Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
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Zwölftes Kapitel: Nach Bagdad
Die Tage vergingen immer einer wie der andere. Sie zogen durch die südliche Karakum. Eine leichte Schneedecke überzog die Wüste, deren Name schwarzer Sand bedeutete. Schwarz waren die gewellten Sanddünen allerdings wohl auch dann nicht, wenn kein Schnee sie bedeckte.
In einer der Nächte wagte sich ein hungriger Wüstenluchs so nahe ans Lagerfeuer, dass Li ihn sehen konnte. Die Kamele und Pferde waren schon zuvor sehr unruhig gewesen. Ahmad, ein etwa zwölfjähriger Junge, der Firuz' und Fadias Sohn war, nahm einen Stein und warf ihn nach dem Fuchs, woraufhin er davonstob.
„Du Narr!“, rief Firuz. „Du hättest den Bogen nehmen sollen! Das Fell ließe sich gut verkaufen!“
„Ich frage mich, ob es etwas gibt, das er nicht verkaufen würde“, raunte Meister Wang an Li gewandt. „Wir sollten uns nicht erhoffen, dass es uns bei ihm gut ergeht!“
„Was schlägst du vor, Vater?“
„Abwarten. Wir können nichts tun, denn allein wären wir verloren. Aber wir sollten die Augen offen halten.“
„Die Frauen haben davon gesprochen, dass die ganze Karawane sehr lange unterwegs war und tief in ein Land gelangte, in dem es leuchtende Steine geben soll.“
„Was für ein Land soll das gewesen sein?“
„Indien... diese Steine sollen magische Wirkung haben und ein großes Vermögen wert sein. Damit will Firuz nach Jerusalem ziehen, weil dort ein Großonkel mit guten Geschäftsbeziehungen lebt.“
„Es gibt so viele Gerüchte über Wunder und Magie.“
„Hast du nie von diesen Steinen gehört?“
„Ich habe davon gehört, dass dieses Indien ein Land voller Wunder sein soll und die Heimat des großen Buddha ist. Es soll dort Männer geben, die Schlangen beschwören können, aber vielleicht sollte man auch nicht alles glauben, was darüber erzählt wird!“
„Aber Firuz ist jemand, für den nur das zählt, woraus er Silber machen kann! Also warum sollte das mit den Steinen nicht stimmen? Das würde auch erklären, wieso er seine Kamele nicht bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit mit Waren belädt und und uns reiten lässt, anstatt dass wir zu Fuß gehen müssen! Vater, selbst in Xi Xia fanden die meisten Nomaden nichts dabei, ihre Kinder tagelang neben den Kamelen herlaufen zu lassen, denn dann kann man vielleicht noch einen Stoffballen zusätzlich aufladen. Aber die wichtigste Ware, die Firuz mit sich führt, tragen nicht seine Kamele, sondern er selbst! Ich nehme an, dass er die Steine am Körper trägt und sie nie aus den Augen lässt... Auf jeden Fall ist es für ihn wichtiger, dass er vielleicht zwei oder drei Wochen früher in Jerusalem ankommt!“
Jetzt wurde Firuz auf Li und ihren Vater aufmerksam.
„Heh, redet nicht in euren Tierstimmen, sodass man nicht verstehen kann, was ihr sagt!“, wies er sie barsch an.
„Warum hast du die gelben Leute überhaupt mitgenommen und dafür auch noch eine ganze Menge Silber bezahlt?“, meinte einer der anderen Männer. Er hieß Jamal und war wohl Firuz jüngerer Bruder. Inzwischen durchschaute Li schon etwas besser, wer in der Gruppe mit wem verwandt oder verheiratet war. Jamals Frau war Alya, deren Kind auf der Reise nach Indien geboren worden war. Unter den Männern war Jamal der einzige, der es hin und wieder mal wagte, Firuz zu widersprechen, wenn gleich er dabei nie die Autorität seines älteren Bruders in Frage stellte. Als Firuz nicht gleich auf Jamals Worte einging, fuhr dieser fort: „Es ist doch wahr! Wir müssen sie durchfüttern und wer weiß, ob nicht mein kleiner unschuldiger Sohn von dem Husten befallen wird, den einer von ihnen zu uns gebracht hat!“
„Ich weiß, was ich tue!“, verteidigte sich Firuz. „Bedenkt, dass ihr alle von meiner geschäftlichen Klugheit lebt! Habe ich nicht immer gewusst, was sich an wen gut verkaufen lässt?“
„Nun, den Namen einer großen Stadt im Lande Fars will ich jetzt besser wohl nicht erwähnen“, meinte Jamal mit einem Spott, den wohl nur er sich erlauben konnte.
„Dass wir aus Schiras fortziehen mussten, hat uns allen nur Gutes gebracht“, erklärte Firuz. „Ganz besonders dir, mein undankbarer Bruder, denn in Jerusalem warst du gezwungen, die Sprache des Propheten zu lernen, um dich auf der Straße verständigen zu können – und dass hat dich ganz gewiss zu einem besseren Muslim gemacht!“
Jamals Gesicht verzog sich. „Allah sieht, dass du über ihn spottest und seinen Namen missbrauchst!“, zischte er wütend hervor.
Aber Firuz ließ sich davon nicht beeindrucken. „Ich habe euch nach Indien geführt und wir werden reich nach Jerusalem zurückkehren! Aber wir können noch reicher werden.“ Er deutete auf Li und Meister Wang. Gao saß am weitesten vom Feuer entfernt, obwohl er gewiss seine Wärme am nötigsten gehabt hätte. Aber es hatte niemand in der Nähe eines Mannes sitzen wollen, der so schwer hustete. „Diese gelben Leute aus dem Reich der Mitte können Papier in einer Weise schöpfen, wie es selbst in Bagdad oder dem fernen Konstantinopel niemand vermag! Zeichen aus Licht sind in ihren Papieren enthalten! Und wir haben das Glück, in Jerusalem zu leben, der Stadt, in der der Prophet Jesus lebte und der Prophet Mohammed zum Himmel auffuhr! Eine Stadt, von der Muslime, Christen und Juden glauben, dass sie heilig sei und in der deswegen wahrscheinlich ein größerer Bedarf an heiligen Schriften vorhanden ist, als an irgendeinem Ort sonst in der Welt! Die Christen pilgern aus ihren Ländern dorthin und manche von ihnen können inzwischen sogar lesen! Und die Muslime gehen zum Felsendom, die Juden dorthin, wo früher angeblich der Tempel Salomos stand – und die Anhänger aller drei Buch-Religionen gehen an jene Stelle, wo Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte! Aber sie alle brauchen Papier! Papier, das die drei dort für uns schöpfen werden!“
„Wie viele Blätter können drei Papiermacher schon schaffen?“, meinte Jamal zweifelnd. „Sie werden selbst kaum von ihrer Arbeit ernährt werden, wenn man alle Kosten abzieht. Und vielleicht wirst du sogar noch Silber dazulegen müssen, wenn du sie nicht auf der Straße schlafen lassen willst!“
„Sie werden ihre Kunst anderen zeigen und schon bald werden wir ganz Jerusalem mit Papier versorgen!“, widersprach Firuz. „Unser Großonkel hat gute Verbindungen im ganzen Land und kann uns alle Türen öffnen!“
Firuz schien von seinem Plan vollkommen in Beschlag genommen zu sein. „Die Abschriften des Korans werden überall zu erwerben sein. Wir werden die Schreiber aus fünf Städten dafür anstellen und...“
„Er sollte diese Bücher drucken, wie es in Bian seit zwei Jahrhunderten geschieht!“, raunte Meister Wang Li in der Han-Sprache zu. Aufgrund der Hitzigkeit des Wortgefechts zwischen Firuz und seinem Bruder bekam davon allerdings keiner der beiden etwas mit.
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Sie setzten den Weg am nächsten Morgen fort. Li saß auf ihrem Kamel und hing ihren Gedanken nach. Was mochte wohl aus Arnulf geworden sein? Hatte er das Land der Eisenberge erreicht und dort gefunden wonach er suchte, oder hatten ihn Thorkilds Männer erschlagen? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass letzteres nicht geschehen war. Zwischen ihren Seelen gab es zweifellos eine innere Verbindung, wie sie manchmal