Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker

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Gedanken verdienen, die in diesem Buch geschrieben stehen.“

      „Ist es eine Abschrift des Koran?“, fragte Li.

      Prinz Ismail schüttelte den Kopf. „Es ist eine Schrift, die den Titel Ma'akhidh al Shara'i trägt und von unserem großen Gelehrten Abu Mansir al-Mutaridi stammt, der vor einem Menschenalter die Grundlagen der muslimischen Rechtslehre aufgeschrieben hat – ein Buch, in das jemand wie ich jeden Tag hineinsehen sollte, um den Maßstab für all die Entscheidungen zu behalten, die tagtäglich zu treffen sind. Vor allem, was die Entscheidungen darüber angeht, was Recht und Unrecht angeht...“

      „Ich glaube nicht, dass es viele Herrscher gibt, die sich darüber so viele Gedanken machen, dass sie zuvor in ein Buch sehen“, erwiderte Li.

      „Das sollten sie aber. Doch ich habe dich nicht hier her bringen lassen, um mit dir darüber zu sprechen. Es geht zum etwas anderes. Dein Wasserzeichen hat mir ausnehmend gut gefallen. Von dieser Kunst hatte ich nur gerüchteweise gehört und nicht geglaubt, jemals jemanden zu treffen, der sie in dieser Vollkommenheit beherrscht, wie das bei dir der Fall ist. Anscheinend ist dein Talent beim Schöpfen von Papier verschwendet...“

      „Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt, Herr“, sagte Li und gab dem Statthalter das Buch des Rechtsgelehrten Abu Mansur al Mutaridi zurück. Der Name seines Verfassers auf dem Einband – eingestickt mit Goldfaden - vermochte Li immerhin zu entziffern.

      „Ich möchte, dass du mir ein Wasserzeichen erschaffst, das für mich persönlich steht und mein Zeichen sein soll. Ein jeder, der einen Brief bekommt, der auf diesem Papier geschrieben wurde, soll erkennen, dass er wirklich einen Bogen aus meiner Hand erhalten hat...“

      „Ein Zeichen für den Statthalter von Samarkand also“, schloss Li. Aber anscheinend hatte sie Prinz Ismail doch noch nicht richtig verstanden.

      „Vergiss den Statthalter. Dieses Zeichen soll das Papier für Briefe zieren – und diese schickt nicht der Statthalter, sondern der Mann Ismail. Es soll geheim bleiben und niemandem bekannt sein, außer denen, die darin eingeweiht sein werden.“

      Li neigte das Haupt noch etwas tiefer. „Ich glaube, ich habe verstanden, welche Art von Briefen Ihr meint.“

      „So wirst du sicherlich auch ein passendes Zeichen dafür ersinnen. Du sollst so viel biegsames Metall dafür bekommen, wie du brauchst und auch alles andere, was du benötigst. Ein Diener wird es dir bringen oder dich begleiten, wenn du dir alles nötige auf dem Basar oder bei den Schmieden kaufst. Aber du musst mir eins schwören!“

      „Ihr wollt meine Verschwiegenheit, nehme ich an.“

      „Es darf niemand wissen, für wen das Zeichen geschaffen wird, an dem du arbeitest.“

      „Ich werde niemandem etwas darüber sagen. Aber gewiss wird man mich fragen, denn die Werkstatt, in der ich arbeiten muss, ist sehr beengt.“

      „Du wirst hier im Palast einen Raum zugewiesen bekommen, in dem du daran arbeitest und in dem dich niemand beobachten wird.“

      „Es soll geschehen, wie Ihr sagt“, erklärte Li.

      ––––––––

      Ein paar Tage später ging Li in Begleitung eines Palastwächters zu einem Schmied, der seine Werkstatt in der Nähe des südlichen Stadttors hatte. Dort kamen die meisten Reisenden und Karawanen vorbei – und wann immer es bei deren Tieren ein Hufeisen zu erneuern gab, war dies die erste Anlaufstelle.

      Der Schmied hieß Kebir und war ein Riese. Ein Mann mit dunklem Bart und sehr dichten Augenbrauen. Dass er mit seinen Bärenkräften den Schmiedehammer mit einer Hand schwingen konnte, glaubte man ihm sofort. Aber von ihm stammte der mit Abstand feinste Draht, den man Samarkand bekommen konnte, was eigentlich nicht verwunderlich war – denn das Drahtziehen verlangte mindestens ebenso große körperliche Kräfte, wie der Umgang mit Hammer und Amboss. Ein sehr dünn geschmiedetes Stück Metall wurde durch ein sich verjüngendes Loch in einem Ziehstein oder einem Zieheisen gezogen, wobei immer wieder ein Stück der äußeren Schicht abgeschält wurde. Allerdings begann die Kunst des Drahtziehens schon bei der Zusammensetzung der Anteile in der verwendeten Legierung, denn sonst brach der Draht schon, wenn er auf die Winde gewickelt wurde.

      Aus den dickeren Drähten wurden die ineinandergreifenden Ringe von Kettenhemden gebogen. Aber das Metall, das Li für ihre Wasserzeichen brauchte, musste noch sehr viel feiner sein. Je dünner und leichter biegsam desto besser.

      Als sie zusammen mit dem Palastwächter dort eintraf, war Kebir gerade damit beschäftigt ein Pferd zu beschlagen, das offenbar ein Eisen verloren und gelahmt hatte. Der riesenhafte Mann nahm den Huf des Pferdes auf seinen Schenkel und schlug den letzten Nagel ein, dann war er fertig.

      Das Pferd gehörte einem Mann mit halblangen Haaren, einem während der Reise gewachsenen Bart und grünen Augen, die Li an die Steppe im Frühling erinnerten. Um das Lederwams trug er einen breiten Gürtel, an dem ein Schwert und ein Dolch hingen. Den wollenen Umhang hatte er zurückgeworfen und sein Helm war von einer Machart, wie Li ihn noch bei keinem Krieger begegnet war, den sie je gesehen hatte.

      Zwei Begleiter reisten mit ihm – ein Jüngling und ein Mann in einer Kutte, wie Li sie bei Bruder Anastasius und anderen christlichen Mönchen gesehen hatte.

      Der fremde Reiter wechselte mit dem Mönch ein paar Worte in einer Sprache, von der Li kein einziges Wort verstand. Sie klang dem Dialekt der Nordmänner ähnlich, den Thorkild und sein Gefolge untereinander benutzt hatten. Und doch hatte Li das Gefühl, dass es eine andere, vielleicht verwandte Sprache sein musste.

      Ein einziges Wort verstand sie.

      „Arnulf!“

      So redete der Mönch den Mann mit den grünen Augen an. Der Klang dieses Wortes hallte dutzendfach in Lis Gedanken wieder. Arnulf! Dies musste jener Ritter sein, vor dessen Erscheinen der Hofschreiber Kentikian Thorkild Eisenbringer gewarnt hatte.

      Jetzt meldete sich Kebir zu Wort. „Das Pferd wird Euch jetzt weitere tausend Meilen den Weg der Seide entlangtragen“, meinte er. „Es ist alles in Ordnung damit...“

      Der Mönch schien Persisch zu verstehen. Er übersetzte die Worte des Schmieds in die fremde Sprache und – und wieder redete er den Ritter dabei mit dem Namen Arnulf an. Li war sich sich jetzt vollkommen sicher – vor allem auch deshalb, weil die Art und Weise, wie der Mönch diesen Namen aussprach einfach zu sehr jener von Thorkild Eisenbringer glich. Und wenn es tatsächlich so war, dass in der Heimat des Eisenbringers und in diesem geheimnisvollen Saxland, aus dem Arnulf kam, verwandte Dialekte gesprochen wurden, dann wusste Thorkild auch genau, wie man diesen Namen richtig über die Lippen brachte.

      Arnulf bemerkte offenbar den allzu intensiven Blick, den Li ihm zugeworfen hatte und erwiderte ihn mit einer Offenheit, die nach Lis Empfinden schon beinahe die Grenze zur Schamlosigkeit überschritt – zumindest wenn man dafür jene Maßstäbe anlegte, wie sie im Reich der Mitte üblich waren. In diesem Sinn war auch Li erzogen worden. Aber sie hatte inzwischen natürlich längst erfahren, dass in dieser Hinsicht unter den Menschen des Westens nicht dieselben Auffassungen galten. Schon bei den durchreisenden Händlern von Xi Xia waren diese Unterschiede spürbar gewesen.

      Der Mönch war ein sehr blassgesichtiger, hagerer Mann, dessen Äußeres Li ein bisschen an einen Leichnam erinnerte, der mit den entsprechenden Essenzen einbalsamiert worden war, um ihn vor der Verwesung zu bewahren. In Xi Xia waren solche Bräuche nicht unbekannt gewesen und Li erinnerte sich noch gut an den Schrecken, den sie empfunden hatte, als sie zum ersten Mal eine solche Mumie gesehen hatte, als ein tangutischer Befehlshaber, den ein paar Tage zuvor der Schlag getroffen hatte, auf diese Weise aufbereitet und durch die Stadt getragen worden war. Das hagere, blasse Gesicht dieses Mönchs erinnerte sie sehr stark an jenen Anblick. Ihm schien die menschliche Wärme, die beispielsweise im Antlitz Bruder Anastasius erkennbar gewesen war,


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