Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
sie hörte aufmerksam zu, wenn fremde Händler auf den Basaren ihre Waren anboten und von den Ereignissen in Tukharistan sprachen. Immer wieder war auch von Fremden die Rede, aber nichts davon ließ sich mit Sicherheit auf das weitere Schicksal des fremden Ritters beziehen. Zudem gab es da andere Dinge, die den Menschen Sorgen machten. Offenbar waren Reiter des Kara Khan bis in die Eisenberge vorgedrungen und manche Schmiede beklagten schon, dass ihnen das gute Erz knapp würde. Aber das waren alles nur Gerüchte. Für ein paar Wochen kampierte ein Heer des Emirs vor den Toren der Stadt. Offenbar gab es in den Bergen ein paar aufständische Stämme, die niedergeworfen werden mussten. Ob der Kara Khan sie zu ihrem Aufstand angestachelt hatte oder ob die Ursache in einer vor kurzem erfolgten drastischen Erhöhung der Tributzahlungen lag – das vermochte Li nicht einzuschätzen.
Jedenfalls wünschte sich Li, dass der Christengott, an den Arnulf von Ellingen zweifellos glaubte, ihn beschützen mochte. Der Gedanke an diesen Mann machte ihr gleichzeitig aber auch in aller Schmerzlichkeit bewusst, dass es für sie wahrscheinlich nie eine innige Verbindung zu einem Mann geben würde. Liebe, Ehe, Kinder und die Gewissheit, dass man nicht nur für sich selbst gelebt hatte, sondern als Ahn von seinen Nachfahren Verehrung erfuhr – das alles würde es in ihrem Leben aller Wahrscheinlichkeit niemals geben. Der Überfall einer Nomadenhorde in Xi Xia hatte diesen eigentlich bereits schicksalhaft festgelegten Plan für ihr Zukunft fortgefegt und bedeutungslos werden lassen. Als Tochter eines Papiermachers in Xi Xia hätte es sicherlich genug Männer gegeben, die in ihr eine mögliche Ehefrau gesehen hätten. Aber hier in Samarkand war ein solcher Weg für sie völlig aussichtslos. Man mochte manchen der Papiermacher zwar noch ansehen, dass ihre Vorfahren einst aus dem Reich der Mitte gekommen waren, aber das hieß keineswegs, dass sie sich mit Li besonders verbunden fühlten. Sie war eine Fremde und außerdem eine rechtlose Schuldknechtin, die sich allenfalls unter ihresgleichen hätte verbinden können. Aber kein Mann in Samarkand hätte ihr zugetraut, Kinder zu gläubigen Muslimen erziehen zu können. Daran hätte es auch nichts geändert, wenn sie diesem Glauben beigetreten wäre. Sie hatte das immer wieder erwogen, es aber letztlich doch nicht getan. Vielleicht in erster Linie deshalb nicht, weil sie spürte, dass dies ihren Vater tief verletzt hätte. Meister Wang schien es als Ausdruck seiner innersten Würde zu betrachten, sich in diesem Punkt nicht seiner Umgebung anzupassen.
Gao hingegen war inzwischen Muslim geworden und hielt die Gebetszeiten genau ein.
„Wir werden hier den Rest unserer Tage verbringen, glaube ich“, meinte er einmal, als er zusammen mit Li auf dem Basar unterwegs war, um Lumpen einzukaufen.
„Ich bin mir da keineswegs so sicher“, meinte hingegen Li.
„Du glaubst wirklich, dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen?“ Er schüttelte den Kopf. „Unser altes Leben, das wir dort hatten, ist vorbei, Li. Und je eher wir es endgültig verabschiedet haben, desto weniger wird es uns schmerzen.“
„Bist du deswegen der Gemeinschaft der Gläubigen beigetreten?“
„Es ist immer das Beste, man unterscheidet sich nicht zu sehr von allen anderen.“
„Das ist sicher wahr... Dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen werden, halte ich auch für ziemlich ausgeschlossen, obwohl...“ Ein Lächeln huschte über ihr ebenmäßiges Gesicht. „Eigentlich solltest gerade du als jetzt frommer Muslim, doch auf Allahs Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vertrauen!“
„Darüber solltest du dich nicht lustig machen, Li. Ich finde mich einfach nur mit den Dingen ab, wie sie sind. Etwas, was dein Vater zwar immer sagt, dass man es tun sollte – es aber selber wohl nicht so richtig fertig bringt.“
„Muss ein Wegweiser falsch sein, nur weil er nicht selbst in die Richtung geht, in die er weist?“, gab Li zurück.
„Nein, gewiss nicht.“
„Weißt du, ich kann es nicht erklären und es ist eigentlich auch mehr ein Gefühl, als ein wirklich vernünftig zu begründender Gedanke – aber ich glaube tatsächlich, dass sich alles sehr schnell für uns ändern könnte. Dies scheint mir nicht der Ort zu sein, an dem wir für länger bleiben werden.“
„Denkst du daran, dass vielleicht die Türken des Kara Khan der Macht unseres Herrschergeschlechts ein Ende bereiten könnten?“
„Zum Beispiel. Die Abgaben werden erhöht, überall redet man vom Krieg und davon, dass von den Schmieden fast nur noch Schwerter hergestellt werden. Gestern hörte ich, dass Pferde nicht mehr zu bezahlen sind, weil sie für die berittenen Truppen des Emir gebraucht werden.“
„Was bedeutet das schon für einfache Leute wie uns?“, gab Gao zurück. „Wir sind Papiermacher. Und solange ein Muslim und kein analphabetischer Christ oder Manichäer der Herr dieses Landes ist, wird Samarkand voller Bücher und gelehrter Schriften sein, die sich auf wundersame Weise vermehren und für die Papier gebraucht wird!“ Er zuckte die Schultern. „Man wird immer unsere Dienste benötigen und uns auf die eine oder andere Art ein Auskommen geben...“
––––––––
Ein paar Tage später wurde Li erneut in den Palast gerufen. Sie sollte sich dort einfinden, nachdem der Muezzin zum Nachmittagsgebet gerufen hatte. Unvorsichtigerweise hatte sie Gao nach langem Drängen davon erzählt, dass sie ein geheimes Wasserzeichen für das Briefpapier von Prinz Ismail gefertigt hatte. Schließlich konnte sie sich darüber mit ihm recht gefahrlos in der Sprache des Han-Volkes unterhalten, ohne befürchten zu müssen, dass irgendwer etwas davon mitbekam. Von der Form des Wasserzeichens hatte sie ihm natürlich nichts verraten, obwohl Gao es gerne gewusst hätte.
„Ich nehme an, der Prinz verlangt nach einer Abwechslung, was das Wasserzeichen für seine Briefe angeht“, glaubte Gao.
„Das nehme ich nicht an“, meinte Li. Sie lächelte. „Ich nehme an, dass die Empfänger seiner Briefe weiblich sind und ich glaube, dass ich für ihn genau das richtige Zeichen gefunden habe, um das Herz der Adressatinnen zu erreichen.“
––––––––
Als Li zur angegebenen Zeit im Palast eintraf, wurde sie in einen großen Raum geführt, der von Licht durchflutet wurde, das durch hohe Fenster fiel, die mit Alabaster verhängt waren – denn inzwischen waren die Winde, die durch die Straßen der Stadt pfiffen, sehr kalt.
Auf einem riesigen großen Mamortisch lagen unzählige Papierstücke mit Zeichen.
Vor allem Zahlen waren darauf zu sehen.
Abgesehen von Prinz Ismail befanden ich noch zwei andere Männer im Raum. Der eine war Abu Nasr Mansur, ebenfalls ein Prinz des Herrscherhauses, der mit großem Gefolge vor ein paar Tagen in die Stadt gezogen war. Li hatte den Zug gesehen, als sie gerade bei Kebir dem Schmied gewesen war, um von ihm Draht für weitere Wasserzeichen zu kaufen. Und in diesem Gefolge hatte sie auch den noch sehr knabenhaft wirkenden Mann gesehen. Er war noch so jung, dass sein Bart sehr dünn war, wie es ansonsten nur bei den Männern des Han-Volkes der Fall war. Auffällig war der Prinz vor allem deswegen gewesen, weil er auf einem Trampeltier gesessen und dabei versucht hatte, mit einem Silberstift auf ein Stück Papier zu schreiben, das er auf ein dünnes Stück Holz gespannt hatte.
Nie zuvor hatte Li etwas ähnlich Seltsames gesehen. Ein schönes Schriftbild konnte man auf diese Weise nicht hervorbringen. Selbst der geschickteste Kalligraph hätte das nicht vermocht, aber darauf war es dem Reiter wohl auch gar nicht angekommen.
Prinz Abu Nasr blickte auf und schien etwas überrascht zu sein, als er Li erblickte. Der junge Mann hingegen ließ sich überhaupt nicht in seinem unaufhörlichen Redefluss aufhalten. „Dass die Erde die Gestalt einer Kugel hat, ist uns