Verraten und verkauft. Ralph Kretschmann

Verraten und verkauft - Ralph Kretschmann


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Hure, Ehebrecherin, Lügnerin und Mörderin zu bezeichnen! Wut kochte in ihr hoch. Oh, wenn sie doch könnte, wie sie wollte!

      »Jedenfalls wirst du heute deinen Mann nicht umbringen«, sagte der Mann in immer noch regungslosem Tonfall. Trotz der Hitze wurde Roberta Stone kalt, eiskalt. Wie konnte er das wissen?

      »Du fragst dich, woher ich das weiß?« Der Mann griff in seine Tasche und hielt ein Metallplättchen in der ausgestreckten Hand, kaum größer als ein Zehn-Cent-Stück. »Du hast es mir verraten … Du neigst zu Selbstgesprächen, wenn du Pläne schmiedest, Roberta!«

      Er hatte ihre Wohnung verwanzt! Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte einen Fehler gemacht … Sie hatte ihre eigene Wohnung als sicher betrachtet … Aber Moment mal! Ihr wurde noch etwas kälter. Das konnte er nur in ihrer Wohnung aufgefangen haben, nicht in der ehelichen in der Fifth Avenue, sondern in ihrem kleinen, konspirativen Versteck, von dem sie angenommen hatte, dass es niemandem bekannt sei außer ihr selbst. Er hatte ihr Refugium verwanzt!

      »Ich war in deinem Versteck, Roberta. Ich kenne deine Pläne. Du wirst nichts davon umsetzen, das verspreche ich dir. Die Börsenmanipulation, den Versicherungsschwindel und den Wochenendurlaub mit dem Mann deiner Freundin Jamie kannst du auch vergessen.«

      Der Mann lächelte, und die Narbe ließ ihn grinsen. »Sie sind jetzt sicher vor dir.«

      Rotglühende Wut tobte durch Roberta Stone, die hilflos den Anschuldigungen zuhörte; und jede einzelne entsprach der Wahrheit. Ja, sie hatte geplant, mit dem Mann ihrer Freundin in die Berge zu fahren, ihn in ihr Bett zu locken, ihn dann zu erpressen und ein paar Insidergeschäfte an der Börse zu tätigen. Ja, sie hatte einen Versicherungsbetrug in Arbeit – ein paar alte und völlig überversicherte Häuser würden in Flammen aufgehen.

      Und sie hatte geplant, ihren zweiten Ehemann zu beerben – nachdem sie ihn beim Ableben unterstützt haben würde … Aber das war jetzt hinfällig. Alles aus.

      All ihre Illusionen zerplatzten wie Seifenblasen. Sie hatte schon in den letzten Stunden, die sie allein mit der Kerze verbracht hatte, die Hoffnung auf einen Fluchtversuch aufgegeben. Sie konnte nicht nach oben sehen, aber unten konnte sie ihre Füße erkennen. Eine Stange von gut einem Meter Länge spreizte ihre Beine auseinander, an deren Enden massive, eiserne Fußschellen saßen, die sich um ihre Gelenke schlossen. Wie sollte sie ohne Hilfe da herankommen, mit den Händen über dem Kopf, an einer Kette hängend? Wie lange konnte sie das überhaupt aushalten? Ihre Finger spürte sie kaum noch. Sicher würden sie bald absterben. Aber was machte das schon, denn der Kerl, ihr Entführer, würde sie sowieso früher oder später umbringen.

      »Du wirst dich an jedes deiner Verbrechen erinnern, Roberta Stone, dafür werde ich sorgen.«

      Sie glaubte ihm jedes Wort und hasste ihn dafür.

      »Wir nehmen uns ihre Bekannten und Verwandten vor, Finnegan, alle, einen nach dem anderen«, sagte Maurer. »Da gibt es was zu finden. Wir müssen nur an der richtigen Stelle suchen!«

      »Verwandte haben wir schon durch, Chef«, antwortete die Detektivin. »Die verehrte Mrs. Stone hat keine Blutsverwandten mehr. Papa starb an Herzversagen, als sie ein Kind war, und Mama später an Krebs oder so was. Dann gab’s da noch einen Bruder, zwei Jahre älter als sie, aber der ist im Gefängnis während seiner Haftstrafe gestorben.« Finnegan blätterte in ihren Unterlagen. »Die Bekannten habe ich auch aufgelistet. Moment, ich hab’s gleich … ah, hier!« Triumphierend zog sie ein paar zusammengeheftete Blätter aus ihrer Mappe und reichte sie Maurer.

      Freundin, deren Mann, Angestellte, Mitarbeiter, Geschäftsbeziehungen, alles sauber mit Adresse, Telefonnummer, Fax, wenn vorhanden, und Internetadresse und Email. Sergeant Finnegan sah ihren Chef stolz an, und der nickte ihr anerkennend zu. »Gute Arbeit!«

      »Ich habe mit Mrs. Stones Sekretärin telefoniert. Die Dame war sehr erschrocken über die Entführung ihrer Chefin, schien mir«, fuhr Finnegan fort. »Sie bringt uns den Terminplaner von Mrs. Stone her. Sie muss ihn erst aus dem Büro holen und kommt dann hierher, zu uns. Eigentlich müsste sie schon da sein …« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Na, bei dem Verkehr in der City kann das noch dauern.«

      »Und noch einmal: Gute Arbeit, Finnegan!« Maurer begann sich zu fragen, wozu man ihn eigentlich noch brauchte. Die junge Dame arbeitete doch selbständig und effektiv. Er sollte sich in seinem Stuhl zurücklehnen und die anderen machen lassen! Aber dann wäre er nicht er gewesen. Maurer war einer, der immer dabeisein musste. Sein Schreibtisch war für ihn selbst nach all den Jahren eine Art Fremdkörper in seinem Leben.

      Es klopfte an Maurers Bürotür. Perkins steckte seinen Kopf herein.

      »Ich bin den Stapel durchgegangen, Chef, aber da ist nichts. So was wie heute hat es vorher noch nicht gegeben. Ich hab alle möglichen Verrücktheiten dabeigehabt, nur nichts, was hierzu passt.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Sorry, Chef!«

      »War einen Versuch wert!«, entgegnete Maurer, aber Perkins war schon verschwunden. Der Mann hatte es immer eilig. Maurer seufzte unwillkürlich. Er kam sich wirklich überflüssig vor.

      »Ich könnte einen Kaffee vertragen, Finnegan.« Er blickte seine Assistentin an. »Sie auch?«

      Finnegan nickte und wollte aufspringen, aber Maurer schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.

      »Milch oder Zucker?«, fragte er, als er an ihr vorbeiging.

      »Schwarz!«, antwortete Sergeant Finnegan mit trockenem Hals.

      »Oh, ja, natürlich!«, murmelte Maurer und ging in Richtung Kaffeeküche. Sergeant Finnegan fragte sich, was daran natürlich war, dass sie ihren Kaffee schwarz bevorzugte. War das eine Anspielung auf ihre Hautfarbe?

      Maurer setzte in der Küche frischen Kaffee auf. Ein echter Luxus. Die meisten Abteilungen mussten sich mit Automaten begnügen, die gegen viel Geld nur etwas hergaben, das den Namen Kaffee nicht wirklich verdiente.

      Er schmunzelte. Er hätte sich denken können, dass Finnegan ihren Kaffee schwarz wollte. Junge Frauen achten immer auf ihre Figur. Finnegan machte da wohl keine Ausnahme. Zucker ist eine Kalorienbombe, und Milch enthält Fette, das weiß man ja. Natürlich verzichtete sie darauf. Ob Mrs. Stone wohl auch verzichtete? Maurer hatte den Verdacht, dass die entführte Mrs. Stone nicht zu Verzicht und Zölibat neigte. Er hatte zwar nur Fotos von der Dame gesehen, aber die vermittelten ihm nicht das Bild einer Florence Nightingale, eher einer Mata Hari. Die Frau hatte einen arroganten Zug um ihre Mundwinkel. Sie war es gewohnt, ihren Willen zu bekommen. Maurer stellte sich einen Streit mit Mrs. Stone vor. Er erhielt eine keifende Xanthippe.

      Der Kaffee war durchgelaufen. Maurer schenkte zwei Becher voll und sicherte den Rest in der Thermoskanne. Drei Löffel Zucker in seinen Becher, umrühren. Er liebte seinen Kaffee süß. Zum Glück musste er nicht auf seine Figur achten. Er konnte essen und trinken, was und so viel er wollte, er behielt sein Gewicht.

      Maurer balancierte die beiden Becher mit ihrem heißen Inhalt vorsichtig zu seinem Büro. Als er eintrat, saß eine junge Frau bei Sergeant Finnegan, die sofort aufsprang, als Maurer eintrat.

      Fast hätte er den Kaffee verschüttet.

      »Das ist Mrs. Broderson, Detective«, stellte Finnegan die Frau vor, »Mrs. Stones Sekretärin, Sir!« Finnegan sprach sehr förmlich. Maurer fragte sich, ob sie das wegen der Sekretärin tat.

      Er stellte seinen Becher auf dem Tisch ab und reichte Sergeant Finnegan ihren.

      »Ohne Milch und ohne Zucker, bitte sehr!«, sagte er und lächelte sie an. Finnegan sah wirklich verdammt gut aus. Finnegan nahm den Becher entgegen. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen. Hatte er nun eine Anspielung gemacht, oder hatte sie etwas falsch interpretiert? Warum störte sie das überhaupt?

      »So, Mrs. Broderson, ja, also, sie sind die Sekretärin der Entführten!«, wiederholte Maurer, um irgendwie einen Einstieg in die Befragung zu bekommen. Graue Maus, ordnete Maurer sie ein. Nicht hässlich, aber unscheinbar und so falsch gekleidet, wie es nur ging. Erstaunlich,


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