Ursian und die unsichtbare Unterwelt. Ursina Schmid

Ursian und die unsichtbare Unterwelt - Ursina Schmid


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schlage ich die Seite auf, auf der ich zuletzt gelesen hatte. Doch auf einmal höre ich ein kratzendes Geräusch an meiner Tür. ›Ach, wird bloss eine Katze sein, bei diesem unwirtlichen Wetter wird wohl niemand mehr unterwegs sein‹, sage ich zu mir selbst. Also lehne ich mich erneut zurück und schlage die Seite in meinem Buch auf. Jetzt widme ich mich wieder voll und ganz meinem Buch.

      Da, erneut höre ich ein Geräusch diesmal ist es aber ein lautes Klopfen. ›Was zum T…, oh, Entschuldigung‹, sage ich und werfe einen demütigen Blick nach oben. ›Muss ich wirklich nachschauen?‹ Also lege ich schweren Herzens meine heiss geliebte Wolldecke zur Seite und mache mich auf den Weg zur Tür.

      Da, wieder … das Klopfen wiederholt sich und wird lauter und heftiger, auf einmal läuft mir der kalte Schweiss den Rücken hinunter. Vorsichtshalber schaue ich zuerst durch das kleine Fenster neben der Tür. Ich kann beim besten Willen nichts erkennen. Also schliesse ich sehr langsam die Tür auf. Da! Ich höre dieses Wimmern wieder, langsam macht sich bei mir die Furcht breit. Doch jetzt lasse ich mich nicht mehr aufhalten.

      Mit einem Ruck ziehe ich die Tür schwungvoll auf. Nichts! Einfach nichts ist zu sehen! Schon auf dem Weg, die Tür wieder zu schliessen, wimmert es wieder, diesmal direkt zu meinen Füssen. Als ich nach unten schaue, entdecke ich ein kleines Bündel. Eine etwas fadenscheinige Wolldecke und darin eingewickelt – ich kann es kaum glauben, dass ausgerechnet mir so etwas zustösst. In Büchern habe ich ja schon davon gelesen, aber dass es so etwas wirklich gibt! Und dann noch bei mir, das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen.

      Sofort packe ich das Bündel und lege es behutsam, schon fast ehrfürchtig auf meine grossen starken Arme. Sofort beginnt mein Herz zu klopfen, was mache ich jetzt nur? Also, zuerst muss ich es aufwärmen, bei dieser Kälte draussen, dass hält ja niemand aus. Ich wickle das Bündel sofort aus seiner schäbigen Wolldecke. Ganz erstaunt schaue ich zu dem Bündel hinunter und es verschlägt mir, Romuald Rommel, erstmal die Sprache. Wie angewurzelt stehe ich da und starre auf das von mir Entdeckte hinab.

      Aus grossen Kulleraugen lächelt mir ein kleiner Knabe entgegen, aber schon verzieht er wieder sein winziges Gesicht und beginnt von Neuem zu weinen. ›Na, du kleiner Racker, wirst wohl Hunger haben? Aber zuerst muss ich dich mal richtig aufwärmen.‹ Nicht mal eine Windel hat der kleine Knabe an. Schnell packe ich meine eigene Wolldecke und wickle den Knaben fest darin ein. Die Decke reibe ich ein bisschen über den kalten Körper. Der Kleine soll es schnell wieder ganz warm haben. Als ich die schwarze fadenscheinige Decke wegstreife, fällt ein winziges Stück Papier zu Boden. Ich, Romuald sehe es, kümmere mich jedoch zuerst um den Jungen. Jetzt kann ich erkennen, dass der Junge lächelt und gähnend fallen ihm vor Erschöpfung die Augenlider zu. Jetzt erst lege ich den Jungen hin, gerade so, dass er ja nicht zu Boden fallen kann. Als ich sicher bin, dass er in Sicherheit ist, hebe ich den kleinen Zettel auf. Darauf steht ganz krakelig und fast unleserlich etwas geschrieben. ›Das muss jetzt warten‹, sage ich mehr zu mir selbst.

      Zuerst will ich mich um den Kleinen kümmern. Danach kümmere ich mich um diesen Zettel und um alles Weitere. Der Knabe hat bereits wieder eine leicht rosige Gesichtsfarbe angenommen und döst friedlich vor sich hin. Wie aus heiterem Himmel schiesst mir der Gedanke durch den Kopf, dass der Junge eben erst vor der Türe niedergelegt wurde. Sofort mache ich kehrt und schiesse wie vom Blitz getroffen aus der Tür, direkt hinaus in die Eiseskälte. Wieder umgekehrt und eine warme Jacke und richtiges Schuhwerk angezogen, renne ich den Weg über den Friedhof hinunter, um die Person, die das Kind hierhergebracht hat, einzuholen. Also eile ich an der Kirche vorbei über den Friedhof bis zum Törchen, das in die Kirchenanlage hineinführt.

      Ich schaue nach rechts, dann nach links. Einfach nach allen Seiten, danach gehe noch ein Stückchen den Weg hinunter, doch nichts, niemand ist zu sehen. Der dicke Nebel erschwert die Sicht gewaltig, ich kann beim besten Willen nichts erkennen. Also mache ich kurzum kehrt und gehe schnurstracks ins Haus zurück. Der kleine Wurm braucht mich jetzt, um alles andere kann ich mich auch noch morgen kümmern.

      Wieder im Pfarrhaus. Der Junge ist eingeschlafen, so kann ich also in Ruhe nachsehen, was auf dem Zettel steht. Ich begebe mich zu meiner Leselampe und halte den Zettel ans Licht.

       Ursian der Bärenstarke

      Ursian der Bärenstarke?? Jetzt wissen wir’s!‹, sage ich zu mir selber. Jetzt kommt aber Leben in meine gefrorenen Glieder. Ich lege Ursian auf weitere warme Wolldecken und reibe ihn damit ab, bis sein kleiner Körper feuerrot ist.

      Dann suche ich alte Tücher, welche ich als Windeln benutze. Ungelenk wickle ich Ursian in diese ein. ›Hunger hast du auch, also wollen wir mal sehen, ob ich noch etwas frische Milch im Haus habe.‹ Mit diesen Worten entschwinde ich in die kleine Küche, schon wieder, am liebsten würde ich einen gottserbärmlichen Fluch ausstossen, aber stattdessen schaue ich nur ehrfürchtig zum Himmel.

      Kurz schaue ich nach dem Kleinen, der vor lauter Hunger angefangen hat zu weinen. Jetzt greife ich sofort zum Telefon und rufe meine Haushälterin Wilhelmina Willibald an.

      ›Ich weiss, es ist etwas spät und eine grauenvolle Nacht, aber ich weiss nicht mehr weiter. Vor allem habe ich keinen Tropfen Milch oder sonst etwas, das für Babys geeignet wäre, im Hause.‹ So schildere ich ihr die Situation.

      Nach diesem Anruf macht sich die Haushälterin schnurstracks auf den Weg, um dem armen Pfarrer in seiner Not beizustehen. Um schneller mit der Milch zum Pfarrhaus zu kommen, macht sich die gute Wilhelmine mit dem alten klapprigen Fahrrad auf den Weg durch das Schneegestöber, sie fährt so schnell sie nur kann.

      Zum Glück kennt sie den Weg wie ihre eigene Hosentasche, denn sonst würde sie sich in dem Schneegestöber nicht mehr zurechtfinden. Ich erwarte sie bereits an der Tür, nehme ihr die Milch ab, um sie sofort für den Kleinen zu erwärmen. Wilhelmine Willibald bleibt über Nacht bei dem Neugeborenen im Gästezimmer, damit ich meine verdiente Ruhe finden kann. Was nicht heisst, dass ich etwa geschlafen hätte, ich konnte kein Auge zu machen, so sehr beschäftigte mich das Schicksal des kleinen Ursian und dessen Mutter und Vater. Ich möchte heute noch gerne wissen, wer dich, Ursian, damals vor meiner Tür abgelegt hat.

      Ja, den Rest der Geschichte kennt ihr ja.« Mit diesen Worten beendet Romuald die Geschichte. »Es ist schon spät, jetzt gehen wir zu Bett.« Die Kinder begeben sich in ihre Zimmer und Pia und Willi schlafen auch gleich ein.

      Anders Ursian. Ursian ist 7 Jahre alt und bereits 160 cm gross. Seine schlanke, starke Statur wird durch die dunkelbraunen, ja fast schwarzen Haare betont. Seine Hände sind der Körpergrösse entsprechend gross und stark. Ursian trägt immer ein rotes Halstuch mit weissen Edelweissen.

      Er denkt darüber nach, was sich heute alles zugetragen hat.

      Ursian und Pia spielen mit ihrem Freund Willi in der alten Dorfkirche. Romuald Rommel, der Pfarrer, hätte bestimmt keine Freude, würde er davon erfahren.

      »Also ich zähle bis 10 und dann komme ich euch suchen«, ruft Willi, so laut, dass es in der Kirche von all den alten Wänden zurück hallt. Etwas mystisch mutet die Stimme von Willi an, wie sie so von den hohen Wänden zurückprallt. Ursian und Pia springen in zwei verschiedene Richtungen, um sich zu verstecken.

      Eine lange Weile sehen sie sich schweigend an, dann suchen sie weiter nach einem geeigneten Versteck.

      Pia ist sehr schnell, sie versteckt sich in dem alten morschen Beichtstuhl. Sie hat Glück, denn kein Ton verrät, dass sie dort ihr Versteck gefunden hat.

      Pia Pippig ist 7 Jahre alt, hat lange blonde Zöpfe, ihre kindliche, für ihr Alter hochgewachsene, schlaksige Statur verrät bereits jetzt, dass sie sich zu einer Schönheit mausern wird. Sie trägt ein Halstuch mit einem Muster, das aus Edelweissen besteht, allerdings ein blaues, sie hat es von Ursian geschenkt bekommen.

      Jetzt bemerkt Pia, dass sie durch den löchrigen Vorhang die gesamte Kirche überblicken kann. Also sieht sie Willi in der Ecke stehen und zählen. Ursian kann sie nirgends sehen, also hat auch er ein Versteck gefunden, denkt sie bei sich. Sie schaut sich weiter um, dabei fällt ihr Blick in den langen Gang der Kirche. Ein langer Schatten zieht sich dort


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