Trevellian und der Tod in Chinatown: Action Krimi. Pete Hackett
„Nun, du machst so ein richtiges der-Tag-vergeht-nicht-Gesicht.“
Jetzt grinste auch Milo. „Ich hab ‘ne Verabredung mit meinem Busenwunder. Heut Abend um acht. Bei ihr.“ Milo verdrehte die Augen. „Wir werden essen und vorzüglichen Rotwein trinken, Musik hören und vielleicht sogar tanzen, und wir ...“
Er wurde vom Läuten des Telefons in seiner schwelgerischen, geistigen Ausschweifung unterbrochen. Es war der Apparat auf meinem Schreibtisch.
Milos Blick, mit dem er auf die schrillende Anlage schaute, war wie ein Stoßgebet. Lieber Gott, lass nicht zu, dass mir der Abend vermasselt wird ...
Ich lachte in mich hinein, denn ich stellte mir vor, was sein würde, wenn Milo seinem Liebchen wieder einmal klar machen musste, dass die romantische Zweisamkeit warten musste, weil sein Job es so verlangte.
Ich hob ab und meldete mich.
Es war die Stimme unseres Chefs, Mr. Jonathan McKee, der mir erklärte, dass wir – also Milo und ich –, sofort bei ihm antanzen sollten.
Und im Tonfall von Mr. McKee lag etwas, das mir sagte, dass Milos Rendezvous auf wackligen Beinen stand.
Ich legte auf, nickte Milo zu und erhob mich. „Der Chef. Er will uns sehen – sofort.“
Milos Kinn sank auf die Brust. „Hoffentlich nur eine Routinesache.“ Und wie um sich selbst zu beruhigen fügte er hinzu: „Es ist doch nichts passiert, vergangene Nacht, was das FBI auf den Plan rufen müsste. Wir hätten es doch gehört. Die City Police oder das NYPD lassen doch nichts aus, um uns den schwarzen Peter zuzuschieben.“
Er sah mich an, als erwartete er von mir eine Antwort, die seinem verzweifelten Optimismus Nahrung gab.
Ich konnte meinem Freund und Kollegen nicht helfen. Und irgendwie weidete ich mich auch an seiner Panik.
Wie ein Schaf, das man zur Schlachtbank führt, trottete Milo neben mir her.
Mr. McKees Sekretärin grüßte freundlich und fragte, ob wir Kaffee haben wollten. Ich winkte dankend ab. Dann betraten wir das Zimmer des SAC, des Chefs des New Yorker FBI. Wir grüßten.
„Jesse, Milo, setzt euch“, forderte uns Mr. McKee auf und wies auf die Stühle um den kleinen Konferenztisch. Ernst sah uns unser väterlicher Freund dabei an.
„Ich hab heut Abend um acht eine Verabredung, Sir“, murmelte Milo und parkte seinen Body auf einem der Stühle. „Also seien Sie gnädig und nehmen Sie Jesse.“
Auch ich setzte mich, schoss Milo einen Blick zu, der diesen zur Vorsicht mahnen sollte, den er aber schlichtweg missachtete, und dann musterte ich fragend unseren Chef.
Mr. McKee lächelte irgendwie freudlos nach Milos Bemerkung und begann: „Wir haben einen Hinweis erhalten, dass in Chinatown ein gewisser Chu Han Chingh der große Macker werden will. Er setzt alles daran, Huang Li, den Vater aller Schlitzaugen von Chinatown, aus dem Geschäft zu drängen. Es hat bereits zwei Tote gegeben. Zwei Männer, die für Huang Li arbeiteten.“
„Ein Bandenkrieg also“, murrte Milo. „Soll sich die City Police darum kümmern.“
Mr. McKee schüttelte den Kopf. „Keine Auseinandersetzung zwischen zwei Rockerbanden, Milo, oder irgend welcher verfeindeter Streetgangs. Wie wir wissen – was wir allerdings noch nicht beweisen konnten –, ist Huang Li der Chef der Chinesen-Mafia. Mord, Rauschgifthandel, illegale Prostitution und was weiß ich noch alles läuft nach den Richtlinien ab, die er bestimmt. Wenn nun ein Bursche daherkommt, der dieses Monopol an sich zu reißen versucht, dann wird‘s turbulent. Und das ist dann eine Sache, die in die Zuständigkeit des FBI fällt.“
„Von wem kam der Hinweis?“, fragte ich.
„Anonym. Ich habe schon etwas recherchiert. Chu Han Chingh ist der Chef des Royal Dragon, eine üble Kneipe in Chinatown, in der schon mal eine Razzia wegen illegalen Glücksspiels stattfand.“
„Und?“, fragte Milo schlechtgelaunt.
„Ein Schuss in den heißen Ofen. Die Cops mussten unverrichteter Dinge wieder abzieh‘n.“
„Ein cleveres Kerlchen also“, murmelte ich wie zu mir selbst. „Woran starben die beiden Boys aus Huang Lis Verein?“, setzte ich dann hinzu, mehr aus Neugierde als einem besonderen Grund.
„Sie wurden stranguliert. Mit einem Würgedraht.“
In mir schrillte etwas, und ich gab meinem jähen Interesse Ausdruck, indem ich fragte: „Man hat einen Burschen namens Herb Morgan aus dem Hudson River gefischt. Mausetot – erwürgt. Ist das einer von den beiden Toten?“
Mr. McKee sah mich groß an. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein. Die beiden, von denen ich sprach, waren Chinesen. Identität noch nicht geklärt, aber kaum vorstellbar, dass einer von ihnen Herb Morgan hieß. Woher haben Sie das, Jesse?“
„Es stand im Lokalteil der New York Times.“
„Hab ich noch nicht gelesen heute“, murmelte Mr. McKee. Dann ließ er seinen Blick zwischen mir und Milo hin und her wandern. „Ich dachte mir“, erklärte er schließlich, „ihr beiden kümmert euch mal darum. Nehmt diesen Chu Han Chingh mal etwas unter die Lupe.“ Und philosophierend endete er: „Man darf das Übel erst gar nicht gedeihen lassen, man muss es im Keime ersticken.“
Ich dachte kurz nach. „Wenn die beiden Chinesen nicht identifiziert sind – woher weiß man dann, dass sie für Huang Li arbeiteten?“
„Das ist ganz einfach“, antwortete der SAC grimmig. „Man hat jedem von ihnen einen Fetzen Papier zwischen die Zähne geklemmt, und darauf stand zu lesen, dass es jedem so ergehen wird, der für Huang Li künftig auch nur noch einen Finger krumm macht.“
„Also hat man ein Exempel zur Abschreckung statuiert“, murmelte ich wenig begeistert, „und Huang Li sozusagen den Fehdehandschuh hingeworfen. Huang Li wird nicht allzu lange mit einer Antwort auf sich warten lassen.“
„Und diese Antwort wird er mit Blut schreiben“, ergänzte Mr. McKee. „Um das zu verhindern, müssen wir sozusagen vorbeugend tätig werden.“
Milo seufzte.
„Bis acht Uhr sind es noch zehn Stunden, Milo“, meinte Mr. McKee. „Und ihr sollt dem Chinamann doch nur mal auf die Finger seh‘n.“
„Was sind zehn Stunden im Leben eines G-man“, murmelte Milo ergeben und drückte sich von seinem Stuhl in die Höhe.
„Wir kümmern uns drum“, versprach ich und nahm mir vor, über den toten Herb Morgan, den der Hudson River ausgespuckt hatte, einige Erkundigungen einzuziehen.
Wir verabschiedeten uns. Mr. McKee empfahl uns noch, vorsichtig vorzugehen, da Burschen wie Chu Han Chingh nicht zu trauen sei, wünschte uns Hals- und Beinbruch, und dann waren wir entlassen.
Auf dem Flur legte ich Milo brüderlich die Hand auf die Schulter und sagte: „Es ist eben so, alter Junge. Ein G-man ist vierundzwanzig Stunden im Dienst. Du musst es nur Miss Busenwunder verklickern.“
Der Unterton in meiner Stimme schien ihm nicht zu gefallen, denn er fauchte mich gespielt wütend an: „Und wie verklickerst du es deiner Tussy, wenn dir gleich die obere Zahnreihe fehlt?“
Er boxte mich in die Rippen.
Wir lachten beide.