Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
und sich von einem Kamel zum anderen etwas zugerufen, von dem Li vieles nicht verstanden hatte. Und bevor Li ins Zelt gekommen war, hatte sie ebenfalls lautes Stimmengewirr und schrilles Lachen hören können. Jetzt schwiegen sie und es war ihr klar, dass das nur an ihr lag.
„Mein Name ist Li“, erklärte sie.
„Ich hoffe, du schnarchst nicht“, sagte eine Frau. Sie hatte ihr Kopftuch zurückgeschlagen. Das Haar war kastanienfarben, die Augen sehr dunkel und ihr Blick drückte Stolz und Willensstärke aus. Ihr Blick wirkte falkenhaft. „Mein Name ist Fadia. Weißt du, was das bedeutet?“
„Ich nehme an, es ist ein Wort aus der Sprache des Propheten. Ich habe mich bemüht, einige Worte davon zu lernen, aber dieses kenne ich nicht.“
„Es bedeutet die Ritterin. Und das heißt, dass ich mir nichts gefallen lasse und um das kämpfe, was mir gehört.“
„Ich habe nicht vor dir etwas wegzunehmen, Fadia!“
„Dann hör auf die Sinne meines Mannes Firuz zu verwirren! Ich habe Augen im Kopf und genau gesehen, was sich ankündigt! Ein falscher Blick und ich werde dich so schlimm schlagen, dass es du es nie vergessen wirst, gelbe Frau!“
„Fadia...“
„Es reicht völlig, wenn du mich Herrin nennst!“
Verwechselte Fadia da nicht etwas? Schließlich war es ihr Mann Firuz gewesen, der Li immer wieder auf eine Weise angesehen hatte, die der Papiermacherin die Schamesröte ins Gesicht getrieben hatte. Sie war sich wirklich keiner Schuld bewusst, schließlich war es nun wirklich alles andere als ihre Absicht gewesen, diesen Mann auf sich aufmerksam zu machen. Ganz im Gegenteil! Allein die Vorstellung, dass er in ihre Nähe trat, verursachte ihr Übelkeit. Aber Fadia dies zu sagen schien wenig Sinn zu haben.
„Sei nicht zu streng zu ihr“, meinte eine Frau, die etwa jünger wirkte. Ihre Züge waren weicher, ihr Haar fast so schwarz wie das von Li. Und während der Klang von Fadias Stimme an das Klirren von Schwertern erinnerte und sehr durchdringend und scharf war, klang jene der Jüngeren sehr viel weicher und zurückhaltender. „Ich bin Jarmila“, sagte sie. „Firuz' andere Frau.“
„Sie kann dir sagen, wie hart ich schlagen kann!“, setzte nun Fadia noch hinzu. „Also sei gewarnt, gelbe Frau!“
Fadia hatte so laut und durchdringend gesprochen, dass eines der Kleinkinder aus dem Schlaf geweckt wurde und an zu schreien fing.
„Fadia, musste das denn sein!“, murrte die Mutter und wiegte ihr Kind auf dem Arm.
„Mein Mann gibt deinem das Brot, also beklag dich nicht, Alya“, gab Fadia unfreundlich zurück. Dann kroch sie mit ihrer Decke auf die andere Zeltseite und rollte sich dort ein.
Jedenfalls kenne ich nun den Verlauf der Schlachtlinien in diesem Zelt, dachte Li.
Sie rollte sich ebenfalls in ihre Decke und hörte eine Weile noch dem Gerede der Frauen zu. Alya versuchte, ihr Kind zu beruhigen und wiegte es hin und her.
„Ich kann es kaum erwarten, wenn wir in Jerusalem sind“, sagte Jarmila an Alya gerichtet. „Dann haben wir endlich wieder mehr Platz und leben in einem großen Haus, anstatt in einem Zelt...“
„Hast du eine Ahnung, wie weit es bis dahin noch ist? Wir waren fast mehr als ein Jahr unterwegs und der Kleine hier war noch nicht geboren, als wir aufbrachen...“
„Ja, ich weiß“, lächelte Jarmila. „Aber du kennst Firuz... Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann verfolgt er es bis zum Schluss. Und ich glaube, selbst er hat nicht für möglich gehalten, wie tief man nach Indien reisen muss, um die leuchtenden Steine zu bekommen.“
„Ich hoffe, die Steine waren all das Wert, was wir durchgemacht haben!“
„Ganz bestimmt“, versprach Jarmila. Sie beugte sich etwas vor und sprach mit gedämpfter Stimme. „Die Steine, die Firuz bekommen hat, sind mehr Wert als ein ganzer Palast! Sie sollen magische Kräfte haben und Firuz' Onkel kennt Männer, die jeden Preis dafür zahlen würden!“
„Sei still, Jarmila!“, fuhr Fadia dazwischen. „Du redest einfach zu viel!“
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“
„Zu viel und zu unbedacht! Wir sind schließlich nicht... unter uns!“
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Am Morgen standen sie in aller Frühe auf. Fadia war die erste, die sich fertig gemacht hatte. Bevor sie das Zelt verließ, wandte sie sich an Jarmila. „Sieh zu, dass die Gelbe uns nicht aufhält und pünktlich fertig ist!“
„Das wird sie schon.“
„Ich will es hoffen!“
Jarmila seufzte hörbar und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als Fadia das Zelt verlassen hatte.
Li wickelte sich inzwischen aus ihrer Kamelhaardecke heraus. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, aber den löste sie nun und versuchte zu verhindern, dass sich verfilzte Stellen und Knötchen bildeten.
„Nimm das hier“, sagte Jarmila und reichte ihr einen Kamm. Li nahm ihn und konnte ihre Überraschung für einen Moment nicht verbergen.
„Danke!“
„Beeil dich. Ich glaube nicht, dass du dir vorstellen kannst, wie weit der Weg ist, den wir noch vor uns haben.“
„Und du schon?“
„Ich bin den ganzen Weg schließlich in umgekehrter Richtung bereits gezogen.“
„So kommt ihr aus Jerusalem?“
Während Li ihr Haar kämmte, nickte Jarmila leicht. „So hast du uns also gestern Abend noch zugehört... Das habe ich mir wohl gedacht.“
„Es war nicht zu überhören, was gesprochen wurde.“
„Nein, wir kommen nicht aus Jerusalem, sondern aus Schiras im Lande Fars. Aber Firuz hatte dort gewisse Schwierigkeiten, weil man ihn beschuldigte, er hätte Seife verkauft, die die Haut rot werden und brennen lässt.“
„Und – hat er das getan?“
„Er hatte die Seife von einem Choresmier erworben, der aber nicht mehr zu fassen war. Jedenfalls mussten wir deshalb fort aus Schiras. Und in Jerusalem lebt ein Onkel von Firaz – eigentlich ein Großonkel. Sein Großvater mütterlicherseits war nämlich ein Araber...“ Sie stockte plötzlich. „Vielleicht hat Fadia recht und ich sollte nicht so viel mit dir reden.“
„Ich will dir nichts Böses“, sagte Li. „Weder dir noch Fadia. Und ich denke schon gar nicht daran, irgendwem etwas wegzunehmen.“
„Dennoch, ich kann dich nur warnen. Allah mag so barmherzig sein, den Männern das Konkubinat zu gestatten – aber für Fadia gilt das nicht.“
„Das habe ich schon gemerkt“, gab Li zurück.
„Und für mich gilt in dieser Hinsicht übrigens dasselbe, auch wenn meine Wahl der Waffen vielleicht etwas anders ausfallen mag, als es bei Fadia der Fall wäre.“ Ihr Tonfall bekam jetzt einen durchaus drohenden Klang.
Li gab ihr den Kamm zurück. „An mir soll es nicht liegen“, sagte sie.