lausigen Mumienklauer!“ röhrte er. „Jetzt wird euch der alte Carberry zu den Pharaonen fiedeln, ihr Hundemusikanten!“
Ein Kerl sprang ihn an, aber Carberry konnte es nicht unterlassen, selbst in extremen Situationen weiter seine Sprüche abzulassen, um sich Luft zu verschaffen.
Er schlang dem Kerl die Peitsche um den Hals, drückte zu, hob ihn an und ließ ihn schlaff auf die Planken zurückfallen.
Stenmark, der blonde Schwede, räumte unter den Kerlen auf. Matt Davies zog einen an der Hakenprothese heran, Dan O’Flynn unterlief einen Gegner, drückte ihm den Schädel in den Magen und setzte ihn gegen den Fockmast, daß Gary Andrews im Mars glaubte, der Fockmast würde jetzt nach vorn auf das Deck stürzten.
Der Kutscher, ein schmalbrüstiger, aber von See, Wind und Wetter hart gewordener Knochen, scheute sich keinesfalls, hin und wieder seine bei Sir Freemont genossene Bildung wie ein altes Hemd über Bord zu werfen.
Als der Kampf an ihm vorbeitobte – Bob Grey war gerade mit einem Grabräuber im Zweikampf –, schob der Kutscher mit dem Hintern Bob Grey einfach zur Seite. Dann ergriff er den Kübel mit dem heißen Hirsebrei und stülpte ihn dem Grabräuber über den Schädel. Damit aber nicht genug. Damit es auch schön dröhnte, schlug er mit einem Belegnagel noch einmal auf den Kübel. Es hörte sich an, als hätten zehn Kriegsschiffe der Royal Navy gleichzeitig geglast.
„Ho, der Wikinger ist wieder da!“ schrie der Hitzkopf Luke Morgan begeistert, weil der Grabräuber einen ähnlichen, nur etwas größeren Helm trug, aus dem der Brei nach allen Seiten tropfte. Auch er bolzte mit der Faust noch einmal kräftig drauf, dann drehte er sich um und nahm einen neuen Gegner an.
Für die Grabräuber war nichts zu gewinnen, das erkannte als erster der Nubier Halef. Diese Giaurs kämpften nicht nur wie Allahs wilde Heerscharen, sie schienen an der Prügelei auch noch eine satanische Freude zu haben. Keiner dieser elenden Christenhunde hatte eine Waffe abgefeuert oder ein Messer in der Hand, sie kämpften mit den Fäusten oder mit Holzprügeln und mähten einen nach dem anderen auf die Planken. Ja, sie machten sich auch noch über sie lustig, so wie dieser unheimliche Kerl mit den Narben im Gesicht, dem er die Faßdaube über den Schädel gehauen hatte.
Der hatte eine total entnervende Art an sich, immer Tänzchen aufzuführen, und er kannte sich in der oberägyptischen Folklore auch hervorragend aus. Nur blieben seine Tanzpartner anschließend immer auf der Strecke vor Erschöpfung.
Jetzt sah der Nubier entsetzt, wie er seinen Kumpan Habu am Kragen hatte, ihm die Djelaba im Genick zusammendrehte und ihn ein paarmal um seine Achse drehte, bis Habu nicht mehr wußte, ob der Nil unten oder oben war.
Er sah ihn wie eine Kanonenkugel durch die Luft fliegen und seinen Körper im Geiste am Mast zersplittern. Aber dicht vor dem Mast stand noch eine Wand mit roten Haaren, und aus dieser Wand zuckte eine mächtige schwielige Faust heraus, um Habus Sturz zu bremsen.
Ferris Tucker hatte wieder einmal