Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
Aber das fiel ihr in diesem Fall überraschend leicht.
Meister Wang stellte sich neben Li, während sich Gao und Meister Mohammed etwas abseits hielten. Mindestens ein Dutzend weiterer Augenpaare waren auf die Fremden gerichtet, die aus einem Land kamen, von dem hier noch nie jemand gehört hatte.
Der Mönch ergriff jetzt in geschliffenem Persisch das Wort.
„Wir hatten von ein paar Papiermachern gehört, die von einem Nordmann, den man den Eisenbringer nennt, hier her verkauft wurden. Darum sind wir hier.“
„Sie haben uns nach unserem Weg gefragt und ob wir durch die Berge von Tukharistan gekommen seien, von wo das unzerbrechliche Eisen käme“, murmelte Meister Wang in der Sprache der Han, sodass außer Li und Gao ihn niemand verstehen konnte. „Ich habe ihnen gesagt, dass wir dieses Land nicht kennen, von dem er gesprochen hat... und denke an das, was ich dir gesagt habe. Wir sollten uns aus allem heraushalten, was uns irgendwie in Schwierigkeiten bringen könnte.“
„Ich nehme an, dass du uns auch nicht mehr über das Eisenland sagen kannst“, sagte nun Arnulf auf Latein.
„Nein“, bestätigte Li einsilbig und errötete dabei leicht.
„Ich habe ein paar Proben deiner besonderen Handwerkskunst gesehen und bin sehr beeindruckt. Aber jetzt weiß ich, weshalb die wenigen Bücher, die es in meiner Heimat gibt, dagegen wie die Werke von Anfängern aussehen.“
„Wir tun unser Bestes, um genug Papier zu schöpfen, damit kein Buch nur deshalb ungeschrieben bleibt, weil es nichts gibt, worauf sie geschrieben werden könnten.“
Arnulf nickte leicht. „Wir danken für eure Auskünfte“, sagte er.
Der Mönch sagte etwas in der Sprache Saxlands, was Li natürlich nicht verstand. Arnulf lächelte daraufhin und sagte: „Fra Branaguorno, mein gestrenger Begleiter, ermahnt mich, dass wir uns bald auf den Weg machen“, erklärte er.
„So passt auf Euch auf“, erwiderte Li.
Arnulf wandte sich zum gehen. Der Mönch, den er Fra Branaguorno genannt hatte, rief in barschem Ton den Jungen, der sich stirnrunzelnd einige Blätter anschaute, die noch zur letzten Trocknung an einer Leine aufgehängt waren. Sie trugen das Wasserzeichen mit der Rose, das Li gefertigt hatte und das Licht fiel so, dass man es kaum übersehen konnte.
„Gero!“, rief Fra Branaguorno streng.
Und dann gingen sie alle drei hinaus.
Li stand wie versteinert da. Am liebsten hätte sie ihnen noch all das zugerufen, was sie wusste! Dass sie sich vor dem Hofschreiber in Acht nehmen sollten und Thorkild vermutlich schon längst darüber informiert worden war, dass der Ritter aus Saxland sich in Samarkand überall nach der Lage der Eisenberge erkundigte.
Aber ihre Zunge war wie gelähmt und für ein paar Augenblicke hatte sie den Eindruck, jedes lateinische Wort, das Bruder Anastasius ihr beigebracht hatte, von einem Augenblick zum anderen vergessen zu haben. Ihr Kopf schien vollkommen leer zu sein und sie war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
Die Worte ihres Vaters klangen ihr im Ohr, wonach sie am besten daran taten, sich aus allem herauszuhalten.
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In dieser Nacht fand Li keinen Schlaf. Sie lag wach auf ihrer Schlafmatte und hüllte sich in ihre Decke. Ein stetiger Wind wehte schon seit Tagen durch die Straßen von Samarkand. Manchmal trug er sogar roten Sand herein, der bis in die Häuser drang. Sand, der aus der Wüste Kysylkum stammte, deren Oasenstädte bereits fester Bestandteil jenes Reiches waren, das der Schwarze Herrscher geschaffen hatte und das sich schier unaufhaltsam in alle Richtungen auszubreiten schien.
Niemand war noch wach, als Li ins Freie trat und die kühle Nachtluft einatmete. Die Tür der Werkstatt knarrte etwas und sie hoffte niemanden geweckt zu haben. Für einen Moment verharrte sie regungslos – ein Schatten in der Dunkelheit. Mehr war von ihr nicht zu sehen. Dann setzte sie ihren Weg fort und verschloss sogar sorgfältig die Tür hinter sich.
Der Schmied Kebir hatte den Reitern aus Saxland eine Herberge empfohlen, die seinem Vetter namens Nedjan gehörte und es gab eigentlich keinen Grund, weshalb sich Arnulf und seine beiden Begleiter nicht danach hätten richten sollen.
Li war das Gasthaus von Nedjan durchaus bekannt. Der Besitzer war ein sehr frommer Mann und hatte Bögen aus sehr festen, aufwändig mit Harz lackiertem Papier gekauft, auf das er sich von einem Kalligraphen Zitate aus dem Koran schreiben ließ, um sie in seinen Gästeschlafräumen aufzuhängen.
Die Gassen von Samarkand waren für Li schon längst kein unübersichtliches Labyrinth mehr. Oft genug war sie schließlich in der Stadt unterwegs gewesen, um auf den Basaren geeignete Lumpen auszusuchen.
Mit schnellem, fast lautlosem Schritt ging sie durch die dunklen Gassen. Mitten in der Nacht brannten kaum noch Lichter in der Stadt. Aber der Himmel war klar und der Mond stand als großes Oval am Himmel und tauchte die Stadt in sein fahles Licht.
Tagelöhner ohne Obdach kampierten in der Nähe einer Moschee, deren eigentlich in einem kräftigen Blau gehaltene Kuppel jetzt im Mondlicht grau erschien.
Schließlich bog sie dann in eine Gasse ein, die fast vollständig im Mondschatten lag und in der man daher so gut wie gar nicht sehen konnte. Die zwei bis dreistöckigen Häuser ragten zu beiden Seiten wie dunkle Schatten empor und Li fühlte sich fast wie eine Blinde, während sie durch die namenlose Finsternis vorwärts eilte. Aber dieser Weg war kürzer und da sie ihn bei Tag auch schon gegangen war, konnte sie sich ungefähr orientieren.
Schließlich erreichte sie Nedjans Gasthof, zu dem auch umfangreiche Stallungen und ein Lagerhaus gehörten, in dem durchreisende Händler ihre Waren sicher aufbewahren und sogar verkaufen konnten.
Ein Geräusch ließ Li erstarren. Sie hörte einen unterdrückten Schrei, der wie ein Röcheln klang. Dann klappte im Obergeschoss ein Fensterladen geräuschvoll zur Seite. Ein Mann stürzte rücklings durch das Fenster und riss dabei den Vorhang mit sich.
Nur einen Herzschlag später schlug der Mann schwer wie ein nasser Mehlsack kaum fünf Schritte von Li entfernt auf die Straße und blieb regungslos liegen. Das Mondlicht fiel auf Gesicht und Oberkörper. Die Augen waren starr, der Mund wie zum Schrei geöffnet und in seiner Brust steckte ein Dolch, der ihm bis zum Heft in den Körper gestoßen worden war. Der Mann selbst hielt ein schmales, leicht gebogenes Schwert in der Hand. Die Finger seiner Rechten krampften sich noch im Tode um den Griff.
Li stand wie gelähmt da. Sie wagte es kaum zu atmen.
Das Fenster, durch das der Mann gestoßen worden war, lag im vollkommenen Schatten. Man konnte nicht ins Innere sehen, aber es war in der Dunkelheit irgendeine Bewegung erkennbar.
Und Stimmen.
Sie sprachen in der Zunge Saxland.
Li zog sich in eine benachbarte Hausnische zurück und wartete. Nur wenige Augenblicke später waren Schritte zu hören. Die Tür von Nedjans Gasthof wurde aufgestoßen und eine Gestalt trat ins Freie. Es war niemand anderes als Arnulf. Er trug enganliegende Hosen und ein leinenes Unterziehgewand. In der Hand hielt er sein Schwert. Um Stiefel anzuziehen oder den Waffengürtel anzulegen, war offensichtlich keine Zeit gewesen.
Arnulf trat auf den Toten zu, beugte sich nieder und zog ihm den Dolch aus der Brust. Das Blut wischte er an der Kleidung des Toten ab.
Als er sich wieder aufrichtete, glitt sein Blick genau in jene Richtung, aus der Li ihn beobachtete. Er starrte sie an und es konnte keinerlei Zweifel daran geben, dass er sie tatsächlich sehen konnte. Eigentlich hatte Li geglaubt, dass das nicht möglich war, weil der Schatten sie verbarg. Aber offenbar hatte sie sich in diesem Punkt getäuscht. Sie schluckte. Arnulf machte einen Schritt in ihre Richtung.