Verraten und verkauft. Ralph Kretschmann

Verraten und verkauft - Ralph Kretschmann


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ein Frösteln über die Schultern, trotz der Hitze. Außerdem schwitzte sie. Es klapperte hinter ihr. Der Mann ging hin und her, trug etwas Metallenes.

      Er kam seitlich in ihr Blickfeld, wie immer. Vor sich her trug er eine eiserne Metallschüssel von nicht unbeträchtlichem Durchmesser. Sie mochte wenigstens drei Fuß messen, und das Metall war erstaunlich dick. Der Mann war nicht schwächlich, aber sie sah, dass er sich beträchtlich anstrengen musste, um die Schale zu heben. Er stellte die Schale ab und ging wieder. Mit einem Dreifuß kehrte er zurück, einem annähernd auf Hüfthöhe sitzendem Gestell, auf das er die Metallschale setzte. Wollte er ein Opferfeuer anzünden? Wirklich kam er als Nächstes mit einer Kiste voller Holzkohle zurück und schüttete sie in die Schale. Dann legte er mit einer Kohlenzange eine große, glühende Kohle auf die Holzkohle. Er schob sie mit der Zange geschickt unter den schwarzen Haufen, so dass sie völlig von der Holzkohle bedeckt wurde. Er ging erneut und kam mit einem Blasebalg und einer emaillierten Kanne wieder. Die Kanne war riesig, fasste bestimmt mehr als zwanzig Liter. Wortlos begann er, die Glut mit dem Blasebalg anzufachen. Mit langsamem Druck und Zug ließ er einen Luftstrom unter die Kohlen blasen, bis die Holzkohle durchgeglüht war und eine unglaubliche Hitze abstrahlte. Der Schweiß lief dem Mann in Strömen über seinen Körper. Der Bund der Jeans war dunkel von Feuchtigkeit.

      Dann zog er die Kanne zu sich heran. Es gab ein hässlich schabendes Geräusch auf dem Stein, als die weiße Emaille darüber kratzte. Der Mann tauchte seine Hand in das Wasser und sprengte es dann über die glühenden Kohlen. Die rote Glut verfärbte sich zu schwarzen Punkten, wo das Wasser auf die Glut tropfte. Es zischte, und eine Dampfwolke stieg auf. Ein seltsamer Duft machte sich breit. Roberta sog die Luft scharf durch die Nase. Weihrauch oder etwas Ähnliches? Sie konnte den Geruch nicht genau einordnen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie bekam den Zipfel des Erkennens nicht zu fassen, wie das sprichwörtliche Wort, das einem auf der Zunge liegt …

      Der Mensch war wirklich völlig verrückt! Als wäre es noch nicht heiß genug, entfachte er jetzt auch noch zu allem Überfluss eine Sauna! Roberta fühlte, wie die Feuchte der Dampfwolken sie streifte, wie die Tropfen Wasserdampf auf ihrer Haut kondensierten. Kleine Bäche rannen an ihrem Körper herunter. Schweißtropfen vermischten sich mit Wassertröpfchen und hüllten sie in einen glänzenden Film aus Feuchtigkeit. Die Hitze im Raum übertrug sich auf Roberta. Sie spürte, wie ihr Inneres sich immer mehr aufheizte. Wollte sie der Kerl kochen? Dampfgaren? Vor ihren Augen flimmerte die Luft, so groß war die Hitze, die das Kohlebecken abstrahlte. Sie fühlte, wie die feinen Härchen auf ihren Oberschenkeln sich in der Hitze zu kräuseln begannen, wie sich die Haut spannte. Immer mehr Dampf stieg auf. Wieder sprühte der Mann Wasser in die Glut. Zisch, Dampf, zisch, Dampf, fast wie eine Maschine.

      Der Mann ging und kam mit einer neuen Ladung Holzkohle zurück. Er verteilte die großen, schwarzen Klumpen auf der weißen Asche, die unter der alten Glut lag. Rauch stieg auf, biss Roberta in die Nase und trieb ihr Tränen in die Augen. Ihr war schwindelig. Drehte sich der Raum um sie? Oder drehte sie sich an ihrer Kette? Es knisterte, als die Glut sich in die neuen Holzkohlestücke fraß. Roberta hatte ihre Augen fest zugekniffen, um die Tränenflüssigkeit herauszudrücken und um nicht noch mehr Rauch in die Augen zu bekommen. Etwas raschelte hinter ihr, schlurfte oder schleifte auf dem Boden. Gras? Roberta öffnete ein Auge und spähte nach rechts, von wo das Geräusch gekommen war. Ihr Entführer hatte einen Beutel hergezogen, sie konnte die Schleifspuren auf dem Boden sehen. In dem Beutel steckten irgendwelche Kräuter. Roberta hatte sich nie für die Flora oder Fauna um sie herum interessiert, es sei denn, sie konnte sie für ihre Zwecke einsetzen. Mit Blumen und Gebinden wusste sie aus gastgeberischen Gründen schon umzugehen, aber darüber hinaus kannte sie ein paar Giftpflanzen wie den Sumach und ein paar Pilze, die giftig waren und die es in der Wildnis zu meiden galt, wenn man sich nicht einen schweren Ausschlag oder Schlimmeres zuziehen wollte. Aber sie konnte eine Tanne nicht von einer Kiefer unterscheiden, und die Kräuter aus der Küche erkannte sie nur an ihrem Geschmack. Eine Frau wie Roberta Stone stand nicht in der Küche, kochte nicht, sondern ließ kochen.

      In dem Beutel konnten Wacholder und Estragon oder Heu und Marihuana sein, Roberta hätte es nicht sagen können, selbst wenn ihr Leben davon abhängen würde. Vielleicht tat es das sogar.

      In Roberta war nur noch Verzweiflung. Der verdammte Kerl hatte ihr alles kaputt gemacht. Er hatte Beweise an die Polizei geschickt. Ihr Todesurteil. Sie war verloren. Etwas in ihr zweifelte noch. Gab es nicht doch irgendwo ein Schlupfloch, einen Ausweg? Sie grübelte und grübelte, aber ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Immer kam sie zum gleichen Ergebnis: Es war aus. Sie hatte verloren.

      Sie war hier der Gnade eines Fremden ausgeliefert, nackt, wehrlos, gebunden. Eine Wolke ätherischen Duftes umwaberte sie. Der Mann hat ein großes Bündel aus dem Beutel ausgesucht und auf die durchgeglühten Kohlen gelegt. Der Duft war atemberaubend, süß und schwer und von einer benebelnden Qualität, die Roberta nicht einordnen konnte. Sie hatte kaum Erfahrung mit Drogen. Sie selbst liebte es, nüchtern zu sein. Ab und an ein Glas Alkohol, einen Wein oder einen Aperitif, sie rauchte, aber nicht wegen einer merkbaren Wirkung, sondern weil alle es taten. Dabei schmeckte ihr Tabak nicht einmal. Sie hatte auf einer Party Kokain geschnupft, aber das anschließende Gefühl war ihr unangenehm gewesen, so falsch, unecht und kalt. Sie hatte es nie wieder versucht. Wenn es für Roberta Stone eine Droge gegeben hatte, abgesehen von Macht und Geld, dann war es Sex gewesen. Sie konnte einen Orgasmus nach dem anderen haben, wenn sie wollte, und sie bekam nie genug davon.

      Von irgendwo kam Musik. Roberta driftete zurück. Sie wurde sich bewusst, dass sie eben fast weggerutscht wäre. War sie beinahe eingeschlafen? Sie kniff ein paar Mal die Augen fest zu und riss sie wieder weit auf, um klar zu werden. Der Rauch lag schwer in der heißen Luft. Ihr Körper war schweißnass, und sie hatte unglaublichen Durst. Wach bleiben, Roberta!, mahnte sie sich.

      Die Musik! Es war ein auf- und abschwellender Ton, tief und schwingend. Er schien den ganzen Raum auszufüllen, alles in Vibration zu versetzen. Roberta spürte die Wellen auf ihrer Haut, die empfindlich die Töne registrierte. In tiefem, wummerndem Bass brummte der Ton, sie fühlte die Schwingungen im Magen, in der Brust, in der Nasenhöhle. Woher kam der Ton? Er war überall und hatte keine Quelle, die sie orten konnte.

      Der Rauch nahm ihr die Sicht auf die Wand. So dicht standen die Schwaden in dem Gewölbe, dass sie die Steine der Wand direkt vor ihr nicht mehr erkennen konnte. Nebelschwaden aus Duft zogen vorbei und ließen sich von ihr einatmen. Eine süße, samtene Schwere legte sich auf den Raum, dämpfte Licht und Geräusche. Nur der tiefe Ton schwang in ihr.

      Sie sah eine frisch gemähte Wiese. So eine Wiese hatten sie hinter dem Haus gehabt, damals …

      Roberta wurde schlaff in ihren Fesseln. Wo eben noch Spannung in ihrem Körper gewesen war, entspannten sich die Muskeln jetzt. Sie hatte das Bewusstsein verloren.

      Der Mann legte das Didgeridoo beiseite, und der tiefe Ton erstarb.

      Maurer war mit Kopfschmerzen aufgewacht. Der Nacken schmerzte, und er spürte deutlich, welchen Muskel in seiner rechten Schulter er gestern überstrapaziert hatte. Nach einer Aspirintablette und einem bitteren Kaffee warf er sein Jackett über und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Die Stone-Entführung. Etwas sagte ihm, dass es nichts Neues zu melden geben würde.

      Finnegan war schon da und lächelte ihm fröhlich entgegen, als er das Büro betrat. Zu seinem Glück wirkte die Tablette schon, und er fühlte sich sogar zu einem »Guten Morgen, Sergeant!« in der Lage. Nachdem er sich einen frischen Kaffee besorgt hatte, der glücklicherweise um Klassen besser schmeckte als der, den er zum Frühstück gehabt hatte, rief er Finnegan zu sich, um sie Bericht erstatten zu lassen.

      Erwartungsgemäß fiel der Bericht sehr kurz aus. Es gab nichts Neues. Perkins steckte einen Teil seines Körpers durch die Türöffnung, brüllte: »Post!« und warf ein Bündel Briefe auf Maurers Schreibtisch, das darüber schlitterte, über die Kante hinausglitt und in Maurers Papierkorb landete.

      »’tschulligung«, nuschelte Perkins und verschwand. Er hätte auch gerülpst haben können. Maurer fischte seine Korrespondenz aus dem Müll von gestern. Die Putzfrauen arbeiteten in letzter Zeit immer nachlässiger. Er


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