Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
Aber das Wichtigste war wohl, dass sie Samarkand erst einmal so weit wie möglich hinter sich gelassen hatten. Bisher gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass irgend jemand ihnen gefolgt war – auch wenn Gero immer wieder sorgenvoll zurück blickte, so als erwartete er jederzeit, dass dort ein berittener Trupp auftauchen mochte oder gar eine Horde wilder Nordmänner, die unter der Führung des berüchtigten Thorkild Larsson Eisenbringer standen, der angeblich ihren Tod wollte.
Arnulf blickte zu den Bergen. Irgendwo dort lag Tukharistan, das Land der Eisenberge. Und nach allem, was sie in Samarkand erfahren hatten, waren sie zumindest auf der richtigen Spur. Und der Mordanschlag in Nedjans Herberge war dafür letztlich nur noch einmal eine Bestätigung – vorausgesetzt die Annahme stimmte, dass der Kerl, der mitten in der Nacht in ihre Unterkunft eingedrungen war, tatsächlich von Thorkild und seinen Helfershelfern gedungen worden und nicht einfach nur ein gewöhnlicher Räuber war. Aber dann wäre wohl wenig plausibel gewesen, weshalb er sich ausgerechnet dieses eine Zimmer in dieser ganz bestimmten Herberge für einen Raubzug ausgesucht hatte – zumal es sicherlich weitaus vermögendere und damit lohnendere Opfer für einen solchen Überfall gab.
„Ich weiß nicht, was ich von dieser seltsamen jungen Frau halten soll, die Euch angesprochen hat“, meinte Fra Branaguorno.
Arnulf zuckte mit den Schultern. Während des Rittes hatte er immer wieder an die ebenmäßigen Züge ihres Gesichts denken müssen. Li – eine Silbe, die fast zu kurz schien, um der Name eines Menschen sein zu können. Aber wenn er jetzt darüber nachdachte, dann schien vom Klang dieser einen Silbe ein ganz eigentümlicher Zauber auszugehen.
„Sie wollte uns warnen“, meinte Arnulf an Fra Branaguorno gewandt. „Und es ist doch in der Tat von Vorteil, dass wir wissen, wie weitreichend offenbar die Verbindungen dieses Nordmannes sind! Offenbar weit genug, dass hochgestellte Beamte am Hof des Stadthalters ihm Gefälligkeiten erweisen.“
„Habt Ihr Euch auch mal gefragt, weshalb sie Euren Namen kannte?“
„Das hat sie doch erklärt. Sie kannte ihn durch unsere Begegnung beim Schmied und hatte ihn zuvor wohl während eines Gespräches gehört, das sie – ob nun gewollt oder zufällig – belauschte.“
„Dennoch – sie hatte keinen vernünftigen Grund, uns zu helfen. Und ich komme auch immer noch nicht über die Tatsache hinweg, dass sie offenbar Latein und Griechisch zu sprechen vermag.“
Arnulf grinste. „Was ist daran so ungewöhnlich, wenn jemand die rechte Begabung dafür hat. Habt Ihr selbst mir nicht einmal gesagt, dass das Erlernen jeder weiteren Sprache immer leichter wird und nicht schwerer, weil es in vielen von ihnen ähnliche Worte gibt und sie einem deshalb immer besser im Gedächtnis bleiben?“
Fra Branaguorno hob die sehr schräg gestellten, grauweißen Augenbrauen, die seinem Antlitz eine Linie gaben, die es immer etwas finster und mürrisch und seinen Blick sehr durchdringend und prüfend erscheinen ließen.
„Trotzdem erscheint mir das sehr ungewöhnlich – eine Papiermacherin aus dem fernen Osten erlernt Latein und Griechisch...“
„Sie hatte einfach nur ein gutes Herz – ich denke, das ist der einzige Grund, aus dem sie uns zu helfen versucht hat“, glaubte Arnulf.
„Ihr seid zu wenig misstrauisch, Arnulf.“
„Findet Ihr?“
„Jemandem im Alter Eures Knappen kann man das vielleicht nachsehen – aber Ihr, die Ihr Euch doch schon auf mannigfachen Schlachtfeldern ebenso bewähren musstet, wie im Sumpf der Magdeburger Hofintrigen...“ Fra Branaguorno schüttelte energisch den Kopf. „Ich muss schon sagen, dass ich etwas überrascht bin und Euch etwas anders eingeschätzt hatte.“
„Habt Ihr die Blätter gesehen, in die das Licht Trugbilder hineinzauberte?“, mischte sich nun Gero in das Gespräch ein.
„Ich hoffe nicht, dass dich diese östliche Magie gleich um den Verstand bringen wird, junger Mann!“, sagte Fra Branaguorno in einem tadelnden Tonfall und schlug dabei ein Kreuzeszeichen.
„Das hoffe ich nicht“, erwiderte Gero, der im Gegensatz zu den ewig mürrisch wirkenden Mönch eine auffallend gute Laune zu haben schien. „Aber ein Wunder ist es doch trotzdem, oder?“
„Gewiss“, stimmte Fra Branaguorno etwas einsilbig zu.
„Oder erkennt Ihr darin irgendeine Inkarnation Satans?“
„Wenn der Herr solche Wunder möglich gemacht hat, dann wüsste ich keinen Grund, warum darin etwas Böses zu sehen wäre“, erwiderte Fra Branaguorno.
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Sie rasteten für kurze Zeit in der Nähe des Flusses. Obwohl es empfindlich kalt war, verzichteten sie auf ein Feuer. Schließlich wollten sie eventuelle Verfolger nicht unnötigerweise auf sich aufmerksam machen.
Nachdem die Sonne zur Gänze über den Horizont gestiegen war, schwangen sie sich wieder in die Sättel und setzten ihren Weg fort – den Bergen entgegen.
Nach zwei Tagen kam ihnen auf eine Hochebene ein Nomadenstamm entgegen. Sie trieben auf breiter Front ihre Ziegen und Schafe über das karge Land. Dabei entfernten sie sich so weit wie möglich voneinander, denn sonst war es kaum möglich, dass die Tiere genug zu fressen bekamen. Vermutlich sollten die Herden in die tiefergelegenen Weidegebiete geführt werden, bevor es kälter wurde. Ein langer Zug von Kamelen kam den drei Reitern geradewegs entgegen. Arnulf schätzte die Anzahl der Kamele, die dieser Stamm mit sich führte, auf mindestens zweihundert.
Dafür besaßen sie anscheinend nicht einmal eine handvoll Pferde. Diese waren offenbar dem Stammesführer und seiner Eskorte vorbehalten. Diese Gruppe von Reitern hielt auf Arnulf und seine Begleiter zu.
In einem Abstand von mehreren Pferdelängen blieben sie stehen. Der Stammesführer war ein Mann mit einem hart geschnittenen, von Falten zerfurchten Gesicht. Der Bart unterstrich diese Linien noch. Er sprach Arnulf in einem Persisch an, das auch für Fra Branaguorno nur sehr schwer verständlich war. Der Mönch versuchte trotzdem so gut es ging zu übersetzen.
„Er will wissen, wohin wir ziehen und ob wir allein sind.“
„Sagt ihm, dass wir das Land des Eisens suchen.“
„Ihr müsst über die Berge“, lautete die Übersetzung der Antwort, die der bärtige Stammesführer gab und damit deutete er zu den schroffen Felsmassiven am Horizont. „Aber es gibt nur einen Pass und man findet ihn nicht, wenn man das Land nicht kennt.“
„Kannst du uns den Weg beschreiben?“, fragte Arnulf.
In den Augen des Stammesführers blitzte es.
Er ließ sein Pferd, das ihm offenbar außerordentlich gut gehorchte, ein Stück zur Seite treten, so dass er einem der anderen Reiter eine Hand auf die Schulter legen konnte. „Dies ist mein Neffe“, übersetzte Fra Branaguorno anschließend seine Worte. „Niemand kennt den Weg über die Berge besser als er. Er könnte Euch führen.“
Arnulf begriff, worauf das Ganze hinauslief. Die Nomaden wollten ein Geschäft aus der Angelegenheit machen. Aber das war ihnen nicht zu verdenken.
Man einigte sich schließlich auf drei Silberstücke. Eins gab Arnulf dem Stammesführer, die beiden anderen bekam der Neffe, sobald die Berge sicher überwunden waren.
„Euer Führer heißt Uthman und Ihr werdet es nicht bereuen, seine Dienste in Anspruch genommen zu haben!“, übersetzte Fra Branaguorno die Worte des Stammesführers und setzte dann noch hinzu: „Ich will hoffen, dass der Kerl recht behält!“
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