2020 hatte ich anders geplant. Esteban Luis Grieb
ist unbedingt, dass ich zu dieser Zeit – zu meinem Glück – einen PA an der Seite hatte, der auch gern in der Weltgeschichte umherreiste. Ich selbst habe mir vorgenommen, so lange andere Orte zu besuchen, solange ich Lust und Laune dazu habe und solange mein Körper es mich noch einigermaßen tun lässt. Wie heißt es so schön: Wer nicht reist, liest nur eine Seite des Buchs namens Leben.
In diesem Jahr standen für mich mehrere Termine binnen weniger Tage an. Also bastelte ich als reisefreudiger Typ eine Tour zusammen, um alles zusammen wahrzunehmen. Da ich schon immer zum Schloss Neuschwanstein in Süddeutschland wollte, meine Chefin von der Persönlichen Assistenz GmbH in Bregenz am Bodensee ihren 60. Geburtstag feierte und mein jährlicher Aufenthalt in der Uniklinik Innsbruck bevorstand, kombinierte ich mit meinem PA einfach diese Trips bzw. Termine. Ich wollte nichts davon auslassen. Neuschwanstein ist wahrlich ein Märchenschloss, das man auch von weiter weg noch gut betrachten kann, denn es wurde auf einer Erhebung gebaut.
Nach dem Schlossbesuch ging es durch das wunderschöne Allgäu nach Bregenz, wo wir mit meiner Chefin und vielen geladenen Gästen eine Bootsfahrt am Bodensee machten. Sie feierte dort, denn sie stammt ursprünglich aus Vorarlberg und ihre Familie und Freunde leben in Vorarlberg. Am selben Tag ging es noch nach Innsbruck, wo ich wie jedes Jahr eine Visite bei meinen Ärzten abhielt. Es gab leider keine Neuigkeiten vonseiten der Forschung, also hatte ich nur meine üblichen Routinechecks. Viele Betroffene mit der Diagnose Friedreich-Ataxie sind miteinander vernetzt, und wir können uns auch laufend im Internet schlaumachen, wie der Stand der Dinge bezüglich unserer Krankheit ist.
Dann war es endlich so weit, mein erstes Buch erschien, meine Autobiografie. An die sieben Jahre – mit Unterbrechungen, weil ich keine Eile hatte – hatte ich recherchiert und an meinem Lebenslauf geschrieben. Mir war es ein Anliegen, den Mitmenschen, aber auch den Betroffenen selbst zu veranschaulichen, dass man trotz einer seltenen Erkrankung das Leben meistern kann. Durch das Buch wollte ich auch die Krankheit selbst, die Friedreich-Ataxie, etwas bekannter machen.
Meine Autobiografie war jetzt am Markt. Ich holte mit meinem PA persönlich einige Exemplare, sozusagen druckfrisch, im Verlag bzw. in der Buchhandlung Ennsthaler am wunderschönen Steyrer Stadtplatz ab und hatte gleich darauf meinen ersten Bücherstand bei einem Fest der Persönlichen Assistenz GmbH in Linz. Unbeschreiblich das Gefühl, wenn man sein eigenes Werk gedruckt in Händen hält. Es war toll, das Buch dort zu präsentieren.
Etwa vier Wochen später fand meine eigene Buchpräsentation an meiner alten Schule, der Bundeshandelsakademie (HAK) Steyr, statt. Die Veranstaltung hatte ich in einem gemeinsamen Projekt mit einer dritten Klasse der Schule geplant, die Vorbereitungen dauerten etwa ein halbes Jahr. Ich arbeitete mit der Direktorin, einem jungen, engagierten Professor, der die Projektleitung übernommen hatte, und zehn Schülern sehr gut zusammen. Für diese Schüler, die ihre Aufgabe toll meisterten, war dies zugleich eine Abschlussarbeit. Also waren ich bzw. mein Buch Thema für ein Projekt einer Schulklasse. Cooles Gefühl.
Endlich kam er, der lang vorbereitete, durchgeplante Moment! Ich war sehr gespannt, wie viele Leute zu meiner Buchpräsentation kommen würden. Es war ein heißer Sommertag, und es kamen etwa 160 Personen, die an meiner Lebensgeschichte interessiert waren. Es wurde ein sehr schöner, unvergesslicher Abend. Einige Besucher legten sich gleich vor Ort am Büchertisch ein Exemplar meiner Autobiografie zu. Kulinarisch wurden wir mit einem Weltklasse-Eis aus Steyr verwöhnt – dem mehrfach ausgezeichneten Buburuza-Eis vom besten und beliebtesten Eisproduzenten Österreichs.
Kurz darauf standen wieder zwei Trips mit meinem Persönlichen Assistenten an. Wie immer war es mir ein Anliegen und für mich wesentlich, barrierefreie Unterkünfte zu finden. Heutzutage ist dies dank Internet relativ einfach, wenngleich „barrierefrei“ oft sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Nach meiner Erfahrung bezieht sich der Begriff in erster Linie auf den Zugang zum Hotel und dessen Zimmer. Als Rolli-Fahrer sollte man unbedingt spezielle Wünsche und Fragen, wie zum Beispiel nach einer rollstuhlgerechten Dusche und einem WC mit Haltegriffen, extra per Telefonat oder E-Mail abklären.
Der erste der beiden Ausflüge ging, wie schon im Vorjahr, nach Nordrhein-Westfalen, diesmal in die Landeshauptstadt Düsseldorf. Dort fand die Tischtennis-Weltmeisterschaft statt, die ich als Sportfanatiker und ehemaliger Tischtennisspieler unbedingt miterleben wollte. Natürlich habe ich auch meine Freunde in Moers besucht, wenn man schon in der Gegend ist. Es war schön, sie wiederzusehen, wir haben uns bestens unterhalten.
Die Tischtennis-WM war der Hammer. Sie fand am riesigen Messegelände statt und ich konnte viele Top-Spielerinnen und -Spieler antreffen. Unglaublich faszinierend war ein junger Spieler aus Japan, Tomokazu Harimoto, der mit gerade einmal 13 Jahren bei den Herren sehr erfolgreich mitspielte. Er gilt nach wie vor als „Wunderkind“ im Tischtennissport, als Jahrhunderttalent. Es war bemerkenswert und ungewöhnlich, dass ein so junger Mensch bereits mit der Weltspitze mithalten konnte. Natürlich war die Veranstaltung komplett barrierefrei, alles war für Rollstuhlfahrer sehr gut erreichbar.
So ein Sport-Großereignis ist immer etwas Besonderes für mich. Es ist ein schönes, außerordentliches Gefühl, direkt vor Ort Teil einer solchen Veranstaltung zu sein. War ich doch schon bei einigen Großereignissen live dabei, wie bei den Paralympics 2008 in Peking und 2012 in London, bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich 2016 und so weiter.
Der zweite Trip kurze Zeit später führte mich nach Karlsruhe. Ich wollte dort einen besonderen Menschen treffen: Michael, den ich einige Monate zuvor kennengelernt hatte, als er zu Besuch bei der Persönlichen Assistenz GmbH in Linz war. Er hatte sich informieren wollen, wie die Persönliche Assistenz bei uns in Oberösterreich in der Praxis funktionierte. Sein Ziel als beeinträchtigter Mensch war es, in seiner Stadt ein ähnlich strukturiertes Angebot für beeinträchtigte Menschen aufzubauen.
Der Besuch in Südwest-Deutschland war mit seltsamen Gefühlen verbunden: Wenn ich mit meinem PA unterwegs war, ernteten wir eigenartige Blicke von den Einheimischen. Komisch und ungewohnt war das, denn ein Rollstuhlfahrer, noch dazu mit Assistent, dürfte dort noch als „Rarität“ angesehen werden. Ich kam mir jedenfalls wie ein Außerirdischer vor. Ich kannte dieses Gefühl bereits aus Peking, als ich 2008 allein bei den Paralympics unterwegs gewesen war.
Und da wir schon in der Nähe waren – nach einem Tag Sightseeing in Karlsruhe ging es noch nach Straßburg zum EU-Parlamentsgebäude und von dort aus in den Schwarzwald zur Donauquelle, wo wir Wasser direkt vom Ursprung des zweitlängsten Stroms Europas tranken. Und wieder mal ging ein super Trip viel zu schnell zu Ende.
Wieder zurück zu meinem ersten Buch: Wahnsinn, ich war begeistert! – Meine Lebensgeschichte wurde publiziert und bald darauf meldete sich der ORF Oberösterreich (Österreichischer Rundfunk), um eine kleine, aber feine TV-Berichterstattung über mich zu machen. Ich fand das extrem super, denn ich wollte bzw. will nach wie vor bei meinen Mitmenschen, egal ob gesund oder gesundheitlich angeschlagen, die seltene Erkrankung Friedreich-Ataxie bekannter machen. Und wie es im Buchtitel („Aufgeben, was ist das?“) steht – sei was sei oder wenn Unverhofftes daherkommt –, niemals aufgeben!
Neben dem TV-Beitrag machte ein guter Freund eine professionelle Videodokumentation, die man auf sozialen Medien teilen konnte, und darüber hinaus erschienen einige Zeitungsartikel über das Buch in einigen regionalen, landesweiten und erfreulicherweise bundesweiten Zeitungen. Großartig, denn genau das wollte ich mit der Veröffentlichung erreichen.
Nach unzähligen Strapazen, die mein Körper durchmachte, wie die vielen Transfers (vom Rollstuhl ins Bett, aufs WC, aufs Sofa, ins Auto und umgekehrt), brach ich beim Einsteigen ins Auto einige Male zusammen. Zu Beginn geschah das noch sehr selten, doch im Lauf der Zeit dann öfter. Um in ein höheres Kraftfahrzeug einzusteigen, was mehrmals vorkam, hatte ich mich am Wagen festzuhalten und dabei kurz aufzustehen. Meine Wirbelsäule krümmte sich immer stärker, deshalb wurden meine Nerven eingeklemmt und die Kraft meiner Beine verließ mich, sie hielten der Belastung durch meinen Körper nicht mehr stand. Verbunden war das Ganze mit starken Schmerzen, und wieder musste ich umdenken und eine Möglichkeit finden, um die Transfers, so gut es mir möglich war, zu meistern. Seither trainiere ich umso mehr meine Rücken- und Bauchmuskulatur. Ich will Schwächen vermeiden und gezielt diesen Bereich meines Körpers stärken.
Ein unvergessliches, beeindruckendes sportliches