Ghosting. Sebastian Ingenhoff

Ghosting - Sebastian Ingenhoff


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      »Hast du die abkassiert?«

      »Nein, ich war gerade … die sind weg? Fuck, die sind echt weg«, seufzte Solana.

      »Ja, die sind echt weg«, bestätigte Phil in einem Ton, der zwar gechillt wirken, zumindest seiner Vorstellung nach, gleichzeitig aber auch eine gewisse Unzufriedenheit signalisieren sollte.

      »Die von Tisch drei sind echt weg. Und du hast die nicht abkassiert. Weißt du, was das ist? Scheiße ist das. Richtige Scheiße ist das«, fügte er hinzu und schaute sie an wie ein Lehrer, der seiner Schülerin gerade mitteilt, dass sie wohl eher nicht versetzt wird.

      »Was für Arschlöcher auch. Die sind einfach gegangen. Das kann doch nicht wahr sein«, entgegnete Solana, die versuchte, seinem gechillt strengen Blick auszuweichen, da sie aggressiv wurde, wenn Phil sie so gechillt streng anguckte.

      Doch Phil bohrte sogar nach mit seinen glasigen Knopfaugen, die ihm ein bisschen was von einem belämmerten Teddybären verliehen.

      »Weißt du, ich schmeiß hier den Laden, ich mach die Buchhaltung, ich muss gucken, dass die Getränkelieferungen … Ich kann mich nicht auch noch darum kümmern, dass die Leute hier bezahlen. Da hast du den Verantwortungshut auf und da erwarte ich schon von dir, dass du das auch auf die Reihe bekommst«, sagte Phil, den Blick immer noch auf sie geheftet, jetzt schon deutlich strenger und weniger gechillt, woraufhin Solana einmal tief Luft holen musste.

      Ganz tief Luft holte sie. Weil sie den Job natürlich brauchte, denn ohne Job war man in der Stadt ja verloren. Zwar sollte sie sich in der nächsten Woche endlich mit dem Produzenten treffen, der ihre Demos eindrucksvoll, vor allem aber ihre Stimme sensationell fand, aber das hieß natürlich nicht, dass sie damit auch Geld verdienen würde. Also brauchte sie diesen Job. Was sie auch daran hinderte, Phil den nächsten Kaffee in seine gechillt knopfaugige Visage zu schütten, wie sie es eigentlich so gerne machen wollte.

      »Ich hab … ich war hier gerade … ich meine, der Laden ist voll, und ich hab hier …«, versuchte Solana sich zu rechtfertigen, während sie überlegte, warum sie sich eigentlich rechtfertigen musste, denn der Laden war tatsächlich rappelvoll, sie war alleine an der Theke, und wenn diese Arschgeigenschnösel es für nötig hielten, die Zeche zu prellen, während man ihnen mal für drei Sekunden den Rücken zuwandte, dann konnte Williamsburg ihr gehörig den Buckel runterrutschen.

      »Ich hab, ich hab«, äffte Phil sie noch nach. »Ich sehe nicht, dass du was hast. Ich sehe nur, dass Tisch drei weg ist, und zwar ohne zu bezahlen«, wiederholte er, die Hände in die Seiten gestemmt, offenbar angepisst, da Solana auch noch Widerworte gab. Sie hätte sich ja einfach in ihr Schicksal fügen können. Sich entschuldigen, und gut wäre gewesen. War es aber nicht. Weil Phil mit seinen in die Seiten gestemmten Händen nicht nur noch belämmerter aussah, sondern offenbar wirklich dachte, er könne Solana vor versammelter Kundschaft die Leviten lesen. Mittlerweile hatten einige der umliegenden Tische sogar ihre Gespräche unterbrochen und starrten gebannt zu ihnen rüber.

      »Du brauchst mich nicht so nachzuäffen und dich hier aufzuführen wie ein Scheißlehrer. Der Scheißladen ist scheiß-voll und ich war mit dem Scheißautomaten hier beschäftigt und ich hab keine Augen an meinem Scheißhinterkopf. Deswegen kann ich auch nichts dafür, wenn diese Scheißwichser ihren Scheißkaffee nicht bezahlen«, schimpfte Solana in jetzt doch deutlich anschwellender Lautstärke, ein bisschen über sich selbst erschrocken, woraufhin die vier Mädchen am Tisch vor ihr anfingen, lautstark zu johlen.

      »Haha, geil, Baby. Gib es dem Arsch«, krakeelte die mit den Locken, woraufhin die mit den pinken Haaren nachlegte: »Lass dir bloß nichts sagen. Der soll mal selber kellnern, dann kann der auch sein Maul aufreißen.«

      »Was … sag mal, wie redest du mit mir? Und wer seid ihr eigentlich? Ihr habt hier überhaupt nichts zu melden«, stammelte Phil, ehe er sich wieder Solana zuwandte. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«

      »Ich hab es jedenfalls nicht nötig, mich von einem Typen wie dir zum Affen machen zu lassen. Dir haben sie wohl ins Gehirn geschissen«, schimpfte Solana und machte sich auf Richtung Küche, ihre Sachen holen, wobei sie Phil sogar ein bisschen anrempelte. Das aber eher unabsichtlich, denn Anrempelei war eigentlich nicht so ihre Art. Der war jetzt völlig perplex. Keine drei Sekunden später tauchte Solana wieder auf, ihre Tasche in der Hand, und verließ wortlos das Café, während Phil ihr entgeistert nachstarrte.

      »Dumm gelaufen«, grinste die mit der Brille und fügte noch hinzu: »Hier, wir verziehen uns auch. Keine Angst, wir zahlen auch ordnungsgemäß. War eh das letzte Mal, dass wir hier waren.«

      Die Mädchen warfen zwei Scheine auf den Tisch, standen auf und liefen Solana hinterher.

      »Hey, warte mal«, rief die mit der Brille draußen auf der Straße zu Solana. »Was war das denn für eine geile Aktion, bitte?«

      »Was ein Arsch«, schimpfte Solana, immer noch außer sich vor Wut. »Der ist ja wohl wirklich nicht mehr ganz dicht.«

      »Die sind hier alle nicht mehr ganz dicht. Guck dich doch um. Die leben in ihrer kleinen Blase und denken, sie wären die fetten Checker, weil sie auf irgendeinem Blog gelesen haben, dass Williamsburg der heiße Shit ist. Aber sehen aus wie Holzfäller aus Kanada von vor dreißig Jahren mit ihren bescheuerten Trucker-Caps und benehmen sich auch so. Das Viertel ist so am Arsch, das glaubt man gar nicht«, sagte die mit der Brille und den langen braunen Haaren. »Ich bin übrigens Ana. Das sind Fanta, Ninja und Patricia.« Sie hielt ihr die Faust entgegen.

      »Ich bin Solana.«

      »Was ein Vollspasti, der Typ«, bestätigte die Latina mit den kurzen Haaren.

      »Und was macht ihr hier, wenn das Viertel so am Arsch ist?«, fragte Solana.

      »Anas Oma wohnt hier, die gehen wir einmal die Woche besuchen«, sagte die Pinke. »Anas Oma ist so cool, ohne Scheiß.«

      »Ich bin hier aufgewachsen«, nickte Ana bestätigend, »aber wir sind vor zehn Jahren weggezogen. Meine Oma wohnt aber noch hier. Die meint immer, die geht hier nicht mehr weg, eher müsse man sie raustragen. Die wohnt hier seit über vierzig Jahren.«

      »Die kann echt die geilsten Geschichten erzählen. Früher war das Viertel noch ganz anders, da gab es die ganzen Idioten noch nicht. Anas Oma musste mal einen Handtaschenräuber mit dem Radio fangen, kein Witz«, sagte die, die offenbar Fanta hieß.

      »Die hat einen Handtaschenräuber mit dem Radio gefangen?«, fragte Solana irritiert. »Wie das denn?«

      »Die saß am Fenster und hat Radio gehört und die Leute auf der Straße beobachtet. Da kam ein Hilferuf und da lief ein Typ mit Handtasche lang, der musste unter ihrem Fenster vorbei. Die hat dem das Radio voll auf den Kopf geworfen. Die hat den voll umgeknockt. Der lag auf dem Bürgersteig und das Radio lief noch, musst du dir bildlich vorstellen. Im Radio lief Respect von Aretha Franklin«, grinste Fanta.

      »Meine Oma erzählt schon sehr viel. Glaub, die dichtet manchmal auch ein bisschen was dazu. Muss man nicht immer alles glauben«, relativierte Ana.

      »Kein Scheiß, ich glaub der das voll. Anas Oma ist voll der Umknocker. Der lag auf der Straße und neben ihm das Radio und da lief Respect, just a little bit, just a little bit. Als die Bullen kamen, sind die aus dem Auto raus, haben den Typen da liegen sehen, das Lied gehört … die haben voll abgetanzt, als die den verhaftet haben«, sagte Fanta. »Ich meine, wie geil, oder? Passte natürlich voll aufs Auge. Respect, just a little bit …«, sang Fanta, woraufhin die anderen einstiegen. »… just a little bit.«

      Solana zog ihre linke Augenbraue hoch. Die Mädchen schienen ja echt lustig zu sein. Sie tanzten jetzt auf der Straße, während die Williamsburger Hipster belustigt an ihnen vorbei schlenderten.

      »Komm, mach mit, just a little bit, just a little bit …«

      Solana musste grinsen.

      »Wo kommst du her? Ich meine, du wohnst doch nicht hier, oder?«, fragte Ana schließlich. »Du siehst jedenfalls nicht so aus.«

      »Nee, ich wohne oben in Bushwick. Am Maria Hernandez


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