Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
selbst eine Närrin, über diese Dinge nachzugrübeln. Dabei gefror ihr Atem zu einer grauen Wolke. Du wirst ihn nie wiedersehen!, ging es ihr durch den Kopf. Sie waren wie zwei Sandkörner in der Karakum, die der Wind fortgerissen und dann abwechselnd in verschiedene Richtungen geweht hatte. Solche Sandkörner konnten tausende von Meilen weit getragen werden - und dass sie und dieser Ritter aus Saxland sich wiedertrafen war ebenso unwahrscheinlich, wie das erneute Zusammentreffen zweier Sandkörner im Wüstenwind.
Und wenn es irgendwo ein Felsmassiv gab, zu dem alle Winde ihre Last früher oder später hintrugen und sich all das irgendwann wieder einfand, was zunächst scheinbar sinnlos verstreut worden war? Dieser Gedanke beschäftigte Li und sie glitt erneut in ihre Gedankenwelt ab, die ihr trotz aller Aussichtslosigkeit doch um so vieles tröstlicher zu sein schien, als der tägliche Trott dieser Karawane.
Dann hörte sie hinter sich das Schnaufen eines Trampeltiers, dessen Schritte mithilfe von ein paar schrillen Befehlen einer Frauenstimme stark beschleunigt worden waren. Das Tier holte auf und lief dann genau neben jenem Kamel, zwischen dessen Höckern Li ihren Platz hatte.
Es war Jarmila.
Sie sollte ich versuchen zu meiner heimlichen Verbündeten zu machen!, überlegte Li. Denn ohne eine Verbündete erwartete sie ein hartes Schicksal, wie sie inzwischen begriffen hatte.
„Willst du lernen, wie man einem Kamel befiehlt?“, fragte sie. „Oder reicht es dir, faul zwischen seinen Höckern zu sitzen, wie ein Säugling an der Brust seiner Mutter?“
„Zeig es mir“, verlangte Li. „Man kann nie genug lernen.“
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Innerhalb der nächsten Tage und Wochen lernte Li, wie man bei einem Kamel selbst die Zügel hielt und es dazu brachte, einem zu gehorchen. Und sie gab dieses Wissen an ihren Vater und Gao weiter. Letzterem ging es inzwischen wieder etwas besser, aber der Husten hielt sich hartnäckig.
Sie übernachteten nun zumeist in befestigten Karawansereien, die von Schutzmauern umgeben wurden und in denen man außerdem Verpflegung bekommen konnte. Manchmal hatte sich um diese befestigten Karawansereien ein kleiner Ort gebildet. Li behielt kaum einen der Namen dieser Orte. Kamen sie in eine der größeren Handelsstädte, die auf ihrem Weg lagen, dann blieben sie ein oder zwei Tage, verkauften etwas von ihren Waren und erwarben dafür andere Güter. Zwischen Merw und Nischapur begleiteten sie eine Gruppe von Pilgern, die sich auf den weiten Weg nach Mekka begaben und zumindest diesen Teil ihres Weges mit ihnen gemeinsam hatten. Firuz war zwar nicht sonderlich begeistert davon, da die Pilger die Karawane seiner Ansicht nur unnötig aufhielten, aber Li hörte, wie Fadia ihren Ehemann eindringlich ermahnte, sich ihnen gegenüber großzügig zu verhalten, da dies die Pflicht jedes Muslims sei.
Von Nischapur aus nahm Firuz die nördliche Route durch das Gebirge von Parthien, um die Salzwüste Kavir zu meiden.
Auf diesem Stück des Weges nahm die Zahl der befestigten Karawansereien wieder ab. Manchmal gab es gastfreundliche Dörfer, in denen Firuz Stoffe und Decken verkaufen oder gegen Ziegenkäse und Hammelfleisch eintauschen konnte. Aber es kam in den Bergen wieder öfter vor, dass sie die Zelte aufschlagen und im Freien kampieren mussten. Häufig stiegen sie ab, um die Tiere über schmale gerade und steile Pässe zu führen. Aber Firuz schien den Weg gut zu kennen.
Immer wieder suchte er Lis Nähe, was ihr äußerst unangenehm war. Auf den Streckenabschnitten, auf denen man die Kamele reiten konnte und es möglich war, die Führung einem der anderen Männer zu überlassen, preschte er auf seinem gescheckten Pferd herbei und hielt sich neben ihr.
Er erzählte von den Plänen, die er hatte, von der Fertigungsstätte für Papier, die ihm vorschwebte und davon, dass gerade die Papiere mit den Wasserzeichen ihnen eigentlich förmlich aus der Hand gerissen werden müssten. „Du wirst sehen, auch ihr werdet dadurch zu Wohlstand kommen. Vielleicht wirst du es dir sogar leisten können, eines Tages den Weg der Seide in östliche Richtung zu gehen und zurück in deine Heimat zu gelangen...“
„Wir werden sehen“, sagte Li ausweichend.
„Wenn es nicht dein eigener Wunsch sein sollte, dann gewiss der deines Vaters“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil es der Wunsch aller alten Leute ist, dorthin zurückzukehren, woher sie kamen und wo Geister ihrer Erinnerungen wie Dschinne herumstreichen... Vielleicht wird es dir eines Tages ja genauso gehen.“
„Ich habe aufgehört, mich an eine solche Hoffnung zu klammern“, sagte sie. „Es geschieht, was geschieht...“
„Du kannst dein Geschick mehr beeinflussen, als du vielleicht glaubst“, sagte Firuz. „Denn du hast nicht nur das Talent, Papier zu schöpfen und es mit Bildern aus Licht zu versehen... Du bist auch eine sehr schöne Frau...“
„Du solltest so nicht mit mir sprechen“, sagte Li.
„Ich spreche mit wem immer ich will auf die Art, die ich für richtig halte“, erwiderte Firuz. „Und Allah allein ist mein Richter – sonst niemand.“
„Du hast bereits zwei Frauen – und denen ist nicht entgangen, wie du mich ansiehst!“
Firuz ging darauf nicht weiter ein. „Ich werde dich Basma nennen. Das ist ein häufiger Name in den Ländern der Gläubigen. Er bedeutet in der Sprache des Propheten 'die Lächelnde' – und da dein Lächeln so unergründlich scheint, finde ich, dass dieser Name passt!“
„Ich würde es bevorzugen, wenn ich bei dem Namen gerufen würde, den ich von meinem Vater erhielt“, erwiderte Li kühl. Innerlich kochte es in ihr. Was bildete sich Firuz eigentlich ein? Li brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Jarmila und Fadia genau beobachteten, was weiter geschah. Sie konnte nur von Glück sagen, dass es während der Reise so gut wie überhaupt keine Gelegenheiten gab, bei denen sie allein mit ihm war.
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Schließlich erreichten sie Bagdad. Gaos Zustand hatte sich noch nicht nachhaltig gebessert, obwohl das Klima im Zweistromland viel milder war. Die Stadt des Kalifen erschien Li gewaltig, während sie durch die verwinkelten Straßen zogen, in denen überall Händler darauf warteten, ihre Waren an den Mann bringen zu können.
„Der Kalif hat keine Macht mehr“, erzählte Jarmila an Li gewandt. „Er ist das Oberhaupt der Gläubigen, aber überall regieren mächtige Familien ihre eigenen Reiche und seitdem sagt man, dass die Stadt im Niedergang begriffen ist. Alles scheint zu zerfallen.“
„Aus dem, was zerfällt werden die Steine eines neuen Hauses“, sagte Li.
„Im Koran steht das aber nicht.
„Es ist eine Weisheit von Lao-she.“
Jarmila zuckte mit den Schultern. „Sobald Firuz seine Geschäfte erledigt hat, ziehen wir weiter... Was kümmert es mich also, ob Bagdad irgendwann einmal wieder erblüht!“
„Liebst du ihn eigentlich? Ich meine Firuz?“
„Unsere Familien habe diese Ehe arrangiert. Und er ist ein guter Händler, der dafür sorgt, dass man in seinem Haus immer gut versorgt ist.“
„Ahmad ist Fadias Sohn. Hast du auch Kinder?“
„Nicht mehr“, sagte sie. „Zweimal habe ich von Firuz ein Kind empfangen und es kurz nach der Geburt verloren. Seitdem rührt er mich nicht mehr an, weil er denkt, dass ein Fluch auf mir lastet.“
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